Fehlt es jungen Wissenschaftler*innen an Akzeptanz, besonders in der Politik? Christian Scharun sagt, ihm werde häufig Kompetenz aufgrund seines jungen Alters abgesprochen. Im Gastbeitrag reagiert der Klimaforscher auf eine kürzliche Twitter-Debatte mit einem Politiker.
Jung, forschend, inkompetent?
Normalerweise halte ich es für gesünder, mich nicht über andere Menschen aufzuregen – insbesondere nicht vor acht Uhr morgens. An jenem Freitag, war das jedoch anders und ich verfasste um 7:59 Uhr einen Tweet, in dem ich eine gehörige Portion Ärger verarbeitete:
Ich empfinde es als äußerst wissenschafts- und menschenfeindlich mich mit „der Bub“ als inkompetent abzustempeln. Das ist ein Schlag ins Gesicht aller jungen Nachwuchswissenschaftler*innen und zudem ganz schön unprofessionell von Ihnen. 🙄
Bitte RT. Das darf gerne jede*r wissen! https://t.co/7reQJBy6w5
— Dr. Christian Scharun (@CScharun) September 30, 2022
Der Adressat dieser Worte war der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger.
Aber von vorne: Als Ende September die Lecks an den Nord Stream-Pipelines zu einem unkontrollierten Austritt des Treibhausgases Methan führten, war das für mich als Klimaforscher aus einer wissenschaftlichen Perspektive natürlich sehr interessant, da ich mich seit vielen Jahren mit Emissionen dieser Art beschäftige. So kam es auch, dass ich von verschiedenen Medien für eine Einschätzung der Lage kontaktiert wurde. Das hat mich sehr gefreut, dennoch mache ich mir in solchen Fällen vorher Gedanken, ob und wie ich als kommunizierender Wissenschaftler zu diesem Thema beitragen kann. Dabei versuche ich trotz, oder gerade wegen, meiner fachlichen Expertise auf diesem Gebiet und der Erfahrungen als Wissenschaftskommunikator, in meiner Wortwahl und bei den Aussagen, die ich zu einem Thema tätige, sehr präzise und möglichst unmissverständlich zu sein.
Dennoch passiert es immer wieder, dass mir von Menschen die Kompetenz abgesprochen wird, mich zu einem Thema wie der globalen Erwärmung zu äußern. Das alleine ist natürlich ziemlich schade, ich könnte aber ganz gut damit leben, wenn die Einschätzung meiner vermeintlichen Inkompetenz auf diesem Fachgebiet inhaltlich begründet werden würde. Wissenschaft lebt vom Hinterfragen und einem konstruktiven Diskurs. Diesem muss und will ich mich als junger Wissenschaftler selbstverständlich stellen, keine Frage. Der bayerische Wirtschaftsminister jedoch hat mir an diesem Tag nicht aufgrund inhaltlicher Argumente erklärt, dass er mich für inkompetent hält, sondern einzig und allein aufgrund meines Alters:
Aber der Bub oben hat eben 4 Jahre Forschung gemacht und sieht jetzt den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, sondern nur noch Holz.
— Hubert Aiwanger (@HubertAiwanger) September 29, 2022
Wenn Politiker*innen trollen
Unserem Schriftverkehr vorausgegangen war sein Interview mit dem Sender Bild TV, in dem er nicht nur seine Kolleg*innen in Brüssel als „Pfosten“ beleidigte, sondern auch wissenschaftlich nicht haltbare Statements machte. Dafür habe ich ihn öffentlich kritisiert. Das mag ihm missfallen sein, rechtfertigt aber nicht seine Aussagen.
Anfeindungen sind längst zu einem festen Bestandteil des Alltags vieler kommunizierender Forschender geworden. So inakzeptabel diese sein mögen, so wenig hilft es diesen Frust in sich hineinzufressen. Mehrheitlich kommen solche Anfeindungen in den sozialen Netzwerken von anonymen Accounts. In diesen Fällen halte ich es für besser, diese Vorkommnisse zu ignorieren und den Autor*innen keine Plattform zu bieten. Im Fall von Hubert Aiwanger gibt es jedoch einen entscheidenden Unterschied zu den anonymen Twittertrollen. Denn der Stellvertreter von Markus Söder ist als Politiker eine Person des öffentlichen Lebens und seine Aussagen können eine immense Reichweite haben. Aus genau diesen Gründen empfinde ich sein Verhalten, wie in meinem Tweet formuliert, nicht nur als äußerst wissenschaftsfeindlich, sondern auch als einen Schlag ins Gesicht aller Nachwuchswissenschaftler*innen, die aufgrund solcher Diskriminierungen sowohl um ihre Akzeptanz in der wissenschaftlichen Community, aber insbesondere auch in ihrer öffentlichen Wahrnehmung kämpfen müssen.
Des Weiteren hat mich gestört, dass es bei all dem medialen Hype um diese Geschichte (Aiwanger hat sich im selben Thread noch überschwänglich selbst gelobt und dafür starken Gegenwind erhalten) am Ende wieder nicht um die eigentlichen Inhalte ging. Schließlich habe ich mich ursprünglich ja darüber geärgert, dass Aiwanger bei Bild TV falsche Aussagen verbreitete. Es war mir wichtig, über die wissenschaftlichen Zusammenhänge zur Gaslage im kommenden Winter aufzuklären. Daher habe ich an diesem Freitagabend noch ein Video aufgenommen und auf meinem Youtube Kanal veröffentlicht.
Wissenschafts- und Menschenfeindlich?
So viel zur „Wissenschaftsfeindlichkeit“. Nach meinem Tweet wurde allerdings auch Kritik geäußert, ich würde übertreiben, wenn ich zusätzlich von „Menschenfeindlichkeit“ schreibe. Formal handelt es sich bei dieser Form des verbalen Angriffs aber um nichts anderes, nämlich ein argumentum ad hominem, also ein Argument gegen den Menschen. Wer sich dieses Stilmittels bedient, hat offensichtlich keine inhaltlichen Beiträge mehr zur Diskussion beizutragen und kann sich nur noch mit Attacken gegen das Aussehen, den Charakter oder andere persönliche Eigenschaften wie dem Alter oder Geschlecht eines Menschen aushelfen. Solche Angriffe haben keinen Platz in einer toleranten und weltoffenen Gesellschaft, wie ich sie mir wünsche. Sie sind daher in meinen Augen also sehr wohl auch ein eindeutiger Ausdruck von Menschenfeindlichkeit.
Positiv überrascht haben mich die zahlreichen Reaktionen von Userinnen und Usern, die mir in ihren Kommentaren in dieser Situation den Rücken stärkten. Vieles davon habe ich in den Tagen danach gelesen und ich muss ehrlich sagen, dass es gut tut sie alle als Unterstützer*innen zu wissen. Ebenso erreichten mich zahlreiche private Nachrichten von Freund*innen, Kolleg*innen und lieben Menschen aus der Wisskomm-Community, die auf diese Sache aufmerksam geworden sind. Auch wenn ich inzwischen ganz gut mit Anfeindungen dieser Art umgehen kann, ist es schön zu hören, dass viele Menschen meine Arbeit schätzen und mich dazu ermutigen, weiterzumachen wie bisher. Eine Minderheit, die nur an der persönlichen Diffamierung anderer und nicht an einem respektvollen Umgang miteinander interessiert ist, kann manchmal sehr laut sein. Trotzdem bin ich davon überzeugt: Wir sind mehr und wir sind lauter!
Krisenbewältigung funktioniert nur mit respektvollem Umgang
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als Gesellschaft in diesen schwierigen Zeiten nur vorankommen können, wenn wir uns gegenseitig zuhören, einander tolerieren und respektvoll miteinander umgehen. Menschen, die andere ad hominem angreifen, entlarven sich in meinen Augen als wissenschafts- und menschenfeindlich. Diesen Vorwurf muss sich Hubert Aiwanger gefallen lassen, da er als Entscheidungsträger einen direkten Einfluss auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung in unserem Land hat. Wer aber durch Angriffe dieser Art, seine Reichweite nutzt und in Kauf nimmt, Hass und Hetze eine Plattform zu geben, trägt zur Spaltung unserer Gesellschaft bei, und wird seiner Verantwortung als Teil dieser nicht gerecht. Wer junge Wissenschaftler*innen über die angebrachte Kritik hinaus persönlich angreift, der verhindert aktiv, dass eine neue Generation an Forschenden die wichtige Akzeptanz bekommt, die es bräuchte, um die Krisen unserer Zeit erfolgreich zu überwinden.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.