Es ist so vieles in Aufruhr geraten, dass sich jeder Wissenschaftler einfach ins Getümmel werfen muss – bezahlt oder unbezahlt. Es ist Zeit, dass wir lästig werden, sagt Michael Sonnabend, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim Stifterverband. Ein Plädoyer für die Verpflichtung zur Wissenschaftskommunikation.
Pro: Jetzt brauchen wir alle klugen Köpfe
Als der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf im Jahr 2004 den Communicator-Preis des Stifterverbandes erhielt, war er hocherfreut. Wolfs beeindruckendes Engagement für die Vermittlung seiner Forschungsergebnisse in die breite Öffentlichkeit fand hier seine weithin sichtbare Anerkennung. Aber der Preisträger machte keinen Hehl aus seiner Befriedigung darüber, dass er ein Jahr zuvor – nämlich 2003 – einen für seine Karriere als Forscher wesentlich bedeutenderen Preis erhalten hatte: den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis. Ohne den Leibniz-Preis, so Wolf, der seinen wissenschaftlichen Rang zweifelsfrei belegte, wäre der Communicator-Preis unter Umständen sogar etwas verdächtig gewesen. So nach dem Motto: „Er kann ja vielleicht gut mit den Medien, aber als Wissenschaftler ist er ja nur …“.
Ein Grunddilemma: Forschung ist die harte Währung, darüber gut reden zu können, ist nice to have
Die kleine Geschichte belegt ein Grunddilemma in deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Reputation eines Forschers leitet sich nach wie vor aus den Forschungsleistungen ab, aus der Zahl der Publikationen, Preise oder Patente. Forschung ist die harte Währung, darüber nur gut reden zu können, ist nice to have. Aber keine notwendige Qualifikation. Dass es 20 Jahre nach dem PUSH-Urknall1 immer noch nicht gelungen ist, diese Denkweise abzulegen, mag vielleicht weniger an der allgemeinen Vergötterung – vor allem der naturwissenschaftlichen – Forschung liegen. Eher vielleicht an der Tatsache, dass es immer noch zu wenige Forscher gibt, die die Geringschätzung von Wissenschaftskommunikation ächten. Gute Kommunikationsfähigkeiten sollten nicht nur ganz selbstverständlich zum Kompetenzspektrum eines Wissenschaftlers gehören, sondern auch entsprechend hoch bewertet werden.
Die Physikerin Sabine Hossenfelder macht in ihrem Beitrag deutlich, dass sie keinen Anreiz darin sieht, Wissenschaftskommunikation aus eigenem Antrieb zu betreiben, weil dies nun einmal nicht karriererelevant sei. Sie beschreibt sie als „nutzlos“. Dabei hat sie selbst seit über 10 Jahren ein eigenes Weblog. Ich kann das gut nachempfinden: Natürlich möchte jeder, der sich – intrinsisch motiviert – weit über das normale Maß hinaus für eine Sache engagiert, dass dieses Engagement anerkannt und vielleicht sogar (finanziell) belohnt wird.
In akademischen Berufungsverhandlungen spielen Erfahrungen in der Wissenschaftskommunikation selten eine Rolle. Leider. An Hochschulen haben wir es ohnehin allzu oft mit sehr hemdsärmeligen Vorstellungen von Personalentwicklung zu tun. Kaum hat jemand einen Lehrstuhl ergattert, soll er qua Amt (nicht etwa durch Qualifizierung) plötzlich in der Lage sein, nicht nur ein guter Forscher zu sein, sondern auch Personal zu rekrutieren, Menschen zu führen oder Finanzen im Blick zu haben etc. Dabei sollte es doch selbstverständlich sein, dass sich auch Professoren weiterbilden und für neue Aufgaben qualifizieren müssen (so wie alle anderen Arbeitnehmer ja auch). Zum Glück ist es ja mittlerweile so, dass es im Bereich der Wissenschaftskommunikation vielfältige Möglichkeiten gibt, die Grundlagen guter Wissenschaftskommunikation zu erlernen.
Wir sind jetzt alle am Zug
Aber wozu eigentlich? Ist es nicht ziemlich „idiotisch“, sich für etwas aufzureiben, was man als Wissenschaftler weder gut kann, noch dafür angemessen bezahlt wird? Das ist die Frage, die Sabine Hossenfelder aufwirft. Ich meine: Nach 2017 darf das nicht mehr die Frage sein. Nicht nach diesem Desaster, das die große Lüge hoffähig gemacht hat, in dem die Wahrheit alternativ verbogen worden ist. Nicht nach diesem Jahr, in dem die Ignoranz und der Hass in das weißeste Haus der Welt eingezogen sind. Nicht nach diesem Jahr, in dem Fake News zum Kampfbegriff geworden ist. Wer nach diesen Beben immer noch ungerührt die Frage nach der Verantwortung für Wissenschaftskommunikation stellt, der möge auf ewig im elfenbeinernen Turmzimmerchen vor sich hin forschen, jedoch bitte für immer schweigen. Aber alle anderen mögen doch verinnerlichen, dass wir jetzt alle am Zuge sind.
Dort, wo noch vor Kurzem (scheinbar) breiter Konsens herrschte, vernebeln nun Skepsis und Misstrauen jegliche Diskussion. Die Science Community sieht sich Verdächtigungen ausgesetzt, die bis vor kurzem undenkbar gewesen wären. Nicht selten steht dabei die Unterstellung im Raum, dass Wissenschaft käuflich sei, ohnehin von Eliten für Eliten betrieben werde – und damit eben nicht dem Allgemeinwohl diene. Dass hinter diesen Anfeindungen keine törichte Gruppe versprengter Verschwörungstheoretiker steht, sondern eine breite gesellschaftliche Bewegung, kann man täglich in den Kommentarspalten großer Online-Medien oder in sozialen Netzwerken beobachten. Plumpe Wissenschaftsfeindlichkeit bricht hier durch, unterfüttert durch Falschinformation, populistischen Anti-Intellektualismus oder puren Zynismus.
Es ist so vieles in Aufruhr geraten, dass sich jeder Wissenschaftler einfach ins Getümmel werfen muss – bezahlt oder unbezahlt. Der populistische Dreck ist schon längst durch die Ritzen der Labore eingedrungen. Niemand kann mehr die Augen davor verschließen, dass es ans Eingemachte geht. Jetzt brauchen wir alle klugen Köpfe, auch die, die sich eigentlich lieber auf ihre wissenschaftliche Arbeit konzentrieren und das Kommunizieren lieber den „Pressefuzzis“ überlassen möchten.
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