Die Aktion „Wissen schafft …“ will mit Menschen in Kontakt kommen, mit denen die Wissenschaft sonst eher nicht in den Dialog tritt und über Werte, Methoden und Denkweisen der Wissenschaft diskutieren. Was dahinter steckt und wie dies gelingen soll, erzählt Christian Stegmann, einer der Initiatoren und Leiter des DESY in Zeuthen.
„Jedes Gespräch ist ein Erfolg“
Herr Stegmann, was steckt hinter der Kampagne „Wissen schafft …“, die Sie gemeinsam mit anderen Forschungseinrichtungen in Brandenburg ins Leben gerufen haben?
Dahinter stecken verschiedene Gedanken. Einer der Anlässe ist sicherlich, dass wir in diesem Jahr das 70. Jubiläum des Grundgesetzes feiern. Das Grundgesetz ist nicht nur das Fundament unseres Zusammenlebens in Deutschland, sondern darin ist auch klar geregelt, wie Wissenschaft in unserem Land verstanden wird. In Artikel 5 heißt es, dass „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind“. Das ist die Basis unserer Arbeit. Wir halten es für sehr wichtig, dass alle Menschen, die darüber entscheiden, wie wir Wissenschaft betreiben und sehen, zu dieser Freiheit stehen. Uns ist es daher ein Anliegen, diese Botschaft zu transportieren und zu zeigen, dass wir zutiefst davon überzeugt sind, dass die freie Wissenschaft ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie ist und dies auch bleiben muss.
Sehen Sie diese Freiheit gefährdet?
Für Deutschland würde ich dies verneinen. In Deutschland können Universitäten und Forschungseinrichtungen frei Wissenschaft betreiben. Aber diese Freiheit ist nicht selbstverständlich. Und wir erfahren eine gesteigerte Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Ergebnissen und aus meiner Sicht macht sich eine gewisse Entfremdung durchaus bemerkbar. Die Art und Weise, wie wir wissenschaftlich denken und arbeiten, wie wir faktenbasiert Schlüsse ziehen, scheint nicht mehr so richtig verstanden zu werden. Stattdessen lassen sich viele von Kräften einfangen, die einfache Lösungen anbieten und wissenschaftliche Ergebnisse werden verstärkt in Frage gestellt. Der Klimawandel ist da sicherlich das beste Beispiel.
Wie genau läuft die Kampagne ab?
Wir wollten eine sehr niederschwellige Kampagne durchführen. Deshalb arbeiten wir mit dem einfachen Slogan „Wissen schafft …“, den erst mal jeder oder jede für sich vervollständigen kann. Ziel des Ganzen ist es, mit Menschen in Kontakt zu kommen, mit denen wir sonst eher nicht in den Dialog treten. Das gelingt bisher sehr gut.
Den Start haben wir sehr bewusst mit dem March for Science verknüpft, um zu Beginn maximale Aufmerksamkeit zu erzielen. In der Onlinekommunikation nutzen wir neben der Homepage vorrangig Instagram als Medium. Es ist uns wichtig, die Online- und Offlinekommunikation und sowohl große als auch kleine Bühnen zu verknüpfen, um möglichst nicht nur solche Leute zu erreichen, die ohnehin schon an Wissenschaft interessiert sind.
Ein Beispiel dafür ist, dass ich künftig regelmäßig auf den Wochenmarkt hier in Zeuthen gehen und dort unter dem Titel „Wissen schafft Gespräche“ versuchen werde, in Kontakt mit den Brandenburgerinnen und Brandenburgern zu kommen. Ich hoffe, dass solche Aktionen ein Markenzeichen dafür werden, wie man miteinander in den Austausch kommt. Und ich hoffe, dass das auch andere motiviert, sich auch an dieser Aktion zu beteiligen.
Die Kampagne läuft erst mal nur in Brandenburg, weshalb?
Das liegt in erster Linie daran, dass wir als DESY hier in Zeuthen unseren Standort haben. Brandenburg hat in den letzten Jahren eine hervorragende Entwicklung im Bereich der Wissenschaft gemacht, darauf wollen wir gemeinsam mit unseren Partnern, der TH Wildau und dem AIP Potsdam, aufmerksam machen. Wir wollen zeigen, was wir alles erreicht haben und mit den Menschen vor Ort in den Dialog darüber treten, was die Vorteile sind, wenn man Wissenschaft betreibt.
Was sind denn die Vorteile von Wissenschaft?
Wir sind eine wissensbasierte Gesellschaft. Der gesellschaftliche Fortschritt, den wir tagtäglich erleben ist eng mit der Wissenschaft verknüpft und basiert im Wesentlichen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Speziell mit Blick auf den Klimawandel und Bewegungen wie Fridays for Future, möchte ich damit keinesfalls sagen, dass wir alles richtig gemacht haben, schon gar nicht meine Generation. Trotzdem glaube ich, dass wir die Voraussetzungen dafür gelegt haben, dass jetzt beispielsweise Schülerinnen und Schüler für solche Zwecke auf die Straße gehen. Dinge in Zweifel zu ziehen, ihnen auf den Grund zu gehen und dadurch Fortschritte zu ermöglichen, sind Grundsätze der Wissenschaft und ich glaube, dass wir hier viel erreicht haben. Ohne die Wissenschaft gäbe es unsere moderne Welt in dieser Form nicht. Und neben der wissenschaftlichen Erkenntnis schaffen wir auch für die Region wichtige Arbeitsplätze.
Welche Botschaften möchten Sie vermitteln?
Neben der Botschaft, dass Wissenschaft frei sein muss und der Vermittlung von wissenschaftlichen Denkweisen und Methoden, ist eine ganz zentrale Botschaft, dass Wissenschaft international ist. Wir wollen zeigen, dass Wissenschaft von Menschen aus aller Welt gemacht wird und dass die Welt längst zu Gast in Deutschland und eben auch hier in Brandenburg ist. Dafür wollen wir Kontakte schaffen und Verbindungen herstellen. In Zeuthen erlebe ich bereits eine große Offenheit und eine große Gastfreundschaft unseren internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gegenüber. Trotzdem ist es wichtig, weiter und konsequent im Austausch zu stehen, um Vorurteile abzubauen.
Außerdem geht es natürlich darum zu zeigen, was für tolle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier forschen und was diese großartiges leisten. Das zu transportieren ist mir ebenfalls ein großes Anliegen und die Kampagne schafft hoffentlich auch dafür geeignete Räume.
Wie erleben Sie den Austausch?
Wir machen hier bei DESY in Zeuthen bereits sehr viel an Öffentlichkeitsarbeit. Dabei erreichen wir vermutlich größtenteils Menschen, die grundsätzlich offen sind für unsere Arbeit. Trotzdem gibt es am Anfang immer erst mal eine gewisse Scheu, die sich dann aber, sobald wir uns in den Dialog begeben, relativ schnell in Offenheit, Neugierde und die Bereitschaft zuzuhören verwandelt. Auch mir persönlich bringt der Dialog mit Menschen, die nicht so tief wie ich in der Wissenschaft verwurzelt sind, unglaublich viel, da sie eine ganz andere Sichtweise auf die Dinge mitbringen und andere Fragen stellen.
Ich habe es natürlich auch schon erlebt, dass man mit Menschen in Kontakt kommt, die wissenschaftliche Fakten schlicht und einfach ignorieren und dem Dialog gegenüber nicht offen sind. Das sind Menschen, die man schlicht und einfach nie überzeugen wird. Meistens überwiegen aber Neugierde und Anerkennung für die Arbeit der Forscherinnen und Forscher.
Auf der Homepage heißt es, die Kampagne sei eine wissenschaftspolitische, keine parteipolitische. Was ist der Unterschied und wieso wird er so deutlich gemacht?
„Wissen schafft“ ist eine wissenschaftspolitische Kampagne, weil sie sich ganz klar auf das Grundgesetz bezieht. Da gibt es eine klare Abgrenzung von der Parteipolitik. Für uns ist es wichtig, dass die Menschen, die über Wissenschaft entscheiden, zur Freiheit stehen. Dazu zählt, die wissenschaftlichen Erkenntnisse anzuerkennen.
Als Beispiel dafür, wieso das wichtig ist, ziehe ich gerne die Äußerungen von Christian Lindner heran, der damals bei den Anfängen von Fridays for Future gefordert hat, dass die Schülerinnen und Schüler diese Beurteilung den Expertinnen und Experten überlassen sollten. Da haben sich dann innerhalb kürzester Zeit 11.000 meiner Kolleginnen und Kollegen zu Wort gemeldet und gesagt, dass die Demonstrierenden Recht haben. An diesem Beispiel sieht man, dass in Bereichen, in denen es um die politische Anerkennung wissenschaftlicher Ergebnisse geht, noch Nachholbedarf besteht. Und das leider nicht nur bei Parteien, die den Klimawandel leugnen.
Die großen Forschungseinrichtungen sind bisher nicht bekannt dafür, sich politisch zu äußern. Gibt es auch Kritik daran, dass sie dies so klar tun?
Ich erlebe einen positiven Wandel. Bis vor wenigen Jahren haben die Forschungseinrichtungen sich größtenteils aus dem gesellschaftlichen Diskurs herausgehalten oder höchstens mit fachlichen Beiträgen beteiligt. Heute nehme ich vermehrt wahr, dass Kolleginnen und Kollegen aktiv für Werte eintreten wollen und sich viele Gedanken über gezielte Maßnahmen machen. In unserem Fall erhalte ich viel positive Rückmeldung sowohl von DESY insgesamt als auch von der Helmholtz-Gemeinschaft, zu der wir ja gehören. Das ist eine generelle Tendenz und zeigt sich auch in Aktionen wie „Wissen vom Fass“ oder „Pint of Science“. Aktionen also, in denen Wissenschaft in den gesellschaftlichen Alltag Einzug hält und aktiv den Dialog außerhalb eines klassischen Vortrags führt. Da hat sich in letzter Zeit sehr viel zum Positiven verändert im Bereich der Wissenschaftskommunikation. Viele Kolleginnen und Kollegen sind aktiver geworden.
Ein Beispiel für jemanden, der sich kürzlich sehr aktiv politisch geäußert hat, ist Hans Müller-Steinhagen, der Rektor der TU Dresden. Wie haben Sie diese Diskussion erlebt?
Ich fand es auf der einen Seite großartig, dass die TU Dresden und insbesondere Hans Müller-Steinhagen so klar hervortritt und einen Aufruf startet, sich für die Grundwerte der Demokratie, für Weltoffenheit und Toleranz, einzusetzen. Auf der anderen Seite bin ich erschrocken, dass es so einen Aufruf überhaupt geben muss und ich bin enttäuscht, dass die Resonanz aus der deutschen Wissenschaftsgemeinde so gering ist. Die TU Dresden ist eine der erfolgreichsten deutschen Unis, leidet aber unter der aktuellen politischen Lage.
In Zeuthen habe ich es auch schon erlebt, dass mich Menschen zu Stellenangeboten gefragt haben, welches gesellschaftliche Klima hier herrscht und ob man mit Familie herziehen kann. Bisher kann ich diese Frage eindeutig mit Ja beantworten. Doch dass das so bleibt, daran müssen wir arbeiten und genau deshalb sind solche Aktionen wichtig, auch mit Blick auf die Landtagswahlen im September. Wissenschaft und Bildung sind eine große Chance für Brandenburg und das müssen wir zeigen. Ich glaube, dass uns das gelingen wird.
Was schafft denn Wissen für Sie?
Für mich ist Wissen ein Kulturgut. Für mich ist es ein Teil des Menschseins und zwar unabhängig davon, ob es eine direkte Anwendung für das Wissen gibt oder nicht. Ich arbeite ja eher im Grundlagenbereich und das zu tun, ist eine große intellektuelle Befriedigung: Man sucht nach Antworten auf die grundlegenden Fragen der Welt und schafft es hin und wieder sogar, ihnen einen entscheidenden Schritt näher zu kommen. Das schafft Wissen für mich ganz persönlich.
Darüber hinaus habe ich eine große Bewunderung dafür, was uns dank der Wissenschaft inzwischen möglich ist. Wenn ich sehe, was wir inzwischen alles Positives bewegen können und wie sehr Wissenschaft unsere Lebensbedingungen insgesamt verbessert hat, dann beeindruckt mich das. Gleichzeitig zeigt es, dass Wissenschaft eine der großen Triebfedern der Menschheit ist.
Hinzu kommt eine gewisse Demut. Wenn ich mir überlege, was wir Menschen uns alles vorstellen können und wozu wir in der Lage sind, dann entsteht dadurch für mich ein positives Menschenbild – denn mir wird klar, wie viel wir noch erreichen können.
Was würde passieren, wenn Ihre Kampagne oder auch andere Aktivitäten mit ähnlichen Zielen scheitern?
Jedes Gespräch, dass wir mit Menschen führen, mit denen wir sonst nicht sprechen würden, ist ein Erfolg der Kampagne. Ich weiß nicht, ob wir unsere Ziele, den Wert von Wissenschaft und die Werte der Wissenschaft klarer zu kommunizieren, erreichen. Aber ich glaube, wir sollten keinesfalls müde werden, uns für die Ziele einzusetzen. Der Einsatz dafür ist für mich alternativlos, selbst wenn einzelne Kampagnen mal nicht den gewünschten Effekt haben sollten. Wir haben es vielleicht in der Vergangenheit ein bisschen verschlafen, den Kontakt mit großen Teilen der Gesellschaft aktiv von uns aus zu suchen und zu vermitteln, warum Wissenschaft etwas nützt – und zwar allen. Da gilt es nun, dran zu bleiben und ich bin überzeugt, dass wir insgesamt nicht scheitern, sondern vielmehr gestärkt aus jedem Gespräch herausgehen werden.