Jahresrückblick #4 – Politik, Diversität und das Wissenschaftsbarometer

Wissenschaftskommunikation ist in diesem Jahr so präsent in der öffentlichen Debatte wie noch nie. Wir schauen zurück auf die Themen, die die Community neben, trotz und wegen der Corona-Pandemie beschäftigt haben und geben Tipps zum (wieder) lesen aus der Redaktion. Heute: Oktober bis Dezember.

Wissenschaft und Politik

Wie steht es um das Verhältnis von Wissenschaft und Politik und welche Rolle sollten Forschende in der Politikberatung einnehmen? Darum drehte sich der vierte Themenschwerpunkt 2020. Martina Franzen blickte im Gespräch etwa auf die Politikberatung zu Corona zurück und wünschte sich für die Zukunft vor allem mehr Diversität in der Politikberatung und eine ganz klare Definition der Rollen in diesem Prozess. Eine Rolle, die sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestimmter Fachbereiche vielleicht gar nicht aussuchen können. Das überlegte Kommunikatorin Natascha Buhl im Interview über Instrumente der Public Affairs. Dabei denkt sie an Fächer wie die Agrarwissenschaften, die in einem hochgradig politisch regulierten Bereich arbeiten. Ihre Frage an die Community lautete daher: Kommuniziert die Wissenschaft nicht immer auch im politischen Raum? 

„Der Austausch von Wissenschaft und Politik lebt von einem individuellen, kontinuierlichen Dialog auf Augenhöhe.“ Anne Rother im Statement
Einen Blick in den Maschinenraum der Politikberatung haben wir außerdem in der Statementreihe „Politikberatung in der Praxis“ geworfen. „Der enge Austausch mit der Politik bei gleichzeitiger Unabhängigkeit (…)“ ist etwa für Knut Koschatzky ein bewährter Weg für die Politikberatung des Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. Das beste Format sieht Caroline A. Lodemann von der Leibniz-Gemeinschaft im direkten Kontakt, „denn gerade im persönlichen Austausch beobachten wir ein großes Interesse und Bereitschaft zu echter und offener Diskussion.“ Das bestätigten auch Politikerinnen und Politiker in ihren Statements. SPD-Landtagsabgeordnete Daniela Sommer sagte aber auch: „Im Umgang mit neuem wissenschaftlichem Wissen braucht es daher akzeptanzgewinnende Strategien der Wissenstransformation.“

Die Teilnehmenden unserer Community-Umfrage äußerten darin einige Wünsche für das Feld der Politikberatung: Dazu gehören vor allem mehr Engagement von Seite der Wissenschaft (63 Prozent) und der Politik (92 Prozent) und ein Großteil fand, dass die Rolle der Wissenschaft nicht bei der Einordnung der Ergebnisse enden sollte (74 Prozent). Weiter Teile der Umfrage befassten sich mit den Wünschen für die Politikberatung und den Strategien, die als effektiv empfunden werden.

 

Wie beeinflussen politische Debatten in den Medien unser Verständnis von wissenschaftlichen Erkenntnissen im selben Themenfeld? Das diskutierte Senja Post, Professorin für Wissenschaftskommunikation an der Universität Göttingen, in einem Beitrag beim European Journalism Observatory.

Siggener Kreis – die Krise kommunizieren

„Ich wünsche mir, dass wir selbst und auch die Forschenden krisenfester werden. Kommunikations-folgenabschätzung ist hier ein Schlüssel und das ist auch unsere Expertise.“ Elisabeth Hoffmann im Interview
Wie sollte Wissenschaft in einer umfassenden Krise wie der Corona-Pandemie kommunizieren? Qualitätssicherung, Zusammenarbeit, Krisenfestigkeit und vor allem, wann eine Institution auch mal nicht kommunizieren sollte – darüber hat der Siggener Kreis im Spätsommer diskutiert. Elisabeth Hoffmann fasste die Debatte zum Impulspapier im Interview zusammen und wünscht sich mehr gemeinsame Vorbereitung auf stürmische Zeiten.

Im Fokus: Populismus und Wissenschaftsleugnung

„Was wir eher beobachten, ist ein stärkeres Auseinanderdriften der beiden Enden des Spektrums.“ Benjamin Krämer im Interview
Warum greifen rechte Populisten vor allem Felder wie Klima- oder Genderforschung an? Das untersuchte der Kommunikationswissenschaftler Benjamin Krämer. Im Interview sprach er über die Mechanismen, die dahinter stecken und sagte: „Auch klassische und etablierte Medien bedienen diese Narrative vielfach“ und nannte dabei konkret auch Verschwörungsideologien und -mythen, die von diesen aufgegriffen würden. Eine Beobachtung, die auch Psychologe Philip Schmid im Gastbeitrag teilte. Als Beispiel nannte er die falsche Balance in der Berichterstattung, also „dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Wissenschaftsleugnerinnen und Wissenschaftsleugner in Medien oft wie gleichwertige Kontrahenten dargestellt werden. Das weckt beim Publikum fälschlicherweise den Eindruck, dass die unterschiedlichen Positionen durch ein gleiches Maß an Evidenz gestützt seien“. Wie die Wissenschaftskommunikation damit umgehen kann, beschrieb er im Gastbeitrag. Postfaktische Apokalypse? – Vier Strategien gegen Wissenschaftsleugnung. Ein Thema, das auch Kognitionswissenschaftler Stephan Lewandowsky beschäftigte. Im Interview sprach er über die wichtigsten Ansätze, um den Kampf gegen Fehlinformationen zu gewinnen und wie sich das Fact-Checking auf Social-Media-Plattformen auswirkt. Darin sagte er: “Inoculating people against being manipulated will be crucial”. (Beitrag in Englisch)

Wie divers ist Wissenschaftskommunikation?

„Wir müssen meines Erachtens auch in Bezug auf die Wissenschaftskommunikation über Macht und Ungleichheiten im Feld sprechen und nicht nur über ‚Diversität‘.“ Heike Mauer im Statement
„Wer wird als wissenschaftliche Community und Öffentlichkeit imaginiert, sichtbar gemacht und angesprochen, und wie lässt sich Wissenschaftskommunikation inklusiver und intersektional gestalten?“ – Positionen dazu bezogen im Beitrag vier Akteurinnen, die sich mit Repräsentation, Gleichberechtigung und Chancengleichheit beschäftigen. Ein Fazit daraus: „Die Wissenschaftskommunikation ist wenig diversitätssensibel“.

Passend dazu diskutierte Wissenschaftsautorin Ann Finkbeiner den nach ihr benannten Finkbeiner-Test. Damit kann man herausfinden, ob ein Text Attribute von Frauen thematisiert, die bei Männern so nie benannt werden würden – etwa ihre Mutterrolle. Vielleicht gibt es aber Situationen, in denen man diese Punkte doch betonen sollte, überlegte Finkbeiner in einem Beitrag.

Eine Debatte zum Thema Qualitätskontrolle

Führen mehr Forschende in den Medien vor allem zu mehr Verwirrung? Und braucht es eine Qualitätskontrolle? Mit ihrem Video zu diesen Fragen hatte Mai-Thi Nguyen-Kim eine Debatte gestartet und vor allem auf Twitter wurde kontrovers diskutiert: Funktioniert Peer-Review für die Wissenschaftskommunikation? Werden vor allem Nachwuchsforschende dadurch entmutigt, sich zu äußern? Wer kontrolliert das? Und selbst wenn es machbar wäre, sollte man diese Verwirrung nicht besser anders lösen?

 

Eine Lösung für diese Fragen sahen Laura König und Jan Crusius in stärkeren sozialen Normen in der Wissenschaftskommunikation. Sie sagten darum im Gastbeitrag: „Die Wissenschaftskommunikation braucht einen Ehrenkodex“.

Wissenschaftsbarometer #2

„Selbst ungesichertes Wissen aus der Wissenschaft ist etwas anderes als eine Meinung.“ Pia Lamberty im Interview
Das letzte große Thema des Jahres war die Veröffentlichung des Wissenschaftsbarometers 2020 – bereits das Zweite nach dem Corona-Spezial im Frühjahr. Pia Lamberty sah im Gespräch darüber vor allem eine positive Nachricht, denn: „Die Daten zeigen, dass die Bevölkerung in der Lage ist zu sehen, dass wissenschaftliche Diskurse existieren und es Unsicherheiten gibt, die es zu kommunizieren gilt.“ Beunruhigend sei allerdings, „dass das Vertrauen in die Politik im Vergleich zum Beginn der Pandemie noch weiter zurückgegangen ist“. Auch die Politik beschäftigte sich mit den Ergebnissen der Umfrage. In einer Statementreihe sah Anna Christmann von den Grünen in den Daten einen „Auftrag an alle Forschenden, aber auch an die Politik“. Warum mehr Menschen im Corona-Jahr in die Wissenschaft vertrauen, ein kleiner – zunehmend lauter – Teil hingegen überhaupt nicht, beschäftigt Sozialpsychologe und Autoritarismusforscher Oliver Decker. Er kommentiert im Interview ebenfalls die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers 2020 und erklärt die gemeinsamen Mechanismen hinter Vertrauen und Misstrauen in etablierte Institutionen.

Grafik: Wissenschaft im Dialog

 


Weitere Jahresrückblicke

Jahresrückblick #1 – Neue Zielgruppen, Vertrauen in Wissenschaft und ein unbekanntes Virus

Jahresrückblick #2 – Gesundheitskommunikation, Vertrauen, junge Zielgruppen und digitale Lösungen

Jahresrückblick #3 – Alles digital, Journalismus und Corona, #FactoryWisskomm