Jahresrückblick #4 – Politik, Diversität und das Wissenschaftsbarometer
Wissenschaftskommunikation ist in diesem Jahr so präsent in der öffentlichen Debatte wie noch nie. Wir schauen zurück auf die Themen, die die Community neben, trotz und wegen der Corona-Pandemie beschäftigt haben und geben Tipps zum (wieder) lesen aus der Redaktion. Heute: Oktober bis Dezember.
Anne Weißschädel war Redakteurin des Portals Wissenschaftskommunikation.de. Die studierte Kultur- & Medienmanagerin und Romanistin interessiert sich für Trends, Mechanismen und Best Practices der Wissensvermittlung – vor allem über digitale Kanäle. Sie ist bei Wissenschaft im Dialog tätig.
Wissenschaft und Politik
Wie steht es um das Verhältnis von Wissenschaft und Politik und welche Rolle sollten Forschende in der Politikberatung einnehmen? Darum drehte sich der vierte Themenschwerpunkt 2020. Martina Franzen blickte im Gespräch etwa auf die Politikberatung zu Corona zurück und wünschte sich für die Zukunft vor allem mehr Diversität in der Politikberatung und eine ganz klare Definition der Rollen in diesem Prozess. Eine Rolle, die sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestimmter Fachbereiche vielleicht gar nicht aussuchen können. Das überlegte Kommunikatorin Natascha Buhl im Interview über Instrumente der Public Affairs. Dabei denkt sie an Fächer wie die Agrarwissenschaften, die in einem hochgradig politisch regulierten Bereich arbeiten. Ihre Frage an die Community lautete daher: Kommuniziert die Wissenschaft nicht immer auch im politischen Raum?
„Der Austausch von Wissenschaft und Politik lebt von einem individuellen, kontinuierlichen Dialog auf Augenhöhe.“Anne Rother im Statement
Wie beeinflussen politische Debatten in den Medien unser Verständnis von wissenschaftlichen Erkenntnissen im selben Themenfeld? Das diskutierte Senja Post, Professorin für Wissenschaftskommunikation an der Universität Göttingen, in einem Beitrag beim European Journalism Observatory.
Siggener Kreis – die Krise kommunizieren
„Ich wünsche mir, dass wir selbst und auch die Forschenden krisenfester werden. Kommunikations-folgenabschätzung ist hier ein Schlüssel und das ist auch unsere Expertise.“Elisabeth Hoffmann im Interview
„Was wir eher beobachten, ist ein stärkeres Auseinanderdriften der beiden Enden des Spektrums.“Benjamin Krämer im Interview
Warum greifen rechte Populisten vor allem Felder wie Klima- oder Genderforschung an? Das untersuchte der Kommunikationswissenschaftler Benjamin Krämer. Im Interview sprach er über die Mechanismen, die dahinter stecken und sagte: „Auch klassische und etablierte Medien bedienen diese Narrative vielfach“ und nannte dabei konkret auch Verschwörungsideologien und -mythen, die von diesen aufgegriffen würden. Eine Beobachtung, die auch Psychologe Philip Schmid im Gastbeitrag teilte. Als Beispiel nannte er die falsche Balance in der Berichterstattung, also „dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Wissenschaftsleugnerinnen und Wissenschaftsleugner in Medien oft wie gleichwertige Kontrahenten dargestellt werden. Das weckt beim Publikum fälschlicherweise den Eindruck, dass die unterschiedlichen Positionen durch ein gleiches Maß an Evidenz gestützt seien“. Wie die Wissenschaftskommunikation damit umgehen kann, beschrieb er im Gastbeitrag. Postfaktische Apokalypse? – Vier Strategien gegen Wissenschaftsleugnung. Ein Thema, das auch Kognitionswissenschaftler Stephan Lewandowsky beschäftigte. Im Interview sprach er über die wichtigsten Ansätze, um den Kampf gegen Fehlinformationen zu gewinnen und wie sich das Fact-Checking auf Social-Media-Plattformen auswirkt. Darin sagte er: “Inoculating people against being manipulated will be crucial”. (Beitrag in Englisch)
Wie divers ist Wissenschaftskommunikation?
„Wir müssen meines Erachtens auch in Bezug auf die Wissenschaftskommunikation über Macht und Ungleichheiten im Feld sprechen und nicht nur über ‚Diversität‘.“Heike Mauer im Statement
„Wer wird als wissenschaftliche Community und Öffentlichkeit imaginiert, sichtbar gemacht und angesprochen, und wie lässt sich Wissenschaftskommunikation inklusiver und intersektional gestalten?“ – Positionen dazu bezogen im Beitrag vier Akteurinnen, die sich mit Repräsentation, Gleichberechtigung und Chancengleichheit beschäftigen. Ein Fazit daraus: „Die Wissenschaftskommunikation ist wenig diversitätssensibel“.
Corona hat meine Meinung geändert. Mehr Wissenschaftler*innen in den Medien sorgen nicht für mehr Aufklärung, sondern für mehr Verwirrung. Wir brauchen Qualitätskontrollen in der #Wisskomm, sonst steht Autorität/Popularität vor Expertise/Wahrhaftigheit: https://t.co/lb3qBzhcXH
Eine Lösung für diese Fragen sahen Laura König und Jan Crusius in stärkeren sozialen Normen in der Wissenschaftskommunikation. Sie sagten darum im Gastbeitrag: „Die Wissenschaftskommunikation braucht einen Ehrenkodex“.
Wissenschaftsbarometer #2
„Selbst ungesichertes Wissen aus der Wissenschaft ist etwas anderes als eine Meinung.“Pia Lamberty im Interview
Das letzte große Thema des Jahres war die Veröffentlichung des Wissenschaftsbarometers 2020 – bereits das Zweite nach dem Corona-Spezial im Frühjahr. Pia Lamberty sah im Gespräch darüber vor allem eine positive Nachricht, denn: „Die Daten zeigen, dass die Bevölkerung in der Lage ist zu sehen, dass wissenschaftliche Diskurse existieren und es Unsicherheiten gibt, die es zu kommunizieren gilt.“ Beunruhigend sei allerdings, „dass das Vertrauen in die Politik im Vergleich zum Beginn der Pandemie noch weiter zurückgegangen ist“. Auch die Politik beschäftigte sich mit den Ergebnissen der Umfrage. In einer Statementreihe sah Anna Christmann von den Grünen in den Daten einen „Auftrag an alle Forschenden, aber auch an die Politik“. Warum mehr Menschen im Corona-Jahr in die Wissenschaft vertrauen, ein kleiner – zunehmend lauter – Teil hingegen überhaupt nicht, beschäftigt Sozialpsychologe und Autoritarismusforscher Oliver Decker. Er kommentiert im Interview ebenfalls die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers 2020 und erklärt die gemeinsamen Mechanismen hinter Vertrauen und Misstrauen in etablierte Institutionen.