Wissenschaftskommunikation ist wichtig, sagten 96 Prozent der Wissenschaftler*innen in Deutschland in einer groß angelegten Befragung. Von den Studienergebnisse, Erfahrungen und Wünschen der Teilnehmenden sowie Veränderungen durch die Corona-Pandemie berichten die Projektverantwortlichen Ricarda Ziegler, Philipp Niemann und Jens Ambrasat.
„Integraler Bestandteil des Berufslebens“
Frau Ziegler, Herr Ambrasat, Herr Niemann, Sie haben gemeinsam eine ausführliche Befragung von deutschen Wissenschaftler*innen zum Thema Wissenschaftskommunikation durchgeführt. Wie ist die Idee entstanden?
Ricarda Ziegler: Die Idee begleitet uns schon länger. Natürlich sind Wissenschaftler*innen zentrale Akteur*innen in der Wissenschaftskommunikation. Deswegen ist es wichtig, ihre Einstellungen und Meinungen zum Thema zu kennen. Es wurden schon einige solcher Befragungen in anderen Ländern durchgeführt. In Deutschland gab es kleinere, aber der große Aufschlag hat bisher gefehlt. Wir haben uns deshalb gefreut, dass wir einerseits durch die Förderung der Impact Unit durch das BMBF und durch die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung die Möglichkeit hatten, als WiD*, DZHW und NaWik* gemeinsam mit einer großen Befragung ins Feld zu gehen.
Jens Ambrasat: Das Team der Wissenschaftsbefragung des DZHW hat in dieser Kooperation den Zugang zum Feld der Wissenschaftler*innen an Universitäten bereitgestellt, methodisch bei der Erstellung des Fragebogens beraten und die Befragung technisch umgesetzt. Zudem haben wir eigene Fragen zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft und Veränderungen seit der Corona-Pandemie beigesteuert.
Wie haben Sie die Forschenden erreicht?
Ziegler: Der Sampling-Prozess lief zweistufig: Wie Herr Ambrasat erläutert hat, haben wir Forschende an Universitäten über den Pool der DZHW-Wissenschaftsbefragung erreicht. Außerdem haben wir die die vier großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Deutschland, Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Helmholtz-Gemeinschaft, als Gesellschafterorganisationen von Wissenschaft im Dialog kontaktiert. Wir hatten das Glück, dass die dortigen Kommunikationsverantwortlichen den Link zur Teilnahme an die jeweiligen Forschenden weitergeleitet haben, sodass wir insgesamt 5688 Teilnehmende an der Befragung hatten. Der Fragebogen konnte auf Deutsch und auf Englisch ausgefüllt werden.
Niemann: Zum Verhältnis: 80 Prozent der Befragten arbeiten an Universitäten und 20 Prozent an außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Sie wollten unter anderem wissen, welche Rolle Wissenschaftskommunikation im beruflichen Selbstverständnis von Wissenschaftler*innen spielt. Was haben Sie herausgefunden?
Ziegler: Für unsere Befragten können wir sagen, dass Wissenschaftskommunikation ein integraler Bestandteil ihres Berufslebens ist. Man muss natürlich im Hinterkopf behalten, dass es sich um Wissenschaftler*innen handelt, die an einer Umfrage zu dem Thema teilnehmen. Drei Viertel der Befragten stimmen zu, dass Wissenschaftskommunikation Teil des Berufs von Wissenschaftler*innen ist. 96 Prozent sagen, dass sie Wissenschaftskommunikation wichtig finden und 80 Prozent empfinden Aktivitäten in diesem Bereich als Bereicherung ihrer Arbeit.
Niemann: Was auch interessant war: Etwas mehr als die Hälfte der Befragten geht davon aus, dass Wissenschaftskommunikation einen positiven Einfluss auf die Karriere hat. Auch das ist nicht unbedingt selbstverständlich.
Gibt es auch Sorge vor negativen Effekten? Was sind Gründe, wenig Wissenschaftskommunikation zu betreiben?
Niemann: Wir haben zwei Fragen in eine solche Richtung gestellt. 83 Prozent der Befragten sagen, Zeitmangel sei eine Hürde. Nicht genügend Anlässe zu haben, ist auch ein wichtiger Aspekt, dem 63 Prozent zugestimmt haben. Einem Mangel an Ressourcen beklagen 56 Prozent. Es sagt aber nur ein geringer Anteil von acht Prozent der Befragten, dass negative Reaktionen in der Vergangenheit ihr gegenwärtiges Engagement in der Wissenschaftskommunikation beeinträchtigen.
Wir haben auch gängige Vorurteile gegenüber Wissenschaftskommunikation abgefragt. Die Zustimmung zur Aussage, Wissenschaftskommunikation wirke sich negativ auf die Qualität von Wissenschaft und Forschung aus, ist dabei relativ gering (18 Prozent). Auch die Aussage, dass in der Wissenschaftskommunikation Forschungsergebnisse unzutreffed dargestellt würden, findet bei der Mehrheit der Befragten (55 Prozent) keine Zustimmung. Wenn es heißt, dass Wissenschaftskommunikation vor allem der Werbung für wissenschaftliche Einrichtungen diene, sind die Befragten in ihrer Meinung gespalten.
Welche Unterstützung wünschen sich die Befragten?
Niemann: 84 Prozent wünschen sich mehr Unterstützung innerhalb wissenschaftlicher Einrichtungen. 82 Prozent sagen, dass es explizit im Krisenfall Unterstützung geben sollte. Finanzielle Unterstützung ist für 79 Prozent ein wesentlicher Aspekt. Wichtig sind auch Anlässe für Wissenschaftskommunikation, also beispielsweise Einladungen zu wissenschaftskommunikativen Aktivitäten. Und jeweils 70 Prozent sagen, dass sie sich bei der Evaluation von Wissenschaftskommunikaton und bei der Fort- und Weiterbildung in diesem Bereich mehr Unterstützung wünschen.
Welche Erfahrungen haben die befragten Forschenden mit Wissenschaftskommunikation gemacht?
Ziegler: Zunächst einmal hat ein Großteil Erfahrungen mit Wissenschaftskommunikation gemacht, vor allem mit eher klassischen Formaten wie öffentlichen Vorlesungen, Tagen der offenen Tür oder der Mitarbeit an einer Pressemitteilung. Eher weniger Erfahrungen haben die Teilnehmenden mit dialogorientierten Formaten der Wissenschaftskommunikation. Auch Social Media wird nur von einem kleinen Teil der Befragten genutzt.
Das heißt, Social Media spielt keine große Rolle?
Auch schätzen 87 Prozent der Befragten ihre Erfahrungen mit Wissenschaftskommunikation in der Summe als positiv ein. Überwiegend haben sie bei ihren kommunikativen Aktivitäten mit interessierten Zielgruppen zu tun, beispielsweise mit interessierten Bürger*innen oder Vertreter*innen öffentlicher Einrichtungen. Dabei kommunizieren sie vor allem eigene Forschungsthemen.
Und aus welchen Disziplinen kommen die Forschenden?
Ziegler: 39 Prozent der Befragten kommen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, 25 Prozent aus den Naturwissenschaften, 21 Prozent aus den Lebenswissenschaften und 15 Prozent aus den Ingenieurwissenschaften.
Niemann: Was die akademischen Positionen der Befragten betrifft, haben wir 42 Prozent Postdocs, 41 Prozent Predocs und 16 Prozent Professor*innen.
Gab es bei Ihren Ergebnissen Unterschiede zwischen den Wissenschaftsbereichen?
Niemann: Wenn man auf die genutzten Kommunikationsformen guckt, stechen die Geistes- und Sozialwissenschaften an manchen Stellen deutlich heraus. Zum einen ist der Anteil derer, die Erfahrungen mit Interviews und Gesprächen für Radio und Fernsehen gemacht hat, hier mit 21 Prozent mit Abstand am höchsten. Die anderen Disziplinen liegen bei zehn bis 14 Prozent. Auch, wenn es um Beiträge für Zeitungen, Zeitschriften und Webseiten geht, ist der Wert bei den Geistes- und Sozialwissenschaften mit 32 Prozent am höchsten. Danach kommen die Ingenieurwissenschaften mit 23 Prozent. Erfahrungen mit Festivals oder Tagen der offenen Tür wiederum, haben nur 25 Prozent der Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen gemacht. Die anderen Wissenschaftsbereiche liegen bei über 30 Prozent. Das kann man sich aber vielleicht ganz gut erklären: Wenn es darum geht, Dinge aus der Forschung zu zeigen und zu demonstrieren, haben weniger abstrakte Disziplinen sicher Vorteile.
Niemann: Interessant ist auch zu sehen, dass die Einschätzung, man habe ein für Wissenschaftskommunikation ungeeignetes Forschungsthema, im Bereich der Geistes-, Sozial- und Lebenswissenschaften deutlich geringer ausgeprägt ist als bei den Natur- und Ingenieurwissenschaften.
Sie haben auch Fragen zur Auswirkung der Corona-Pandemie gestellt. Wie hat sich das Verhältnis zwischen Wissenschaftler*innen und Gesellschaft in dieser Zeit verändert?
Ambrasat: Die Corona-Pandemie war und ist eine äußerst spannende Phase, in der sich das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft möglicherweise neu adjustiert. Die Gesellschaft hat tiefere Einblicke in die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion erhalten und Wissenschaftskommunikation hat eine nicht unbedeutende Rolle für politische Entscheidungsprozesse gespielt.
Die Befragung hat gezeigt, wie schnell Wissenschaftler*innen – aller Fachgebiete, nicht nur der Lebenswissenschaften – auf die neuen Bedingungen reagieren und ihre eigene Forschung auf pandemiebezogene Themen ausrichten, unter anderem, indem sie publizieren und Projekte starten. Zunächst ist positiv hervorzuheben, dass eine große Mehrheit die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft seit der Corona-Pandemie gestärkt sieht.
Was folgt aus diesen Beobachtungen – wie dem Wunsch nach schneller Problemlösung – für die Wissenschaftskommunikation?
Ambrasat: Solche Dynamiken bergen die Gefahr, dass bewährte Qualitäts- und Selbststeuerungsmechanismen innerhalb der Wissenschaft unterhöhlt und die Autonomie der Wissenschaft untergraben werden könnten. Daher wird es zukünftig wohl die größte Herausforderung, mit dem erhöhten Erwartungsdruck seitens Politik und Gesellschaft und den zunehmenden Beschleunigungsdynamiken in der Wissenschaftskommunikation umzugehen und dabei die Autonomie der Wissenschaft zu wahren.
Ziegler: Interessant ist bei den Ergebnissen auch, dass ein Drittel der Befragten sagt, dass sie im Kontext der Pandemie privat öfter um ihre Meinung gefragt werden. Man sieht also, dass sie eine Veränderung ihrer eigenen Rolle wahrnehmen.
Zur eigenen Rolle gehört auch die Frage, wie stark man sich politisch und gesellschaftlich engagiert. Was sagen die Forschenden dazu?
Niemann: 93 Prozent der befragten Wissenschaftler*innen sagen, Politik solle sich grundsätzlich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen. Wenn es aber darum geht, ob Wissenschaftler*innen sich selbst politisch einbringen oder ob sie sich politischer Werturteile möglichst enthalten sollten, sieht man ein uneindeutiges Bild. Jeweils etwa die Hälfte der Befragten stimmt diesen Aussagen zu.
Welche neuen Fragen ergeben sich aus den Ergebnissen?
Niemann: Im Prinzip ist das eine Einladung für eine qualitative Anschlussforschung, bei der man im Detail untersucht: Was steckt eigentlich hinter den Aspekten, die wir jetzt grob kennen? Beispielsweise wäre es interessant zu wissen, welche Rahmenbedingungen und Ressourcen im Bereich Wissenschaftskommunikation sich die Befragten ganz konkret wünschen.
Ziegler: Vielleicht als kleine Sneak Preview, auf das, was wir planen: Anhand des Samples wollen wir schauen, ob Gruppen von Befragten ähnliche Einstellungen haben. Zeichnen sich diese Gruppen dann auch durch ähnliche Erfahrungen oder durch gemeinsame Karrierepositionen aus? Dadurch wollen wir herausfinden, welche Zielgruppen unter den Wissenschaftler*innen wir als NaWik und als WiD adressieren können, um zukünftig auch weiterhin Wissenschaftler*innen zu ermutigen, öffentlich zu kommunizieren.
*Wissenschaft im Dialog und das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation sind zwei der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.