Was hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Wissenschaftskommunikation verändert? Das haben wir erfahrene Kommunikator*innen gefragt. Hier blickt Christian Kleinert zurück und nach vorn, zum Beispiel auf die Messung von Kosten und Nutzen, Impact und Leuchtintensität von Kinderaugen. Eine Zeitreise.
„Insgesamt eine wilde Mischung“
Früher war …
… mehr Lametta – ist man geneigt zu sagen. Besonders in den ersten Jahren von WiD wurden die von WiD umgesetzten Wissenschaftssommer mit großem Bombast eröffnet und viel Wert auf eine künstlerische Begleitung gelegt. Mein Lieblingslametta ist die Cross-Media-Oper „C – the speed of Light“ zum Einsteinjahr 2005, zu der wir auf dem Bebelplatz in Berlin (zwischen Humboldt-Uni und Staatsoper) ein eigens aus Kanada importiertes Kuppelzelt errichteten, um im Innern mit einer 360-Grad-Projektion, einer polnischen Super-Sopranistin, einem griechischen Tenor und einem Segway (ihr erinnert euch: diese Dinger auf zwei Rädern, auf denen die Touristen bis vor kurzem immer durch Großstädte fuhren) das Berliner Kulturpublikum für uns gewinnen wollten. Insgesamt eine wilde Mischung und sicher eines der gewagtesten Experimente – Kosten-Nutzen-Relation war damals offenbar noch nicht ganz so zentral wie heute. Die Resonanz war geteilt – einige Gäste flohen kopfschüttelnd und frühzeitig aus der kostenlosen Darbietung, andere wollten am Ende unbedingt ein Autogramm der quietschenden Sopranistin („Höher als die Königin der Nacht!“). Wegen Personalmangels musste ich übrigens den Türsteher und Kartenabreißer geben und mich nach Beginn unserer Oper mit dem kulturgewandten Opernpublikum aus dem zu Ende gegangenen Programm der benachbarten Staatsoper herumschlagen. Dieses verlangte neugierig aber, ob der ihnen entgangenen Kulturveranstaltung auch häufig mit einer gewissen kulturtantigen Überheblichkeit, Auskunft darüber, was denn im Innern des Zeltes vor sich ginge. Wenn die gewusst hätten, dass unsere Zuschauerplätze noch höher subventioniert waren als ihre … Kosten-Nutzen hatten wir ja schon … Nach der Show eignete sich das Zelt übrigens hervorragend für spontane Partys mit voll aufgedrehter Musik (und diesmal ohne Oper!).
Durch „diese“ sozialen Medien ist …
… nicht nur ein komplett neues Arbeitsfeld entstanden, sondern es haben sich viele Chancen ergeben, sehr direkt mit Menschen in Kontakt zu treten. Wo die Gefahren liegen, haben aber längst auch alle begriffen. Lustig ist eigentlich, dass nach wie vor neu auf den Markt drängende Social-Media-Angebote immer erst belächelt werden und jeder denkt: was soll der Quatsch? Dann merken aber alle: Mist – da ist ja unsere Zielgruppe! Traf eigentlich immer zu – außer für SnapChat – das habe ich bis heute nicht kapiert – genauso wenig wie FOMO.
Ich bin froh, dass ich nicht mehr …
… für Fundraising zuständig bin. Ganz ehrlich: einer meiner schlimmsten Einsätze. Alle glauben, das Geld werde in schwarzen Koffern herumgetragen und haben die Erwartung, man könne mal schnell bei der Bahn, Coca Cola oder irgendeiner Stiftung anrufen und eine Rechnung schicken. Klappt leider nicht und da wir auch keine Bandenwerbung zu verkaufen haben, die dann Millionen Menschen im Fernsehen sehen, bleibt es ein kompliziertes Geschäft. Wir haben dafür eine Menge cooler Inhalte und Formate – und mittlerweile zum Glück auch ein großes Netzwerk an geeigneten möglichen Trägern und Kooperationspartnern, die zusammen mit uns Projekte umsetzen.
Die beste Erfindung für die Wissenschaftskommunikation ist …
… die Wissenschaft – sonst hätten wir nichts, über das wir sprechen könnten J.
Insgesamt hat sich die Wissenschaftskommunikation in meiner Berufszeit …
… in vielerlei Hinsicht stark gewandelt und weiterentwickelt. 20 Jahre bin ich nun schon in diesem Bereich unterwegs, allein 17 davon bei WiD mit immer wieder wechselnden Aufgaben. Ich musste mich schon als Dinosaurier bezeichnen lassen – ich mag Dinosaurier. Über diese lange Zeit haben sich zahlreiche Schlagworte, Eindrücke, Trends, erste und auch letzte Male gesammelt. Hier ein kurzes Stakkato: PUSH, Elfenbeintürme (kaum kaputtzukriegen …), breite Öffentlichkeit (galt damals als Zielbeschreibung), Stadt der Wissenschaft, Communicator-Preis, Eventisierung, Scitainment, Hype des Wissenschaftsjournalismus, Partizipation, Wissenschaftssommer, Euroscience Open Forum, Evaluation, Forum Wissenschaftskommunikation, Crossmedialität, Facebook (muss man haben!), Siggen, Science of Sciencecommunication, Krise des Wissenschaftsjournalismus, Fake News, Facebook (sollen wir das lassen?), …
Weiß eigentlich noch jemand, was eine Falzmaschine ist? Damit wurden die ausgedruckten Pressemitteilungen an der Pressestelle der Uni Bonn, wo ich 2001 meine ersten Gehversuche in der Wissenschaftskommunikation unternehmen durfte, versandfertig gefaltet, eingetütet und verbunden mit der Hoffnung auf Resonanz zum Briefkasten getragen. Öffentlichkeit erreichen ging damals irgendwie anders, langsamer – und mit Medien. Bis heute unverändert geblieben ist der Wunsch nach Aufmerksamkeit, nur aus dem „Damit müssen wir in die Tagesthemen (oder wenigstens auf die Seite 3)“ ist ein „Wir sollten ein virales Video machen“ geworden – beides – heute wie damals – oft genug nur fromme Wünsche.
Eine bedeutende Entwicklung der Wissenschaftskommunikation der letzten 20 Jahre ist die entstandene Forschung in diesem Feld und die damit verbundene Wirkungsorientierung. Böse Menschen sagen, dass vor 20 Jahren der Erfolg eines Tages der offenen Tür an „leuchtenden Kinderaugen“ gemessen wurde – heute werde wenigstens gefragt, wie stark die Kinderaugen auf einer Skala von 1-7 geleuchtet haben – sowas würde ich aber nie sagen und ganz im Ernst: Begleitforschung, Evaluationen und Wirkungsorientierung sollten sich selbstverständlich im Werkzeugkasten der Wissenschaftskommunikation finden.
Wenn ich heute in den Beruf starten würde, würde ich …
… mich freuen, wenn ich wieder das Glück hätte, auf so viele, mir so freundlich gesonnene Menschen zu treffen. Ich glaube, ich wollte auch wieder zu WiD (es sei denn, ich sollte Fundraising machen …).
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