„Nicht nur an eine dritte Tischseite, sondern an einen ganz anderen Tisch“: Im Laufe ihrer Karriere, die sie inzwischen zur Wissenschaftskommunikation an der TU Dresden und zum „Netzwerk Teilchenwelt“ führte, hat die Chemikerin Uta Bilow mehrfach die Perspektive gewechselt. Ihren Weg beschreibt sie im Jobprofil.
Im Profil: Uta Bilow
Karriereleiter, Karrieresprung oder Karrierekarussell – Wie war Ihr Weg in die Wissenschaftskommunikation?
Auf dem Weg zu meiner jetzigen Tätigkeit habe ich öfters die Tischseiten gewechselt. Zunächst war ich Wissenschaftlerin und habe an der Uni Bonn eine Doktorarbeit in anorganischer Festkörperchemie angefertigt. Natürlich hat mich in dieser Zeit auch die Frage beschäftigt, was ich hinterher machen möchte: Forschung in der chemischen Industrie? Karriere an der Hochschule? Entscheidungshilfe kam in Form eines Artikels in der „Chemie in unserer Zeit“ daher. In dem Text beschrieb der Leiter des Wissenschaftsressorts bei der FAZ, Rainer Flöhl, seinen Berufsalltag und Wege in den Wissenschaftsjournalismus. Seine Perspektive fesselte mich. Flöhl schrieb: „Man kann tagtäglich Neues entdecken, für die Leser und natürlich für sich selbst.“ Also habe ich diesen Weg eingeschlagen und nach der Promotion zunächst in verschiedene Redaktionen hereingeschnuppert, um das Handwerkszeug zu lernen und Kontakte herzustellen. Ein Stipendium des Fonds der Chemischen Industrie sicherte meinen Lebensunterhalt während dieser Praktika und Hospitanzen. Anschließend habe ich zwölf Jahre lang als freie Wissenschaftsjournalistin in Dresden gearbeitet, vor allem für Zeitungen und Magazine, anfangs auch häufiger für den Deutschlandfunk. Nun saß ich den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gegenüber, habe sie befragt nach ihren Forschungsergebnissen und der Relevanz ihrer Resultate.
Dann kam der erneute Wechsel, nicht nur an eine dritte Tischseite, sondern an einen ganz anderen Tisch, nämlich hin zur Teilchenphysik. An der TU Dresden lockte mich eine neue (halbe) Stelle in der Wissenschaftsvermittlung: Es ging um die Koordination eines internationalen Programms für Schülerinnen und Schüler, die in sogenannten Masterclasses die aktuelle Forschung an Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN kennenlernen können. Später übernahm ich zusätzlich die Co-Leitung von „Netzwerk Teilchenwelt“, das mein Kollege Michael Kobel aufgebaut hat. In diesem Netzwerk haben sich 30 Forschungsinstitute und Unis zusammengeschlossen, um Jugendliche in ganz Deutschland nachhaltig an diese Forschung heranzuführen, zunächst mit Masterclasses, dann über Workshops am CERN und schließlich durch eigene Forschungsarbeiten. Dazu gibt es noch ein Programm zur Fortbildung von Lehrkräften. Und in einem aktuellen Projekt entwickeln wir zusätzliche Komponenten, die weitere Zielgruppen ansprechen werden, beispielsweise mit einem mobilen Ausstellungsmodul, das durch Einkaufszentren oder Bahnhofshallen touren soll.
Meine Tätigkeit als freie Journalistin führe ich immer noch in geringem Umfang fort, beschränke mich dabei aber auf die Elektronen unter den Elementarteilchen, also auf Themen mit Chemiebezug.
Was sind die größten Herausforderungen in Ihrem Job und warum lohnt es sich trotzdem jeden Tag?
Derzeit natürlich die COVID-19 Pandemie. Fast alle Programme sind gestoppt. Masterclasses finden normalerweise im Klassenzimmer statt – dafür gehen Promovierende in die Schulen. Oder Jugendliche kommen für einen Tag ans Forschungsinstitut. Das geht gerade alles nicht, und daher konzipieren und erproben wir Onlineformate als Ergänzung. Am CERN werden monatelang noch keine Besuchendengruppen zugelassen sein, weder Jugendliche, noch Lehrkräfte. Für diesen attraktiven Ort und seine spezielle Atmosphäre kann man schwerlich Ersatz schaffen. Grundsätzlich hilft in der derzeitigen Situation, dass digitale Arbeitsformen und Methoden in der Teilchenphysik Standard sind. Videokonferenzen, Onlineseminare, digitale Auswertung von Kollisionsdaten – all das ist etabliert.
Eine mehr generelle Antwort: Als Wissenschaftsvermittlerin bin ich eine Art Katalysator: Ich versuche, interessierte Jugendliche oder Lehrkräfte mit der Forschung bzw. den Forschenden zusammenzubringen. Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist diese Arbeit on top. Zusätzlich zu Forschung und Lehre leisten sie Outreach. Viele von den Promovierenden engagieren sich gerne in der Nachwuchsförderung (und profitieren selber davon, im Sinne von Social Skills). Das stößt aber noch immer nicht bei alle Chefinnen und Chefs auf Verständnis, manche legen mehr Wert auf die nächste Publikation.
Weiter: Die Teilchenphysik steht oft nicht im Lehrplan. Und viele Lehrkräfte fühlen sich auch selbst nicht fit auf dem Gebiet. Deshalb haben wir eigenes Unterrichtsmaterial entwickelt und führen Schulungen und Fortbildungen durch. Schließlich muss man auf Seiten der Jugendlichen auch versuchen, die weniger Interessierten zu erreichen. Nicht nur die, die „Spektrum der Wissenschaften“ verschlingen und sowieso schon ein MINT-Studium im Sinn haben. Alle anderen sollten auch eine Vorstellung entwickeln, welchen Wert Forschung hat und warum das gut investiertes Steuergeld ist.
Lohnend ist all diese Arbeit, weil es immer wieder tolle Rückmeldungen gibt. Wenn ein Physikstudent schreibt, dass ihm die Erfahrungen im „Netzwerk Teilchenwelt“ geholfen haben, das schwierige erste Semester zu bewältigen, dann ist das schon sehr schön. Oder wenn mir eine Doktorandin mailt, dass sie als Schülerin an einer Masterclass teilnahm und nun schließlich Physikerin am CERN ist. Dann habe ich meine Aufgabe als Katalysator erfüllt.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Wissenschaftskommunikation?
Noch immer erhalten Forscherinnen und Forscher, die sich im Outreach engagieren, zu wenig Anerkennung und Karrierepunkte. Im Zweifelsfall zählt eine zusätzliche Veröffentlichung oder ein weiterer Konferenzvortrag doch mehr – bei der eigenen Leitung oder erst recht bei der Bewerbung auf die nächste Stelle, das Stipendium, das Fördergeld. Hier fehlt ein Anreizsystem, wie das Eintreten für die Wissenschaftskommunikation konkret angerechnet werden kann. Parallel dazu müssen entsprechende Fortbildungsmöglichkeiten an den Hochschulen etabliert werden.
Die dritte Mission als Aufgabe der Hochschulen wird häufig nur mit Transfer in die Wirtschaft übersetzt. Dabei ist der Transfer in die Gesellschaft eine ebenso wichtige Aufgabe. Daher freut es mich sehr, dass die Bundesforschungsministerin vor ein paar Monaten ein Grundsatzpapier zur Wissenschaftskommunikation vorgelegt hat, dem hoffentlich konkrete Maßnahmen folgen werden. Beispielsweise, dass Förderprogramme künftig entsprechende Aktivitäten vorsehen und dafür auch Mittel und Stellen eingeplant werden können.
Bonusfrage: Wieso ist es aus Ihrer Sicht wichtig, jungen Menschen die Welt der Teilchenphysik näher zu bringen?
An dem Thema lassen sich viele Werte festmachen und Kompetenzen vermitteln. In einer Masterclass erfahren Jugendliche beispielsweise, wie im Wechselspiel von Theorie und Experiment neue Erkenntnisse gewonnen werden. Sie können selber Entdeckungen machen – beispielsweise Signaturen des Higgs-Teilchens finden – und dabei nachvollziehen, wie akribisch die Wissenschaft eine solche Entdeckung vor der Bekanntgabe auf den Prüfstand stellt. So lässt sich erkennen, mit welchen Methoden die Forschung arbeitet und wie wissenschaftlich belastbare Resultate zustande kommen – im Gegensatz zu Fake News und Fake Science.
Die Teilchenphysik gehört zur Grundlagenforschung, und daran kann man gut vermitteln, dass diese Forschung an sich einen hohe Wert hat – auch wenn sie viel Geld kostet und zunächst „nur“ Erkenntnisse liefert. Aber der Blick auf die allerkleinsten Bestandteile der Materie ist für viele Menschen faszinierend, weil er die menschliche Neugier befriedigt. Und diese Triebfeder gehört zu unserer Kultur.
Und schließlich ist diese Forschung geprägt durch internationale Kollaborationen, in denen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam an einem Ziel arbeiten, selbst wenn ihre Regierungen keine freundschaftlichen Beziehungen zueinander pflegen. „Science for Peace“ ist das Motto des CERN, das 1954, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, gegründet wurde. Der Gedanke der Völkerverständigung liegt ebenso dem Teilchenbeschleunigerzentrum SESAME zugrunde, das vor einigen Jahren in Jordanien gebaut wurde, und an dem Menschen aus acht Ländern des Nahen Ostens, darunter Iran und Israel, gemeinsam forschen. In einer Zeit erstarkender Nationalismen mit allen resultierenden Verwerfungen kann es nicht verkehrt sein, dieses Modell unter jungen Menschen populär zu machen.
Uta Bilow ist promovierte Chemikerin. Sie arbeitete viele Jahre als freie Wissenschaftsjournalistin für Rundfunk und Print. Dann ging sie an die Technische Universität Dresden, wo sie seitdem nationale und internationale Programme zur Wissenschaftskommunikation in der Teilchenphysik mitverantwortet und die Arbeitsgruppe Wissenschaftsvermittlung leitet.