Für ein Projekt der Universität Greifswald fahren Forschende in umliegende Kleinstädte und berichten über ihre Arbeit. Projektleiterin Julia Lammertz erläutert das Konzept und verrät, welche Erfahrungen sie bisher mit der Wissenschaftskommunikation auf dem Lande gemacht hat.
Im ländlichen Raum Präsenz zeigen: Universität trifft Region
Frau Lammertz, seit eineinhalb Jahren gibt es an der Universität Greifswald das Projekt „Universität in der Region“, bei dem Forschende mit Bürgerinnen und Bürgern im ländlichen Raum diskutieren. Wie kam es zu dieser Idee?
Gestartet ist das Projekt im Oktober 2018. Zuvor hatten das Rektorat, die Pressestelle der Uni sowie das Zentrum für Forschungsförderung und Transfer gemeinsam das Grundkonzept entwickelt. Hintergrund ist, dass die Universität bereits seit Jahren Verantwortung für die Region übernimmt, Stichwort: „Third Mission“. So haben wir schon viele populärwissenschaftliche Veranstaltungen wie die Reihe Universität im Rathaus, die Familienuniversität oder die Nacht der Wissenschaft. Aber diese finden eben in Greifswald statt. Wir wollen mit der Wissenschaftskommunikation jedoch auch den ländlichen Raum erreichen.
Was genau machen Sie in diesem Projekt?
Wir fahren mit Forscherinnen und Forschern der Universität zu Vorträgen und Diskussionen in kleinere Orte im Landkreis Vorpommern-Greifswald, der übrigens deutlich größer ist als das Saarland. Dabei konzentrieren wir uns momentan auf drei Städte mit jeweils rund 10.000 Einwohnern: Pasewalk, Anklam und Wolgast. Diese sind 25 bis 75 Kilometer Luftlinie von Greifswald entfernt und liegen auch nicht zu dicht beieinander, so dass es untereinander keine Konkurrenz gibt. Wir haben uns für solche Mittelzentren entschieden, da sie für die Bevölkerung der umliegenden Gemeinden noch relativ gut erreichbar sind.
Berücksichtigen Sie bei der Themenwahl, dass die Veranstaltungen im ländlichen Raum stattfinden?
Absolut. Aber nicht im Sinne von: Man kann dem Publikum dort nicht so viel Wissenschaft zumuten. Sondern wir fragen uns: Was interessiert die Leute dort? Dafür befragen wir auch unsere lokalen Partner, vor allem Personen und Organisationen, die sich für die demokratische Entwicklung engagieren. Wir haben durchaus typische Themen wie Demenz, Antibiotika, Radikalisierung im Netz oder den Klimawandel. Spezieller wurde es etwa in Anklam, dort ist die Wiedervernässung der Moore ein großes Thema. Dazu wird auch bei uns an der Universität intensiv geforscht. Es war klar, dass dieses Thema nicht nur auf Wohlwollen im Publikum stoßen würde. Deshalb war es uns hier besonders wichtig, in eine Interaktion und Diskussion zu treten, statt nur frontal einen Vortrag zu halten.
Hat das funktioniert?
In diesem Fall sehr gut. Es kamen wie erwartet kritische Rückfragen aus dem Publikum, etwa von Menschen, deren Höfe von der Wiedervernässung von Moorgebieten betroffen sind. Die Stimmung war anfangs recht konfrontativ. Die Referentin hat aber die Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger sehr ernst genommen, Fragen sachlich beantwortet und Hintergründe erklärt. Die Leute waren am Ende nicht restlos glücklich – aber sie waren dankbar, dass ihnen jemand zugehört und konstruktiv mit ihnen diskutiert hatte. Viele sagten: So eine Veranstaltung hätten wir früher schon gebraucht, bevor die Maßnahmen zur Moorvernässung von der Politik beschlossen wurden.
Ist es schwieriger, für dieses Projekt Referentinnen und Referenten zu finden als für andere Projekte?
Nein, gar nicht. Zum einen laden wir natürlich Forschende dazu ein, die sich schon bei anderen populärwissenschaftlichen Veranstaltungen engagiert haben. Zum anderen haben wir zu Beginn des Projekts eine Rundmail an alle Personen geschrieben, die an der Universität wissenschaftlich tätig sind. Nun haben wir eine gute Mischung aus bekannten und neuen Referentinnen und Referenten. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass neu berufene Professorinnen und Professoren spontan ein Angebot unterbreitet haben, wenn wir beim ersten Kontakt über unser Projekt gesprochen haben. Zugleich ist es ein ideales Format für Nachwuchsforschende wie Doktorandinnen und Doktoranden, die sich in der externen Wissenschaftskommunikation ausprobieren und ihre Forschung der Bevölkerung auf Augenhöhe erklären wollen.
Zum einen möchte die Universität mit ihrer Präsenz zeigen, wie wichtig ihr der Wissenstransfer auch in die umliegende Region ist. Zum anderen gibt es viele regionale Forschungsprojekte, die vor Ort leider oft unbekannt sind, jedoch von einer besseren Vernetzung zwischen Universität und Land profitieren. Und nicht zuletzt macht man das natürlich auch, um potenzielle Studierende anzusprechen, indem man ihnen die Vielfalt der Forschung an der Universität vor ihrer Haustür näherbringt.
Welche Veranstaltungen sind im ländlichen Raum am erfolgreichsten? Gab es Überraschungen?
Eine überraschend große Resonanz hatten wir, als wir einmal in eine noch kleinere Stadt gefahren sind: Loitz, etwa 30 Kilometer von Greifswald entfernt, etwas mehr als 4.000 Einwohner. Ein Alumnus der Universität hatte uns angesprochen, weil er für seine Promotion in Theologie in der Loitzer Kirchenbibliothek recherchiert hatte und dort auf wahre Schätze gestoßen war, unter anderem eine über 400 Jahre alte hebräische Bibel mit handschriftlichen Notizen. Darüber wollte er vor Ort einen Vortrag halten, für den dann die Kirchenbibliothek ihre Pforten für das Publikum öffnen sollte. Ich muss zugeben, dass ich skeptisch war: Ein sehr kleiner Ort, ein sehr spezielles Thema. Aber der Gemeindesaal platzte aus allen Nähten! Es waren mehr als 40 Zuhörerinnen und Zuhörer, was gemessen an den Rahmenbedingungen ein beachtlicher Erfolg ist. Die Besichtigung der Kirchenbibliothek und Begutachtung der alten Bibel war anschließend noch ein Highlight, sozusagen Forschung zum Anfassen – mit starkem regionalem Bezug. Das gefiel den Leuten wirklich gut.
Und was hat bisher nicht funktioniert?
Ein Reinfall – ebenfalls für uns sehr überraschend – war ein Vortrag in Zinnowitz, einem beliebten Ostsee-Urlaubsort auf der Insel Usedom. Es war ein leichtes Thema, das auch noch ansprechend präsentiert wurde: „Fastfood oder regionale Küche? Nahrungssuche bei brütenden Lachmöwen“. Eigentlich perfekt für Urlauberinnen und Urlauber, die dort Veranstaltungen im „Haus des Gastes“ normalerweise gerne besuchen. Nun ja, es kamen genau zwei Zuhörerinnen. Die Wissenschaftlerin hat trotzdem einen tollen Vortrag abgeliefert.
Woran könnte das gelegen haben?
Das haben wir uns natürlich auch gefragt. Es gibt dort manchmal Vorträge zur Bäderarchitektur, da ist das Haus voll und die Leute zahlen sogar noch Eintritt. Unsere Veranstaltungen sind kostenlos. Letztlich können wir nur spekulieren: Es war September und an diesem Tag war das Wetter sehr schön, nachdem es drei Tage lang durchgeregnet hatte. Vielleicht haben viele die Gelegenheit zu einem abendlichen Strandspaziergang genutzt. Wirklich erklären können wir es nicht – aber so ist das eben manchmal, das gehört auch dazu. Wir werden es wieder versuchen.
Gibt es noch andere Lernerfahrungen?
Wir haben gemerkt, dass es auch wichtig ist, dass die Partnerstadt hinter der Idee steht und die Veranstaltung unterstützt, zum Beispiel durch eigene Werbung vor Ort durch die Pressestelle. Außerdem spielt die Räumlichkeit eine Rolle. In Anklam haben wir einen sehr schönen Seminarraum der Sparkasse nutzen können, im ersten Stock der örtlichen Filiale. Das ist aber kein etablierter Veranstaltungsort, da dort normalerweise keine öffentlichen Vorträge stattfinden. Ein Raum im Rathaus wäre vermutlich besser geeignet gewesen. Grundsätzlich sind wir immer noch in einer Phase des Lernens und Ausprobierens. Was uns allerdings enttäuscht und auch irritiert, ist die äußerst geringe Resonanz von Politikerinnen und Politikern aus dem Kreistag und manchen Gemeindevertretungen trotz regelmäßiger schriftlicher Einladungen.
Wie finanziert sich das Projekt?
Wir erhalten Mittel vom Vorpommern-Fonds, mit dem die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern wirtschaftliche, soziale und kulturelle Projekte im eher strukturschwachen Landesteil Vorpommern fördert. Die Fördersumme beträgt 6.000 Euro für zwei Jahre. Davon finanzieren wir eine studentische Hilfskraft, Werbematerial wie Plakate und Online-Anzeigen sowie Reisekosten. Das reicht nur deshalb aus, weil wir vor Ort keine Raummiete zahlen müssen, weil die Referentinnen und Referenten ohne Honorar arbeiten und weil in der Pressestelle sowie im Zentrum für Forschungsförderung und Transfer immer wieder engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einspringen, wenn es etwas zu tun gibt. Die Arbeit lohnt sich aber aus Sicht des Rektorats. Deshalb hat die Uni vor Kurzem bereits beschlossen, das Projekt auf jeden Fall auch nach Ablauf der zwei Jahre fortzusetzen.