Martina Schäfer beschäftigt sich in der heutigen Eröffnungskeynote beim Forum Citizen Science mit der Frage, welche Wirkungen Bürgerwissenschaft auf die Gesellschaft hat. Im Interview gibt sie einen Ausblick.
„Ich wünsche mir mehr Forschung über die Wirkungen von Citizen Science“
Frau Schäfer, welche Wirkungspotenziale haben die Bürgerwissenschaften aus Ihrer Sicht?
Es gibt mittlerweile sehr viele Erwartungen an die Wirkungen von Citizen-Science-Projekten. Die Demokratisierung der Wissenschaft, Vermittlung von Wissen über die Wissenschaft und die Öffnung von Forschungsprozessen für Bürgerinnen und Bürger sind da nur einige Beispiele. Ich persönlich komme aus der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung und blicke eher von außen auf die Bürgerwissenschaften. In beiden Forschungsfeldern ist eine Öffnung der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft zu beobachten. Die Forschung dazu, welche Wirkungen damit verbunden sind, steht aber noch ziemlich am Anfang und ist methodisch auch sehr anspruchsvoll.
Wie könnte man die Wirkung von Citizen-Science-Projekten in Bezug auf diese Ziele messen?
Dafür muss man beispielsweise eine Befragung mit den beteiligten Freiwilligen vor, während und nach dem Projekt durchführen, um zu überprüfen, ob sich ihr Verständnis über wissenschaftliches Arbeiten oder in dem jeweiligen Themengebiet verbessert hat. Das allein ist schon sehr aufwendig. Außerdem braucht man eine ausreichende Anzahl an unterschiedlichen Teilnehmenden – Männer, Frauen, verschiedene Altersstufen –, um überhaupt eine Aussage treffen zu können. Diese Art der Forschung auf der Metaebene ist in den meisten Projekten gar nicht vorgesehen. Wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit der Wirkung von Citizen Science beschäftigen, sind derzeit häufig Sekundäranalysen auf der Basis von Veröffentlichungen aus den Projekten. Das ist leider nur bedingt aussagekräftig, da in diesen Artikeln häufig nicht der Fokus auf den Wirkungspotenzialen liegt. Wenn man den Anspruch an Citizen Science allerdings so formuliert, dass sie gesellschaftliche Wirkungen haben soll, dann wäre es schon gut, hier punktuell genauer hinzuschauen und sich zu bemühen, entsprechende Nachweise zu erbringen. Auch die Mittelgeber fordern vermehrt Belege dafür ein, dass die eingesetzten Gelder für Bürgerbeteiligung sinnvoll verwendet wurden. Und auch die Forschungsprojekte selbst formulieren Ansprüche, die über die reine Produktion von Wissen hinausgehen.
Was müsste dafür passieren?
Vor der Herausforderung, genauere Aussagen zu den angestrebten Wirkungen machen zu können, stehen derzeit alle Forschungstypen, die sich stärker gegenüber der Gesellschaft öffnen. Dazu gehören transdisziplinäre Forschungsansätze genauso wie Citizen Science oder sogenannte „Reallabore“. Hier gilt es, sich dieser Herausforderung zu stellen – auch wenn es methodisch nur in Einzelfällen möglich sein wird, kausale Zusammenhänge zu formulieren. Durch eine konsequente Begleitung der Forschungsprozesse wäre aber bereits viel gewonnen. Sehr vielversprechend ist außerdem der Austausch zwischen Akteuren dieser verschiedenen Forschungstypen, wie er heute im Rahmen des Forums Citizen Science begonnen wird. Ich denke, dass wir gegenseitig viel voneinander lernen können, wie Wirkungspotenziale in Projekten besser angelegt und wie Wirkungen verschiedener Art erfasst werden können.
Und was speziell Citizen Science angeht: Um zum Beispiel demokratischere Forschungsprozesse in Gang zu setzen, stellt sich die Frage, ob man die Bürgerinnen und Bürger nicht schon von Beginn an einbeziehen müsste – von der Forschungsfrage über die Datenerhebung bis zur Analyse und Auswertung. Hier kann man sicher auch von Ansätzen der Aktionsforschung oder Participative Action Research lernen, die in den 1970er-Jahren eine stärkere Rolle gespielt haben. Diese hat stärker den Anspruch, die Zivilgesellschaft in ihren Anliegen mit Forschung zu unterstützen. Empowerment der Beteiligten ist hier ein vorrangiges Ziel.
Wie sehen Sie allgemein die Entwicklungen im Bereich der Citizen Science?
Da passiert gerade unheimlich viel. Historisch gesehen hatten solche Projekte vor allem das Ziel, eine Vielzahl von Menschen in die Datenerfassung einzubeziehen, um eine breitere Datengrundlage zu erreichen. Klassische Beispiele sind etwa das Vorkommen bestimmter Vogel- oder Pflanzenarten. Die Teilnehmenden wurden dabei in der Regel nicht in die Auswertung der Daten einbezogen oder darüber informiert, was mit den Ergebnissen passiert und welche Schlüsse daraus gezogen wurden. Der Transfer von Informationen ist in den letzten Jahren aber stetig erweitert worden und durch das Internet gibt es viel mehr Möglichkeiten der Teilhabe an den verschiedenen Schritten des Forschungsprozesses. Einbezogen in die Formulierung der Fragestellung und in die Analyse und Auswertung der Daten werden die Teilnehmenden aber immer noch recht selten. Hier sehe ich schon einen Unterschied zur Nachhaltigkeitsforschung, in der die gemeinsame Formulierung des Problems, das bearbeitet werden soll, einen wichtigen Stellenwert einnimmt.
Und was könnten sich Citizen-Science-Projekte von der Nachhaltigkeitsforschung abschauen?
Der Ausgangspunkt ist etwas anders: Wenn es um Nachhaltigkeit geht, haben wir fast immer ein Problem und aus den Forschungsergebnissen sollen konkrete Maßnahmen zur Bearbeitung dieses Problems abgeleitet werden. Die müssen dann wiederum von der Politik, NGOs, Unternehmen oder Verwaltungen umgesetzt werden. Es ist also oft sinnvoll, diese Akteure schon früh in die Beschreibung der Ausgangssituation und die Entwicklung der Handlungsempfehlungen einzubeziehen. Bei Citizen Science ist die Handlungsorientierung häufig nicht so stark ausgeprägt. Es wird eher Grundlagenwissen, zum Beispiel zum Vorkommen bestimmter Arten, zur Qualität des Süßwassers etc. erarbeitet. Die Diskussion darüber, was diese Ergebnisse bedeuten – und welche Maßnahmen gegebenenfalls zu einem Stop des Artenrückgangs oder zur Verbesserung der Süßwasserqualität führen, finden dann oft woanders statt. Davon bekommen die Bürgerinnen und Bürger relativ wenig mit. Auch der Anspruch scheint ein wenig anders gelagert zu sein: Es geht hier weniger um gemeinsame Lernprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis, sondern darum, dass die Freiwilligen an wissenschaftliches Arbeiten herangeführt werden.
In den letzten Jahren zeichnet sich allerdings ab, dass sich Citizen Science sehr vielfältiger Aufgaben und Fragestellungen annimmt und auch ganz unterschiedlich dabei vorgeht. Insofern scheinen sich die beiden Forschungsrichtungen anzunähern, was einen Dialog miteinander umso sinnvoller macht.