Wissenschaftskommunikation gewinnt an vielen Universitäten und Forschungseinrichtungen auch auf Leitungsebene immer mehr an Bedeutung. Im Interview teilt der Wissenschaftskommunikator und neue Präsident der Karlshochschule International University Robert Lepenies seine Ansicht zur strategischen Ausrichtung von Wissenschaftskommunikation als Brücke zu jungen Menschen und Gesellschaft.
„Ich unterstütze Experimente und dezentrales Kommunizieren”
Herr Lepenies, Vor zwei Jahren berichteten Sie uns von Ihren Erfahrungen bei TikTok. Sie sagten damals, dass Sie aus ethischen Gründen hofften, dass der Kanal vielleicht wieder verschwindet und sich eine neue Plattform anbietet. Was hat sich seitdem getan?
Erstmal hat sich getan, dass sehr viele Kolleg*innen den Schritt gewagt haben, TikTok auszuprobieren. Es haben sich verschiedene Communities mit vielen spezialisierten Themen gebildet. Das ist schön zu sehen. Die Anerkennung, auch von Seiten der jeweiligen Institutionen, an denen die Wissenschaftler*innen tätig sind, ist gewachsen. Man kann es durchaus als Gewinn sehen, dass wissenschaftliche Inhalte und Wissenschaft als Beruf durch Plattformen wie TikTok einer breiteren fachfremden Masse zugänglich gemacht werden können, weil dies ja doch eine Sphäre ist, die oft noch als etwas „verstaubt“ antizipiert wird. Allerdings hat sich im Bereich der Ethik der Plattform nicht viel getan. Damit meine ich den Umgang mit den Daten der User*innen. Die Debatten bleiben ähnlich, zuletzt wurde TikTok auf Diensthandys für US-Kongressabgeordnete aus Gründen der Cybersecurity verboten. Strukturell problematischer ist der von Davidow und Malone diagnostizierte Dopamin-Kapitalismus – TikTok (wie auch alle anderen kommerziellen Plattformen) nutzt uns und unsere Daten aus, versucht die Verweildauer und damit Werbeeinnahmen zu maximieren – häufig auf Kosten unserer mentalen Gesundheit.
Sie kommunizieren in sozialen Medien zur Verhaltensökonomie und Ihrem Alltag als Universitätspräsident. Welche Ihrer TikToks oder Reels waren besonders populär, und warum?
Inhaltlich habe ich selber noch keinen richtigen Trend ausmachen können, weil ich sehr situations- und gelegenheitsabhängig poste, wenn ich gerade mal Zeit habe oder eine Sache besonders wichtig erscheint. Ich bin daher nicht der strategische Content Creator, der genau wüsste, “Okay, es läuft besser, wenn ich ein längeres Video über Verhaltensökonomik mache”. Ich habe gemerkt, dass es immer gut geht, sich über den Alltag als Wissenschaftler zu beschweren. Das spricht viele Leute an. Entweder weil sie selbst drinstecken oder weil sie es gerade hinter sich haben.
Sie sind der neue Präsident der Karlshochschule International University in Karlsruhe und damit einer der jüngsten deutschen Hochschulleiter. Gibt es bereits konkrete Pläne, wie Sie in Ihrer Leitungsposition die Wissenschaftskommunikation in den sozialen Medien weiterverfolgen möchten?
Sie sprachen in Ihrem vergangenen Interview auch an, dass Forschende oft skeptisch sind oder sich eventuell nicht trauen, in den sozialen Medien zu kommunizieren. Gibt es an der Karlshochschule eine langfristig angelegte Social-Media-Strategie für Studierende und Mitarbeitende?
Noch nicht – wir sind hier direkt am Experimentieren und im „Doing“. Danach kann dann die Überlegung folgen, wie man das in die Institution einbaut. Allerdings beschäftigen sich viele unserer Studierenden bereits im Rahmen ihres Studiums mit Social Media: In unserem Studiengang „Communication, Social Media and Storytelling“ (im Bereich Management und Kulturwissenschaft) geht es um die wissenschaftliche Bearbeitung der Themen aber auch um praktische Social Media Kompetenzen und deren ethische und gesellschaftskritische Reflektion und Einordnung. Dabei steht die offene Debatte an erster Stelle, und die passiert vor Ort, im Seminarraum. Das ist weiterhin der zentrale Ort für die gelebte Interaktion mit den Studierenden. Darüber hinaus erforscht beispielsweise eine unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, Julia Beckmann, die Kommunikation junger Menschen auf Social Media diskursanalytisch – es geht um verantwortungsvollen und reflexiven Mediengebrauch in ihren Kursen, aber auch um theoretische Untermauerung.
Ein Beispiel für diesen offenen Austausch mit Studierenden sind auch Ihre digitalen, öffentlichen “student hours”. Dabei können Studierende Sie niedrigschwellig per Instagram Livestream im Büro besuchen. Was waren Ihre Erfahrungen bei der ersten Runde dieses neuen Angebots?
Wir sind eine relativ kleine Uni. Man kennt fast alle Studierenden mit Namen. Es ist also quasi immer “student hour”. Aber über das digitale Format schaffen wir auch einen Rahmen für Alumni und Studierende, die nicht vor Ort sind. Die erste Runde ging relativ langsam los, aber dann, als sich eine sehr aktive Studentin einschaltete, hatten wir auf einmal eine lebhafte Debatte darüber, wie man die UN-Nachhaltigkeitsziele besser an die Uni bringen kann. Dadurch hatten wir dann auch gleich eine Idee für ein Event. Und auf einmal sah man, wie die Zuschauer*innenzahl stieg und danach immer mehr Emails mit weiteren Ideen kamen. Generell war es also ein schönes Experiment, welches ich gerne wiederholen würde.
Denken Sie, dass mehr deutsche Wissenschaftler*innen nicht nur bei Twitter, sondern auch bei Instagram und TikTok kommunizieren sollten?
Ich weiß nicht, ob ich das beantworten sollte. Jetzt bin ich ja in einer anderen Rolle. Als Wissenschaftler hätte ich vermutlich geantwortet, dass Twitter gerade in den letzten Monaten gefühlt noch toxischer geworden ist. Da muss man schon wirklich gut im Blockieren und Stummschalten sein, um einigermaßen ungeschoren davonzukommen. Gleichzeitig ist es weiterhin eine tolle Plattform, um der neuesten Forschung zu folgen. Vor allem die direkte Kommunikation über die Hierarchieebenen hinweg ist toll.
Ich habe, glaube ich, eher strukturelle Bedenken. Das heißt: Haben wir die Wissenschaftspolitik in Deutschland so organisiert, dass sich junge Wissenschaftler*innen trauen zu kommunizieren oder ist das vielleicht für die Karriere schädlich? Kann überhaupt geplant werden, wann sie Karriere machen? Und wie wirkt sich das auf Kommunikationsbedürfnisse und -möglichkeiten aus? Die zentrale Frage ist: Wie kriegen wir junge Wissenschaftler*innen dazu zu kommunizieren? Wenn man sowieso keine Karrieremöglichkeiten sieht, ist eigentlich auch die Plattform egal.
Welche Plattformen halten Sie in der Zukunft für besonders interessant oder relevant für die Wissenschaftskommunikation?
Ich sehe viele Kolleg*innen, die jetzt zu Mastodon wechseln. Ich würde sagen, ich finde es nicht schlecht, wenn man sich Crossposting-Dienste anschaut, um sich ein bisschen plattformunabhängiger zu machen. Also den gleichen Inhalt auf verschiedenen Plattformen streuen. Wichtig dabei ist zu gucken, wer jetzt genau das Zielpublikum ist. Jüngere Menschen finden sich nun mal eher auf TikTok oder Instagram.
Gibt es derzeit Trends in der Wissenschaftskommunikation, die Sie begeistern?
Wissenschaftskommunikation ist ein zentrales Thema bei den meisten Projektanträgen, die ich momentan sehe. Das ist eine tolle Entwicklung. Ich beobachte, dass Gerechtigkeitsfragen immer mehr Teil der Debatte werden. Also mit wem spricht man eigentlich und wen bindet man bei Forschungsfragen ein? Das ist die Schnittstelle zwischen Wissenschaftskommunikation und Citizen Science. Aber auch Themen wie Umweltgerechtigkeit und die Einbeziehung von Bürger*innenbewegungen sehe ich vermehrt. Das vermengt sich gerade zu einem generellen Fortschritt.