Foto: Stephan Höck

„Ich möchte zeigen, was die Wissenschaft in den Geisteswissenschaften ist“

Früher war einmal? Tabea Henn wünscht sich für die Geschichtswissenschaften mehr als nur Storytelling aus der Vergangenheit. Ein Gespräch über ihren Instagram-Kanal, zu wenige Geisteswissenschaftler*innen in der Wissenschaftskommunikation und Universitäten, die Studierende bei ihrer Kommunikation unterstützen sollten.

Tabea Henn studiert Geschichtswissenschaften an der Universität Hamburg und war unter anderem in der Arbeitsgruppe Public History unter der Leitung von Thorsten Logge als studentische Hilfskraft und Tutorin tätig. Aktuell absolviert sie ihre Masterarbeit zum Thema „Wenn mit Geschichte Politik gemacht wird. Zur Funktion von Geschichtsnarrativen der extremen Rechten in Hamburg während der 1970er Jahre.“ Zudem hat sie 2021 am History Slam der Gerda-Henkel- Stiftung teilgenommen

Frau Henn, auf Ihrem Instagram-Kanal @klios _ spiegel kommunizieren Sie über Geschichtswissenschaften. Warum haben Sie den Kanal gegründet?

Mein Hauptgrund war, dass ich mir eine andere Wissenschaftskommunikation über die Geschichtswissenschaft wünschte. Aktuell spreche ich ungern von Wissenschaftskommunikation in der Geschichtswissenschaft, weil man es oft nicht so nennen kann, finde ich. Es kommunizieren zwar relativ viele Leute, aber oft nur auf einer Storytelling-Ebene. Wenn aktuell Ergebnisse nach außen getragen werden, dann sind das oft eher Geschichten aus der Vergangenheit, nach dem Motto “früher ist dieses und jenes passiert”. Woher man dieses Wissen über die Vergangenheit eigentlich hat, wird selten kommuniziert. Ich habe auch in meinem persönlichen Umfeld erlebt, dass Leute meinten, ich wäre keine richtige Wissenschaftlerin oder würde keine richtige Wissenschaft studieren. Da habe ich für mich beschlossen: Ich möchte zeigen, was die Wissenschaft in den Geisteswissenschaften ist.

Was bedeutet der Name des Kanals?

Klio ist die Muse der Geschichtsschreibung und eine der neun griechischen Musen. Geschichte ist immer ein Spiegel der Gegenwart und der Gesellschaft. So habe ich den Namen zusammengesetzt.

 

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Sie haben in Ihrem Vortrag auf der WissKon22 erwähnt, dass Sie für Ihren Instagram-Kanal einmal den Kommentar erhalten haben: „Schade, ich dachte, es geht auf deinem Kanal um Geschichte.“ Bestätigen Sie solche Kommentare darin, dass mehr zu und aus den Geschichtswissenschaften kommuniziert werden muss?

Ich fand den Kommentar selber sehr schade. Ich weiß natürlich nicht, wie viel sich die Person von meinem Kanal angeschaut hat, aber am Ende scheint die Person nicht das gefunden zu haben, was sie suchte. Aber es zeigt mir, dass ein gewisses Verständnis für Geschichtswissenschaft noch fehlt. Auf dem Kanal stelle ich die Methoden der Geschichtswissenschaft vor und erkläre, was daraus ableitend über die Vergangenheit erzählt werden kann und was nicht. Ich schaue mir auch an, wie unsere Gesellschaft mit Geschichte umgeht. Zum Beispiel hatte ich eine Beitragsreihe über eine etwas krude wissenschaftliche These, die besagte, dass 300 Jahre des Mittelalters eine Fälschung seien. Diese These ist irgendwann in den 90er-Jahren aufgetaucht und wurde auch in der Fachwissenschaft diskutiert. Sie hat sich aber sehr schnell als nicht haltbar herausgestellt. Nichtsdestotrotz kursiert dieser Mythos immer noch im Internet und auch der Autor dieser These verbreitet sie weiterhin. Er stellt sich selbst als Außenseiter dar, nach dem Motto: Ich habe eine großartige These, aber die verknöcherte Geschichtswissenschaft möchte nicht anerkennen, wie genial ich bin. Das habe ich aufgegriffen und die „Argumente“ für die These fachwissenschaftlich widerlegt. Als letzten Post habe ich erklärt, was diese These mit Verschwörungserzählungen gemein hat und warum man aufsehenerregenden Außenseitermeinungen lieber nicht glauben sollte.

„ Jede*r hat etwas zu kommunizieren, weil jede Wissenschaft so viele Themen bearbeitet. " Tabea Henn

Wie suchen Sie Ihre Themen aus?

Ich habe nicht wirklich ein Schema. Es sind Themen, die mir selbst am Herzen liegen. Ich beschäftige mich beispielsweise sehr viel mit Erinnerungskultur, insbesondere wie wir uns an die Zeit des Nationalsozialismus und die Shoah erinnern. Und wie wir diese Zeit in Deutschland aufgearbeitet haben oder wie ich sagen würde, eher nicht aufgearbeitet haben.

Meistens ist es eine spontane Idee, die ich bekomme, wenn ich beispielsweise Postings von anderen Leuten betrachte. Ich bin auch auf Twitter aktiv. Dort gibt es manchmal Diskussionen, die ich aufgreife. Wenn es eine neue Publikation gibt, dann kommen mir beim Lesen oft schon Ideen. Mittlerweile ist die Recherche durch die Erfahrung einfacher geworden. Am Anfang habe ich gefühlt alles notiert, weil ich dachte, dass alles irgendwie wichtig ist. Mittlerweile merke ich schon beim Lesen: Das wäre super für einen Post, das streiche ich, oder das klammere ich vielleicht aus, weil ich das auch auf Nachfrage erzählen kann.

Sie haben sich auf Twitter gewünscht, dass mehr Geisteswissenschaftler*innen Wissenschaftskommunikation betreiben. Was glauben Sie, warum sie so selten vertreten sind?

Ich habe das Gefühl, dass die gesellschaftliche Anbindung schwieriger ist. Die Leute haben von Wissenschaft ein spezielles Bild, nämlich die Person, die mit einem Kittel im Labor steht. In den Naturwissenschaften gibt es zudem eine andere Faktizität als in den Geisteswissenschaften, denn gegen Naturgesetze kann man nicht verstoßen. Wenn zum Beispiel die Linguistik sagt, dass Gendern sinnvoll ist, weil es inklusiver ist, dann kann natürlich trotzdem die einzelne Person sagen: Nö, finde ich doof, mache ich nicht. Mir ist das auch schon häufig passiert, dass ich einen historischen Fakt richtiggestellt habe und daraufhin jemand kommentiert hat, dass es in Ordnung wäre, Kritik zu äußern. Denn man könne ja mal eine andere Meinung haben. Woraufhin ich dachte: Das ist keine Meinung, die ich hier präsentiert habe, sondern ein Fakt.

Ist es auch ein Ziel von Ihnen, mit dem Kanal mehr Geisteswissenschaftler*innen zu ermutigen, selbst Wissenschaftskommunikation zu betreiben?

Ich würde es mir auf jeden Fall wünschen. Jede*r hat etwas zu kommunizieren, weil jede Wissenschaft so viele Themen bearbeitet. Aber man muss es sich auch erst einmal trauen und natürlich auch die Ressourcen dafür haben.

„Ich habe mir jeden Tag etwa eine halbe Stunde explizit Zeit für den Kanal genommen." Tabea Henn

Wo wir gerade über Ressourcen sprechen, Sie studieren noch und ein Instagram-Kanal ist zeitaufwendig. Wie organisieren Sie sich zeitlich?

Ja, das ist auf jeden Fall zeitintensiv. Ich habe mir jeden Tag etwa eine halbe Stunde explizit Zeit für den Kanal genommen. Dadurch habe ich mich richtig darauf gefreut. Neben der Masterarbeit war es schön, noch etwas anderes zu haben. Das hat mich motiviert, dran zu bleiben. Ich hatte dadurch die Möglichkeit, mich mit Themen auseinanderzusetzen, die mit meinem Studium oder meiner Masterarbeit erst mal nichts zu tun haben.

Was würden Sie Leuten raten, die auch mit einem Instagram-Kanal in die Wissenschaftskommunikation einsteigen möchten?

Ein Tipp wäre: Wenn einem aus dem Stegreif zehn Themen einfallen, dann kann man einen Kanal starten. Wenn es weniger sind, sollte man noch einmal über die Themen nachdenken. Aber wenn man es sich traut, würde ich sagen: Einfach machen! Ich bin eine Person, die durch Machen lernt. Mir reicht nicht nur die Theorie, ich muss es gleich anwenden. Ich hatte davor überlegt: Sollte ich mein Konzept noch ein bisschen mehr ausarbeiten? Ich habe dann aber beschlossen, einfach zu starten. Man sollte sich bei der Konzeption eines solchen Projektes nicht zu sehr ins Kleinteilige verfangen, weil es immer etwas gibt, was man vorher noch machen könnte. Da würde ich raten, lieber anzufangen, als zu viel nachzudenken, weil es sich entwickelt. Mein erster Post existiert auch gar nicht mehr (lacht). Den habe ich mittlerweile überarbeitet.

Im Nachhinein hätte ich von Anfang mehr institutionelle Kooperation eingehen sollen. Einfach, weil ich dann eventuell auf Know-How, finanzielle Mittel oder auch allgemeine Unterstützung hätte zurückgreifen können. Letztens bekam ich den Tipp einfach die Pressestelle der Uni Hamburg anzuschreiben, mit der Bitte einen kleinen Text für mich zu schreiben. An sowas habe ich vorher überhaupt nicht gedacht oder mich gar getraut! Das liegt aber auch an meinem Status als Studierende. Wissenschaftskommunikation wird für die meisten Kommunizierenden erst ab der Promotion relevant und ist kein Teil des Studiums. Das halte ich für einen großen Fehler und sollte sich in Zukunft unbedingt ändern.