Der Soziologe Steffen Mau erhielt jüngst den Communicator-Preis 2023. Im Interview spricht er über Wissenschaftskommunikation in einem emotional aufgewühlten gesellschaftlichen Klima und weshalb es ihm wichtig ist, seine Forschung zu kommunizieren.
„Ich möchte nicht mit dem Rücken zum Publikum kommunizieren“
Herr Mau, Sie haben kürzlich den Communicator-Preis 2023 der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Stifterverbands erhalten. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Es ist eine Anerkennung für eine vielleicht etwas untypische Form der Wissenschaftskommunikation. Ich denke, dass die Jury nicht nur meine Präsenz in den klassischen Medien gewürdigt hat, sondern vor allem die vielen kleinen Formen der Kommunikation, etwa in Plattenbaugebieten oder in peripheren Regionen. Also dort, wo Wissenschaftskommunikation eher selten stattfindet.
Weshalb finden Sie es wichtig, Ihre Forschung zu kommunizieren?
Ich habe mich nie explizit als öffentlicher Soziologe verstanden. Meine Kommunikation ist immer eher ein Nebenprodukt der Themen, die ich behandle, gewesen. Ich habe also nie eine klare Publikations- oder Wissenschaftskommunikationsstrategie verfolgt, sondern festgestellt, dass es eine große Nachfrage nach den Themen, die ich bearbeite, gibt. Das Interesse an Deutungsangeboten, Orientierungswissen, überhaupt nach wissenschaftlichen Befunden liegt nahe, wenn man sich mit Themen wie der Transformation Ostdeutschlands oder neuen sozialen Konflikten beschäftigt. Diese Nachfrage habe ich versucht zu bedienen. Dadurch ist dann mehr und mehr eine öffentliche Wirkung entstanden.
In einem Interview mit der ZEIT sagten Sie, als Soziologe seien Sie ein Mythenjäger. Wie kommuniziert man über soziale Mythen wie der vielzitierten „Spaltung der Gesellschaft“, die sich in öffentlichen Diskursen verfestigt haben, sich aber nicht zwangsläufig in den Forschungsdaten widerspiegeln?
Zunächst muss man natürlich empirische Forschung machen und darf einem schon vorhandenen Diskurs nicht einen weiteren Metadiskurs hinzufügen. Sondern man muss versuchen, Dinge zu fundieren, erstmal Wissen zu generieren und sich in dem Feld gut auszukennen. Dann muss man in der Lage sein, verschiedene Puzzleteile so zusammenzulegen, dass sie ein großes Ganzes ergeben und schlussendlich dieses auch in der Öffentlichkeit mit entsprechenden rhetorischen Kniffen zu kommunizieren. Ich arbeite häufig mit sprachlichen Bildern und versuche somit eine Anschaulichkeit herzustellen, mit der ich mich letztendlich vom soziologischen Jargon wegbewege. Das wird in meiner Zunft sicherlich auch kritisch gesehen. Aber ich möchte nicht mit dem Rücken zum Publikum kommunizieren.
Die Jury des Communicator-Preises begründet ihre Wahl unter anderem damit, dass Sie mit Ihrem vielfältigen Kommunikationsansatz anschlussfähig für die Erfahrungen und Perspektiven Ihres Publikums bleiben. Können Sie Beispiele nennen, wie Ihnen das gelingt?
Am populärsten bin ich wahrscheinlich mit meinem Buch über das Plattenbaugebiet Lütten Klein, aus dem ich komme, geworden. In dem Buch habe ich versucht, anhand dieses Stadtviertels den sozialen und mentalen Wandel Ostdeutschlands in einer Art Sozialgeschichte von 1970 bis heute zu beschreiben. Hintergrund war die Frage, warum es nach wie vor so viele Unwuchten in Ostdeutschland bis hin zu einer rechtspopulistischen Drift in vielen Gebieten gibt. Wenn man so etwas macht, muss man natürlich dahin gehen, wo solche Entwicklungen stattfinden. Im Nachklapp gab es dann viel Nachfrage nach Kommunikation vor Ort. Da ging es häufig gar nicht in erster Linie um meine wissenschaftlichen Erkenntnisse oder spezifische Thesen aus diesem Buch, sondern um einen ‚Gesprächsdruck’ der vorherrschte. Die Leute hatten das Bedürfnis, ihre eigenen Perspektiven einzubringen. Letztendlich hat die Phase nach der Publikation noch einmal eine viel intensivere Beschäftigung mit dem Forschungsgegenstand selbst hervorgebracht. Plötzlich haben sich die Beforschten gemeldet, haben mich korrigiert oder wollten mir noch etwas mitteilen. Das ist dann vielfach ein sehr intensiver Dialog geworden.
Sie treten bewusst in den Austausch mit einem Laienpublikum, mehr als 40 Einzelveranstaltungen waren es allein in Ostdeutschland. Hatten Sie den Eindruck, dass Ihr Publikum primär den eben erwähnten ‚Gesprächsdruck‘ loswerden wollte, oder steckt dahinter auch die Erwartungshaltung, dass Sie dieses Feedback zu weiterer Forschung nutzen?
Zum Teil wollte man etwas loswerden. Zum Teil bin ich weniger als Person Steffen Mau wahrgenommen worden, sondern eher als Stellvertreter der Öffentlichkeit. Als jemand, der Teil des öffentlichen Diskurses ist und den man entsprechend adressieren kann. Zum Teil geht es aber auch um Geschichtspolitik, also die Art und Weise, wie bestimmte Entwicklungen interpretiert werden und ob sie richtig interpretiert werden. Da haben Leute teils Auffassungen, die meiner wissenschaftlichen Perspektive zuwiderlaufen. Damit muss ich mich auseinandersetzen. Ich habe gleichzeitig immer versucht, mit diesen Personen ein Gespräch auf Augenhöhe zu suchen, durchaus empathisch und verstehend, ohne ihnen nach dem Mund zu reden. Was ich dann mache, beinhaltet auch viel Kritik und Problematisierung der Entwicklung, in der die Leute nicht nur Opfer, sondern Akteure in einem historischen Geschehen sind. Als solche stehen sie auch in der Verantwortung für Dinge, die sie tun. Deswegen ist es eben nicht angemessen, um mit Habermas zu sprechen, „Wutbürger in Watte zu packen.”
Im eben genannten ZEIT-Interview nannten Sie unsere Gesellschaft „emotional aufgewühlt.“ Gibt es Kommunikationsaktivitäten, die in einem solchen gesellschaftlichen Klima besonders gut geeignet sind, seine Zielgruppe zu erreichen?
Ich habe immer das Gefühl, je kleiner und unmittelbarer das Gespräch, desto besser funktioniert das. Weil es ein Gespräch auf Augenhöhe sein kann. Man sitzt nicht auf einem großen Podium, während das Publikum in den Saal verbannt ist. In unmittelbaren Gesprächen haben die Teilnehmer*innen den Mut, da herauszutreten. Eine Aggressivität kommt seltener auf, weil keine riesige Barriere zwischen denen, die sprechen und denjenigen, die in einem Saal zuhören, vorhanden ist. Ich denke, dass mit meiner Art Soziologie zu Ostdeutschland die Leute häufig das Gefühl haben, da gibt eine Kritik, die uns betrifft. Aber die Art, wie sie vorgebracht wird, ist erstmal nicht verurteilend. Sondern sie versucht, zu erklären, sie versucht, Hintergründe sichtbar zu machen und zu verstehen. Das ist ein Gesprächsimpuls, den man dann eher aufnimmt, und der dann nicht in einer Art von Konfrontation mündet, sondern in einer dialogischen Form.
Auch mit Kulturschaffenden suchen Sie immer wieder den Austausch, sei es auf Literaturfestivals oder in Kooperationen mit Theateraufführungen. Welche Rolle nehmen Kunst und Kultur in Ihren Kommunikationsaktivitäten ein?
Das ist über die Zeit immer mehr geworden, was auch nachfragebedingt ist: Es ist schön, einen Soziologen dabei zu haben, der bestimmte Diskussionen versachlicht. Meine Wissenschaftskommunikation war immer auch anschlussfähig an literarische Produktionen oder an Theaterproduktionen. Ich glaube, dass es für die Wissenschaftskommunikation interessant sein kann, sich mit Formen künstlerischer Vermittlung auseinanderzusetzen und diese selbst auch zu nutzen. Das heißt nicht zwangsläufig, dass man damit ein nicht-akademisches Publikum erreicht. Aber man erreicht Leute, die einen anderen, künstlerisch vermittelten Zugang zu Weltverständnissen haben. Und wenn man als Quereinsteiger in so ein Feld hineinkommt, dann kann eine interessante kommunikative Spannung entstehen. Ich sehe in der Literatur eine ganze Bewegung von jüngeren ostdeutschen Autor*innen, die zum Beispiel die 90er oder 00er Jahre auf eine Art und Weise zum Thema machen, wie es das vor wenigen Jahren noch nicht gegeben hätte. Es ist eine Bereicherung für mich, auch mit solchen Personen ins Gespräch zu kommen.
Was raten Sie Nachwuchswissenschaftler*innen, die ihre Forschung kommunizieren möchten?
Man kann Themen, die zuerst sehr trocken erscheinen, auf eine Art und Weise zum Knistern bringen, dass auch andere Leute zuhören. Natürlich gibt es Risiken. Wenn es ein gewisses Naserümpfen im wissenschaftlichen Feld über zu offensive Wissenschaftskommunikation gibt oder Leute sagen, Wissenschaftskommunikation gehe zulasten der wissenschaftlichen Qualität. Meine Perspektive ist: Wenn man gute Forschung betreibt – das ist die Grundvoraussetzung –, dann sollte man auch Wissenschaftskommunikation dafür betreiben. Und das ist möglich, denn es gibt inzwischen jede Menge Formate, die vor einigen Jahren noch nicht zur Verfügung standen. Ich habe zum Beispiel viele Podcasts gemacht und finde sie eine sehr gute Möglichkeit, über Wissenschaft zu kommunizieren. Denn anders als in einem 30-sekündigen Fernsehinterview kann man Forschung in einem Podcast viel besser erklären und kontextualisieren. Im Vergleich dazu mache ich fernsehbezogene Kommunikation seltener, da es häufig zu einer Verkürzung der wissenschaftlichen Perspektiven kommt. Blogbeiträge, Podcasts und ähnliches – darin sehe ich die Zukunft der Wissenschaftskommunikation.