Das Rhine-Ruhr Center for Science Communication Research ist eines von vier Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung, die von der VolkswagenStiftung zunächst für fünf Jahre gefördert werden. Julika Griem und Volker Stollorz berichten im Interview von den Hintergründen des neuen Forschungszentrums.
Heldenreisen kritisch hinterfragt
Frau Griem, Herr Stollorz, Sie sprechen von einer „Krise der Faktizität“ als gedanklichem Ausgangspunkt für Ihr Forschungszentrum. Was ist damit gemeint?
Julika Griem: Die Krise der Faktizität definieren wir als eine Krise faktischer Urteilskraft – und zwar innerhalb der Wissenschaft, aber vor allem auch im Verhältnis Wissenschaft und Gesellschaft. Nicht erst in der Pandemie haben wir erfahren, dass moderne Wissenschaften nicht sicher verpackte Wahrheit zuliefern, sondern methodisch abgesichertes Wissen immer wieder neu erarbeiten. Über Wahrheitsansprüche muss also gestritten werden, so dass sich die Politik bei der Wissenschaft nicht entlasten kann, indem sie auf umsetzbare Entscheidungsvorlagen hofft.
Einerseits wird es offenbar immer wichtiger, wissenschaftliche Expertise für krisenhafte Konfliktlagen der Gegenwart heranzuziehen. Andererseits bringt es die Wissenschaft in eine nicht einfache Rolle, wenn sie sich dazu bekennt, multiperspektivisch, interdisziplinär und vielstimmig verfasst zu sein. Mit dieser Einsicht lassen sich Konfliktlagen unter medialem Hochdruck nicht möglichst schnell befrieden. Einer unserer Ausgangspunkte ist die Vermutung, dass man auf die Nachfrage nach wissenschaftlicher Expertise nicht einfach mit mehr Kommunikation reagieren, sondern auch mehr darüber sprechen sollte, was Wissenschaft ausmacht. Für mich als Geisteswissenschaftlerin ist es besonders wichtig, dass wir uns dabei nicht nur auf die MINT-Fächer konzentrieren. Gemeinsam mit unseren Praxispartnern schauen wir uns die Geistes- und Sozialwissenschaften als Schauplätze der Auseinandersetzung über die Autorität und die Produktivität von Wissenschaft in gesellschaftlichen Konfliktlagen wie zum Beispiel der gegenwärtigen Pandemie an. Bisher hat man sich vor allem an den MINT-Fächern abgearbeitet.
Volker Stollorz: Das würde ich so unterschreiben. Natürlich gibt es immer auch Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen, die im öffentlichen Diskurs auftauchen. Aber bisher ist theoretisch kaum geklärt: Was braucht die Öffentlichkeit an Expertise aus diesen Disziplinen und wie findet der Journalismus entsprechende Expert*innen, die innerhalb der Forschung Reputation besitzen und die Felder voranbringen? Unser Projekt ist ein Zusammenschluss von klugen Leuten, die versuchen, systematisch zu verstehen und zu ordnen, welche öffentliche Kommunikation über Wissenschaft in welchen Formaten sinnvoll sein könnte.
Wer sind die klugen Leute, von denen Herr Stollorz spricht – und welche Expertise bringen sie ein?
Griem: Wir haben uns als eine Sechsergruppe zusammengetan, von denen sich mindestens die Hälfte nicht oder kaum kannte. Das war so ein coup de foudre, also Liebe auf den ersten Blick. Volker Stollorz vom Science Media Center Germany und Franco Zotta von der Wissenschafts-Pressekonferenz sind die beiden journalistischen Profis, die sich gut kennen. Sie haben auch schon mit Holger Wormer vom Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund gearbeitet, das ein wichtiger Standort unseres Zentrums ist, weil es die Verbindung zwischen Praxis und Forschung ermöglicht. David Kaldewey von Forum Internationale Wissenschaft der Universität Bonn ist ein systemtheoretisch ausgebildeter Wissenschafts- und Wissenssoziologe und Oliver Ruf ist von der Ausbildung her ein Literatur- und Medienwissenschaftler, der sich sehr gut im Bereich Ästhetik und Design auskennt. Gemeinsam mit ihm wollen wir Angebote für affektiv ansprechende Kommunikation entwickeln. Dabei wird es auch um den Faktor Emotionalität, um Unterhaltung und Komik gehen.
Vier neue Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung
Die VolkswagenStiftung fördert mit insgesamt 15 Millionen Euro vier neue Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung. Auf die Ausschreibung „Wissenschaftskommunikation hoch drei“ konnten sich Projekte bewerben, in denen die Perspektiven Wissenschaftskommunikationsforschung, Fachwissenschaft und Kommunikationspraxis zusammenwirken. Der Förderzeitraum beträgt fünf Jahre und kann um maximal drei Jahre verlängert werden. Die Stiftung erreichten 27 Anträge von Konsortien verschiedener Institutionen aus 24 Ländern. Wie Ende Juni 2021 bekannt wurde, erhielten folgende Zentren den Zuschlag: The Munich Science Communication Lab zum Thema „Communicating Planetary Health“, das The Kiel Science Communication Network zum Thema „Evolving Visualizations for Evolving Health“, das Rhine-Ruhr Center for Science Communication Research und das Tübinger Center for Rhetorical Science Communication Research on Artificial Intelligence.
Griem: Ich habe mich viel mit Erzähltheorie beschäftigt. Mich beschäftigt sehr, dass derzeit überall versprochen wird, dass Storytelling in der Wissenschaftskommunikation zu ganz großartigen Ergebnissen führt. In Aufsätzen steht dann gleich zu Beginn der Satz: „Die Hirnforschung sagt uns, dass der Mensch ohne Geschichten nichts verstehen kann“. Daraus werden weitreichende, sehr instrumentell verfasste Handreichungen zum Thema Storytelling in der Wissenschaftskommunikation abgeleitet. Ich finde das zum Teil ziemlich haarsträubend, weil schwer zu überprüfen ist, welche Neurowissenschaftler*innen tatsächlich belegt haben, dass die Tatsache, dass etwas im Frontalkortex passiert, wenn Leute Geschichten hören, schon die Begründung dafür ist, dass man auch in Fachjournalen wie „Nature“ Wissenschaftsberichterstattung als Heldengeschichte präsentieren muss. Es gibt diese aus dem Management kommende Handbuch-Literatur, die sagt: „Wissenschaft kann nur faszinierend erzählt werden, wenn ein einsamer Held aus dem tiefsten Tal in höchste Höhen katapultiert wird.“ Da würde ich bei unserer Forschung gerne sehr viel genauer nachfragen.
Herr Stollorz, das Science Media Center Germany macht wissenschaftliches Wissen für Journalist*innen verfügbar. Aus welchen Gründen beteiligen Sie sich am neuen Rhine-Ruhr Center?
Welche konkreten Schritte haben Sie geplant, um diese Fragen anzugehen?
Stollorz: Ein Baustein ist der „Quality Circle“, in dem Theoretiker*innen und Praktiker*innen in den Austausch gehen und sich erst einmal genauer anschauen: Was passiert an der Grenzfläche zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften und den Teilöffentlichkeiten? Wir wollen das zum einen verstehen und zweitens Kriterien entwickeln, wie der Transfer von wissenschaftlichem Wissen aus diesen Disziplinen in Zukunft besser gelingen könnte. Die Idee ist, dass wir mit den Praxispartnern Leute haben, die Ideen praktisch erproben und umsetzen können. Die Probleme, die dabei auftauchen, sollen im Anschluss theoretisch reflektiert werden – mit dem Ziel, Hinweise an den Journalismus geben zu können, wie bestimmte Fehler im Umgang mit Expertise aus den Sozial- und Geisteswissenschaften vermieden werden könnten. Möglich wäre auch, wissenschaftliche Disziplinen einzubringen, die bisher im Diskurs gar nicht auftauchen, weil sie übersehen werden oder weil sie nicht in das Storytelling-Raster passen, das sich im Journalismus etabliert hat. Wie beobachtet man zum Beispiel Expertise im Bereich der Kunstwissenschaften? Vielleicht können wir Formate entwickeln, die die Komplexität und Reflexivität von Wissenschaft nicht auf irgendein Schlagwort oder eine Heldenreise reduzieren.
Dabei leitet uns auch das Bekenntnis zum Qualitätsjournalismus. Denn es gibt auch so eine anti-institutionelle Dimension von Wissenschaftskommunikation. Da heißt es dann: Der Journalismus stirbt aus, den brauchen wir nicht mehr. Davon gehen wir nicht aus. Wir werden ein Labor entwickeln, in dem wir mit Studierenden arbeiten wollen. Dabei geht es auch darum, ein besseres und kritisches Verständnis für die Wirkungsweisen der journalistischen Institutionen, ihrer Ideale, Werte und ihrer Veränderungsbedürftigkeit zu erreichen.
Wie kann man sich die Arbeit in dem Labor vorstellen?
Griem: Für dieses Labor wird Oliver Ruf zuständig sein. Es soll ein wanderndes Labor werden, das man als eine Art Toolkit nach Dortmund, Bonn oder Essen mitnehmen kann. Dort soll zum Beispiel untersucht werden soll, wie Humor in der Wissenschaftskommunikation zu beurteilen ist. Alle reden von Unterhaltsamkeit. Aber Humor kann noch viel mehr sein; er kann befreiend wirken und Spannungen lösen. Ich wundere mich schon lange darüber, warum Humor nicht viel stärker als Kulturtechnik genutzt wird. Dann könnte man die Wissenschaft auch mit ihren komischen Eigenschaften kommunizieren: Langeweile, Scheitern, peinliche Unfälle, Streitigkeiten und Zufälle. Aber weil wir zu sehr auf bestimmte Darstellungsmuster fokussiert sind, schöpfen wir das Potenzial nicht aus.
Stollorz: Das sehen wir auch bei der Impfkommunikation, die anfangs sehr stark von Public-Health-Argumenten geprägt war. Jetzt sind immer mehr die Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen gefragt, sich damit auseinanderzusetzen, wie man mit Menschen redet, die sich bisher nicht impfen lassen. Was treibt sie um? Was verunsichert sie? Wem vertrauen sie? Da geht es eben weniger um die Erklärung der Sachverhalte. Es war von Anfang an naiv anzunehmen, das Fakten allein reichen. Aber diejenigen, die gewarnt haben, dass das ein komplexes Kommunikationsfeld sei, wurden weniger gehört, weil wir so sehr auf naturwissenschaftliche Aspekte fokussiert waren. In dem offen gedachten Labor können wir erforschen, was genau in der gesellschaftlichen Kommunikation übers Impfen passiert. Wir können auch neue Formate entwickeln und erproben. Vielleicht haben die jungen Studierenden verrückte Ideen.
Was sind Ihre nächsten Schritte?
Griem: Das erste ist eine gemeinsame Ausschreibung von Stellen. Es ist uns wichtig, dass wir nicht als vereinzelte Standorte, sondern ein gemeinsames Zentrum arbeiten. Dann werden wir uns Gedanken machen, wie wir durch eine schöne Eröffnungsveranstaltung sichtbarer in der Landschaft der Wissenschaftskommunikationsforschung werden. Wichtig ist, dass wir die Universität nicht als geschlossenen Raum begreifen, aus dem Transfer in ein „da draußen“ passiert. Die Universität ist für uns ein offener Raum, in dem Studierende eine wichtige Rolle spielen, genauso wie Mitarbeiter*innen der Verwaltung und der Kommunikationsabteilungen.
Wir wollen bestimmte, ausgewählte Gruppen von Akteur*innen in unsere Modellworkshops einbeziehen, die für uns eine wichtige Vermittlungs- und Mediationsfunktion haben. Das sind zum Beispiel Journalist*innen, aber auch Hochschulmanager*innen, und, ganz wichtig, Studierende, die unserer Meinung nach in der Wissenschaftskommunikation nicht genügend berücksichtigt werden, obwohl sie eine große Gruppe von Weiterkommunizierenden darstellen. Denn sie alle haben Familie, Freund*innen, Bekannte, die aus sehr unterschiedlichen Lebenslagen kommen. Unsere Idee ist: Wenn wir sie früher in Wissenschaftskommunikation über Geistes- und Sozialwissenschaften einbeziehen, können Studierende in unserer Gesellschaft eine noch viel bessere Multiplikationswirkung entfalten.
Interviews mit weiteren geförderten Zentren der Ausschreibung „Wissenschaftskommunikation hoch drei“: