Eintauchen in unbekannte Welten – so das Hauptziel von 360-Grad-Videos. Am Zentrum für Material- und Küstenforschung in Geesthacht (HZG) sind diese Filme fester Teil der Kommunikationsstrategie. Torsten Fischer und Patrick Kalb-Rottmann erzählen im Interview von ihren Erfahrungen mit dem Format.
„Handy raus, Wissenschaft erleben!“
Wie kamen Sie auf die Idee, 360°-Videos in der Wissenschaftskommunikation am HZG einzusetzen?
Torsten Fischer: Die Idee wurde 2015 geboren. Einer unserer Küstenforscher, Burkard Baschek, Leiter des Instituts für Küstenforschung, kam damals auf uns zu, um mit uns über Möglichkeiten für Öffentlichkeitsarbeit zu seiner Zeppelinexpedition zu sprechen. Zeitgleich wurde die Infrastruktur unseres Küstencampus erneuert und über die Schaffung von Räumlichkeiten nachgedacht, um dort Wissenschaft erlebbar zu machen.
Parallel dazu gab es Kontakt mit Daniel Opitz von Ocean Mind in Kiel, der im Bereich 360°-Produktionen und immersive Medien tätig ist. Durch seine Ideen und der Bereitschaft aus der Küstenforschung, etwas Neues zu entwickeln, sowie unserer eigenen Lust an neuen Formaten, ist schließlich der erste Film entstanden.
Der animierte Film „Uhrwerk Ozean“ wurde 2015 sozusagen als Trailer zur Expedition von Herrn Baschek produziert. Mit dem Vorfilm und der neu angeschafften mobilen Kuppel sind wir deutschlandweit durch Planetarien getourt.
Was macht das Medium besonders?
Fischer: Es gibt einem das Gefühl, mittendrin zu sein. Das war natürlich vor allem bei einem Meeres- und Ozeanthema sehr spannend, denn wann erhält man schon mal Einblicke in Forschung, die unter Wasser stattfindet.
Es ist aber nicht bei dem einen Film geblieben, wie hat sich das Konzept seither weiterentwickelt?
Fischer: Wir haben 360°-Kameras 2016 mit auf die eigentliche Expedition geschickt. Dabei ging es aber erst einmal nur darum, Eindrücke zu sammeln. Parallel dazu haben wir im Rahmen des Wissenschaftsjahres „Meere und Ozeane“ Förderung für eine Planetariumsshow erhalten. Nach der Expedition haben wir dafür einen dreißigminütigen Film mit Realbildern produziert. Spätestens danach hat uns das Thema total gepackt und wir haben es zu einem festen Bestandteil der Kommunikationsstrategie gemacht.
Was bedeutet das?
Patrick Kalb-Rottmann: Uns geht es darum, möglichst viele Leute an Orte zu bringen, an die sie sonst nicht kommen. Das muss gar nicht mal etwas so außergewöhnliches wie ein Zeppelin sein: Auch ein Labor ist bereits ein Raum, zu dem nicht alle Zugang haben. Uns war wichtig, eine größerer Reichweite zu erzielen. Deshalb wollten wir eine Plattform, die die Videos über Smartphones und Computer zugänglich macht. Damals gab es noch nicht die Möglichkeit, 360°-Videos bei Youtube oder anderen Plattformen hochzuladen, deshalb haben wir einen eigenen Videoplayer und eine App gebaut. Da konnten die Leute die Videos auch mobil anschauen und entsprechend ohne schnelles Wifi herunterladen, welches vor allem in Schulen ja leider noch häufig nicht zur Verfügung steht. Außerdem haben wir als kleines Giveaway neuerdings Papp-3D-Brillen, um die Zugänglichkeit noch zu erhöhen.
Fischer: Die Videos sind auch in unserer crossmediale Kommunikationsstrategie integriert. Zweimal im Jahr bringen wir „In2Science“ raus, ein Magazin, dass Menschen hinter der Forschung in den Vordergrund stellt. Wir planen, zu je einer Geschichte aus dem Heft ein Video zu produzieren, um noch weitere Eindrücke zu vermitteln. Die Leute können also künftig eine Geschichte erst lesen und dann das Geschehen im Video selbst erleben. Ziel dabei ist, Wissenschaft erlebbar zu machen für Menschen, die nicht vor Ort sind.
Wie schwierig ist es, einen 360°-Film zu drehen?
Fischer: Die Technik hat sich in jedem Fall stark weiterentwickelt. Sie ist viel einfacher zu bedienen und dabei auch noch genauer und günstiger. Das war bei den ersten Produktionen noch viel schwieriger und das merkt man auch an der Qualität der Filme: In den ersten sieht man noch viel mehr Kanten als heute – die technischen Möglichkeiten waren einfach noch nicht gegeben.
Kalb-Rottmann: Ich denke, die Entwicklung wird weitergehen. Es wird sicher bald möglich sein, dass die Leute sich den Raum selbst erschließen können und quasi einen virtuellen Rundgang machen. Sie könnten dann etwa selbständig weitere Informationen abrufen – beispielsweise Infografiken. An so etwas arbeiten wir auch schon. Es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis wir es umgesetzt bekommen.
Fischer: Die Betrachterinnen und Betrachter könnten dann quasi durch einen Film laufen und sich für verschiedene Szenarien und Wege darin entscheiden. Das finde ich sehr spannend, weil das Erlebnis so aktiv den je eigenen Bedürfnissen und Vorlieben anpasst werden kann.
Wie genau funktioniert die Produktion der Filme?
Fischer: Wir setzen uns zuerst mit unserer Print- und Grafikredaktion zusammen und suchen ein Thema aus, das sich für einen Film anbietet. Dabei kommt es vor allem darauf an, einen besonderen und bildstarken Ort darzustellen. Das Setting muss für den Betrachtenden Spaß machen und es muss Sinn ergeben, sich darin umzuschauen.
Gleichzeitig darf ich den Betrachtenden nicht mit Text überfrachten, denn erst mal geht es darum, den Ort zu erkunden. Das wird auch klar durch Untersuchungen, die zeigen, dass die Filme nicht nur einmal angeschaut werden. Auch sollte man sich Gedanken darüber machen, wie man die Blicke des Betrachtenden lenkt und die Geschichte dadurch in Gang bringt. Das unterscheidet sich von der Erzählweise in anderen Filmen, aber wir tasten uns da ganz gut ran und arbeiten auch mit externen Kameramännern und -frauen oder Redakteurinnen und Redakteuren zusammen, die uns unterstützen.
Was kosten die Videos und wie hoch ist der Aufwand?
Kalb-Rottmann: Für einen kurzen und einfachen Realbild-Film, sobald Inhalt und Skript stehen, sind zwei bis drei Wochen. Ein Vorteil bei uns ist, dass die Infrastruktur für die Verbreitung der Videos inzwischen steht und wir die nötige Ausrüstung besitzen. Es fallen also keine Zusatzkosten mehr an. Wir haben da von Anfang an nachhaltig gedacht. Die Videos werden sogar immer kostengünstiger.
Fischer: Hinsichtlich der Kosten kommt es auch sehr darauf an, was man machen möchte. Ein fertiger Film wie wir ihn produzieren, liegt bei rund 5.000 Euro. Aber es gibt natürlich auch weitaus teurere Beispiele, vor allem dann, wenn man Animationen mit aufnimmt. Insgesamt ist es aber nicht teurer als ein normaler Imagefilm, vor allem wenn man mit Realbildern arbeitet.
Wann bewerten Sie das Projekt “360 Grad Video” als erfolgreich?
Kalb-Rottmann: Wir erhalten immer mehr Anfragen für unsere Angebote. Sehr oft werden Klassensätze von den Brillen angefragt, um die Materialien auch in den Schulunterricht zu integrieren. Man merkt richtig, dass die Reichweite immer größer wird und wir auf immer mehr Veranstaltungen eingeladen werden, um die Filme zu präsentieren.
Fischer: Ein weiterer Erfolg war sicherlich der Gewinn des Preises für Onlinekommunikation in der Kategorie Wissenschaft und Bildung 2018, der vom Bundesverband der Pressesprecher verliehen wurde. Das ist eine schöne Anerkennung gewesen, vor allem, weil wir ihn eben mit unserem crossmedialen Konzept gewonnen haben. Der Traum ist natürlich das digitale Klassenzimmer. Es wäre toll, wenn es irgendwann heißt „Handy raus, Wissenschaft erleben!“
Gibt es einen Film, den Sie gerne machen würden?
Fischer: Einen Raum zu schaffen, in dem man sich unterschiedliche Klimawandelszenarien erschließen und die Auswirkungen unterschiedlicher Maßnahmen quasi erleben kann – das fände ich sehr spannend. Ich sehe darüber hinaus auch ein Potenzial der Technologie für die Wissenschaft selbst. Diese könnte die 360°-Videos nutzen, um die eigenen Untersuchungsgegenstände und Computermodelle quasi begehbar zu machen.
Kalb-Rottmann: Der erste Schritt dahin ist schon getan, da wir beispielsweise schon jetzt die Möglichkeit haben, Daten in die App zu speisen und diese dann in 360° abzubilden. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten.