Guter alter Journalismus oder PR über Social Media – ist das hier die Frage?

Ein Kommentar zum zweiten Teil der „Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien“ von Markus Weißkopf aus Sicht der institutionellen Wissenschaftskommunikation.

Durch die Stellungnahme der Arbeitsgruppe der Akademien zu Social Media in der Wissenschaftskommunikation zieht sich eine eher skeptische Sicht auf die „neuen“ Medien. Anscheinend wurde die Diskussion sehr von Brexit und Trump-Wahl, von Fake News und Echo Chambers beherrscht. Dass es daneben eine wunderbare Vielfalt von teils qualitativ hochwertigen Angeboten der Wissenschaftskommunikation gibt, ging da vielleicht ein bisschen unter.

Allgemeine Anmerkungen zur Stellungnahme

Generell gewinnt man den Eindruck, dass die „sogenannten“ (Seite 6) Social Media seitens der Autoren der Studie mit einem tendenziell negativen Blick betrachtet werden. Insgesamt werden eher die Risiken als die Chancen in den Blick genommen. Ganz konkret heißt es im weiteren Verlauf zum Beispiel „Durch die erwartete Responsivität der Wissenschaftskommunikation (in den sozialen Medien) könnten zudem originär für den eigentlichen Forschungsprozess vorgesehene Kapazitäten von Wissenschaftlern verlagert werden – was im Extremfall zu einer Fehlallokation von Mitteln führen kann.“ (Seite 41) Ist Kommunikation über Social Media, wenn sie gut und professionell gestaltet ist, wirklich eine Fehlallokation von Mitteln? Wollten wir nicht immer „Responsivität“ haben? Kann sich ein Dialog mit dem Bürger nicht auch positiv auswirken? Leider zieht sich diese eher kulturpessimistische Sicht wie ein roter Faden durch die Stellungnahme.

Ebenso negativ besetzt scheint bei den Autoren die „Wissenschafts-PR“ oder institutionelle Wissenschaftskommunikation zu sein, die an vielen Stellen gleichgesetzt werden. „(…), so werden jetzt die partizipationsorientierte „Wissenschaft im Dialog“ beziehungsweise das „Public Engagement with Science and Technology“ propagiert.“ (Seite 24, Hervorhebung durch den Autor) Allein die Verwendung des Wortes „propagieren“ verrät hier schon einiges über das Urteil der Autoren in Bezug auf die angesprochenen Bereiche. Leider erfährt der Leser nicht, worauf dieses gründet. Später heißt es weiter zu einigen Kommunikationsformaten, die von institutioneller Seite angeboten werden: „(Diese) folgen um der allgemeinen Zustimmung willen Prinzipien des „Edutainment“, das heißt der Verbindung von Aufklärung/Bildung und Unterhaltung. Primär handelt es sich jedoch um öffentlich geförderte PR-Maßnahmen.“ (Seite 26) Abgesehen davon, dass PR nun mal gleichzusetzen ist mit institutioneller Wissenschaftskommunikation, ist sie ein Teil der Kommunikation über und mit Wissenschaft und als solche nicht per se „böse“ so wie es hier anklingt. In einer Stellungnahme der Akademien hätte ich mir an dieser Stelle etwas mehr sprachliche Genauigkeit und Neutralität gewünscht.

Doch kommen wir wieder zum Hauptgegenstand der Stellungnahme – den sozialen Medien: In der gesamten Stellungnahme wird fast immer von den Social Media gesprochen. Es wird kaum zwischen diesen doch sehr unterschiedlichen Plattformen unterschieden. Das spiegelt leider nicht die ungeheure Diversität und Pluralität in diesem Bereich wieder und daraus entspringen dann eben in der Analyse und den Empfehlungen einige Ungenauigkeiten. Zudem kommen die Hauptakteure der Social Media kaum vor – die Nutzer, also die Bürgerinnen und Bürger.

Zur Analyse der aktuellen Situation

In der Analyse fällt die doch sehr schmale Basis von Nutzungsdaten von Social Media (hier werden lediglich relativ aggregierte Daten z. B. der ARD/ZDF Onlinestudien einbezogen) sowie die geringe Verwendung eher überblicksartiger Literatur auf. Das mag dem noch jungen Forschungsfeld geschuldet sein. Allerdings gibt es gerade in der angelsächsischen Welt, aber auch im deutschsprachigen Raum sehr wohl einiges an Arbeiten, die sich damit beschäftigen, wie verschiedene Themen (z. B. Klimaforschung, Biotechnologie oder Nanotechnologie) in verschiedenen Social Media kommuniziert und diskutiert werden und welche Effekte das haben kann. (Einige gute Verweise finden sich zum Beispiel hier aber auch bei den Arbeiten von Mike Schäfer, Julia Metag oder Joachim Allgaier findet sich ein guter Überblick, um nur einige zu nennen).

Auch an vielen Stellen der Analyse werden dabei Thesen aufgestellt, die Ausgangsbasis für die weitere Stellungnahme und ihre Empfehlungen sind, aber nicht belegt werden. Exemplarisch dafür ist ein Absatz, der die  verschiedenen Funktionen der Wissenschaftskommunikation behandelt: „An die Seite der Wahrheits- und Wahrhaftigkeitsorientierung, die für die Kommunikation der Wissenschaft intern verbindlich ist, tritt die Orientierung an der Logik von Politik, Ökonomie und Medien: Aufmerksamkeit zählt. Dies hat zu einer zunehmenden Überschneidung zwischen Bildung/Aufklärung, Legitimation und Aufmerksamkeitsbeschaffung geführt. Diese Entwicklung wird durch Social Media verstärkt.“ (Seite 27). Hier sind gleich drei Thesen enthalten, die allesamt nicht belegt werden: Dass es in der externen Wissenschaftskommunikation eine Orientierung an Politik, Ökonomie und Medien gibt, lässt sich kaum bestreiten, ok. Dass diese aber neu ist und/oder stärker wird, das sollte eine derartige Stellungnahme schon anhand konkreter Zahlen und Quellen aufzeigen. Dass diese (unbelegte) Entwicklung von Social Media verstärkt wird, ist leider auch nur eine These, die im Text nicht belegt werden kann.

Am Ende der Analyse werden Chancen und Risiken der sozialen Medien benannt. Die Schlussfolgerung daraus ist dann: „Für die Institutionen und Akteure der Wissenschaft bleiben vor diesem Hintergrund auch und gerade die traditionellen Verbreitungskanäle relevant.“ (Seite 38) Leider wird auch hier nicht klar, wie diese Schlussfolgerung zustande kommt. Klar, davor werden rein zahlenmäßig mehr Risiken als Chancen benannt. Aber eine schlüssige Argumentation, weshalb dies nun so sein soll, fehlt. Dies hat aus meiner Sicht unter anderem auch damit zu tun, dass vorab die Zielgruppen der Wissenschaftskommunikation nicht klar benannt und unterschieden werden. Wenn nämlich beispielsweise die aus meiner Sicht sehr wichtige Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen im Fokus steht, kann man diese Aussage so nicht treffen. Diese sind über die traditionellen Kanäle immer weniger  zu erreichen (vgl. z. B. Grunddaten Jugend und Medien 2017). Sollten wir aufgrund der möglichen Risiken dann die Kommunikation mit dieser Zielgruppe komplett einstellen?

Immerhin heißt es dann weiter: „Insoweit wird empfohlen, Experimente zur Nutzung von Social-Media-Anbietern durchzuführen“ (ebd.) Hmm, ja. Da würde ich doch sagen, dass wir in großen Teilen der Wissenschaftskommunikation über „Experimente mit Social Media“ schon hinaus sind und schon einiges an wichtigen Erfahrungen gesammelt wurde. Hinzugefügt wird dann noch „– oder bestehende Experimente systematischer zu begleiten und zu evaluieren. Nur so kann auch geprüft werden, ob und in welchen Fällen die Wissenschaftler-Laien-Schwelle tatsächlich abgesenkt werden konnte.“ Richtig. Wir brauchen mehr Evidenz in diesem Bereich.

Die Handlungsempfehlungen

Kommen wir nun zu den Erläuterungen der bereits eingangs dargelegten Handlungsempfehlungen, die mehr oder weniger den Abschluss der Stellungnahme bilden.  Ich konzentriere mich hier auf die Kommentierung einiger ausgewählter Empfehlungen. Die Kolleginnen Beatrice Lugger und Annette Leßmöllmann haben die weiteren Hinweise betrachtet.

In Empfehlung 2 (Seite 8 bzw. ab 46) wird vorgeschlagen, die “Entwicklung einer redaktionell unabhängigen bundesweiten Wissenschaftskommunikations- und Informationsplattform (zu) prüfen, deren Inhalte für ein breites Publikum verständlich sind“. Weiter wird damit verbunden noch die „Implementation und Vermarktung einer auf wissenschaftliches Wissen bezogenen Suchmaschine oder eines Social-Media-Netzwerks“ empfohlen, um die Inhalte zu verbreiten.

Bei diesen Vorschlägen läuten bei mir sofort mehrere Alarmglocken. Eine eigene Suchmaschine? Gar ein eigenes Wissenschafts-Social-Media-Netzwerk? Aber selbst wenn es möglich wäre, so eine Plattform zu schaffen – wollen wir das? Eine zentrale Instanz des Wissens, gar der Wahrheit? Wollen wir nicht gerade eine möglichst pluralistische Medienlandschaft und Diskurs, die unterschiedliche Perspektiven und den Meinungsaustausch fördert, da es ja auch in der Wissenschaft die EINE Wahrheit nicht gibt? Erschwerend hinzu kommt die dahinterstehende Idee des Sender-Empfänger-Modells. Hier soll von höherer Wissenschafts-Stelle die Wahrheit verkündet werden, auf dass es der Bürger verstehen möge.

Es gäbe noch einiges hierzu zu sagen, aber ich gehe mal schnell weiter zu Empfehlung 5, die da heißt „Falsche Anreize in der institutionellen Wissenschaftskommunikation vermeiden“ (Seite 9 bzw. 50ff.).

Hier zunächst das Positive: „Professionelle Wissenschafts-PR bewirkt Teilhabe an den Arbeitsweisen und Ergebnissen von und schafft/wirbt um Vertrauen in die Wissenschaft (nicht nur in die einzelne Institution). Sie berät und entlastet Wissenschaftler auch in Fällen von Shitstorms und bei der Krisenkommunikation im Allgemeinen.“ (Seite 51/52) Ja, das ist eine gute Rollenbeschreibung der Wissenschafts-PR.  Und auch manches der formulierten Kritik der PR teile ich durchaus: „Die Herausgabe von aufwendigen Wissensmagazinen als Printprodukt oder entsprechende digitale Angebote (etwa teure Imagevideos) einzelner Forschungsinstitutionen erscheinen angesichts der Konkurrenz auf diesem Markt und der oft erheblichen Kosten teilweise wenig effizient “(Seite 50/51) Noch schöner wäre gewesen, hier tatsächlich konkrete Zahlen zu präsentieren, um wirklich beurteilen zu können, wie bedeutend dieser Punkt denn ist.

Weiter heißt es dann: „Den Institutionen eröffnet sich (durch soziale Medien) die Chance, frühzeitig darauf (auf Kommentare und Likes der Nutzer) zu antworten sowie mögliche Missverständnisse, Stimmungen und Tendenzen auszumachen und schnell auf diese zu reagieren. Ohne eine professionelle Strategie, eine gute Moderation und entsprechende Ressourcen bleibt der Nutzen absehbar marginal; gegebenenfalls sind sogar kontraproduktive Effekte zu erwarten.“ (Seite 51) Gut klar, dass man auch im Bereich der Social Media professionell arbeiten muss. Das ist aber kein wirklicher Unterschied zur klassischen Pressearbeit.

Wir machen weiter mit Empfehlung 6: „Kosten und Nutzen 
von Formaten der institutionellen Wissenschaftskommunikation abwägen“ (Seite 9 bzw. 52 f.). Hier heißt es „Die Maßnahmen und der Einsatz von Ressourcen für die selbstvermittelte (institutionelle) Wissenschaftskommunikation sollten stets (und in einigen Fällen womöglich stärker als bisher) im Sinne eines Gebots des sparsamen Umgangs mit öffentlichen Mitteln einer strategischen Planung und einer Kosten-Nutzen-Berechnung unterzogen werden (siehe auch Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR). Vor diesem Hintergrund ist zum Beispiel die Herausgabe gedruckter Magazine – ebenso wie das Bespielen jedes weiteren neuen digitalen (zum Beispiel Video-)Kanals – zu evaluieren.“ (Seite 52) Hmm, ja das stimmt. Aber muss die Aufforderung, professionell, gewissenhaft und effizient zu arbeiten, wirklich in diese Stellungnahme zu Wissenschaftskommunikation in den sozialen Medien?

Im Weiteren folgt dann ein wichtiger Punkt: „Generell muss in den wissenschaftlichen Institutionen und der Wissenschafts-PR eine neue Verantwortungskultur der Wissenschaftskommunikation etabliert werden, wie sie etwa mit den Leitlinien für gute Wissenschafts-PR bereits in Teilen skizziert wurde.“ (Seite 53) Das kann man so unterschreiben. Da vieles von dem was wir tun nun ohne den Filter des Journalismus die Bürgerinnen und Bürger erreicht, haben wir deutlich mehr Verantwortung (mehr dazu auch in den Leitlinien für gute Wissenschafts-PR).

So, eine hab’ ich noch: „Empfehlung 7: Faktenbasierte Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsmarketing trennen“ (Seite 9 bzw. 53).

Hier empfiehlt die Arbeitsgruppe, die organisatorische Trennung von Wissenschaftskommunikation und „Reputationskommunikation“ in den Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen. Das wurde bereits im Juli 2014 auf dem Workshop der VolkswagenStiftung in Hannover so von Einzelnen gefordert. Ich halte diesen Vorschlag für schlicht nicht umsetzbar. Wo soll dann beispielsweise die Kinderuni angesiedelt werden? Wird dabei nicht auch die Reputation gestärkt? Aber es werden doch auch (hoffentlich) wissenschaftliche Fakten kommuniziert. Ich denke, hier sollte es eigentlich darum gehen, dass alle beteiligten Akteure verstehen, dass es diese unterschiedlichen Zielbereiche gibt und man differenziert agieren muss. Wir brauchen professionelle Kommunikatoren mit guter Ausbildung, die in ihrer Organisation auch das nötige Standing haben, um von Leitungsebenen und nicht zuletzt Wissenschaftlern geäußerten Wünschen nach Reputationskommunikation an falscher Stelle entgegen zu treten. Oder eben auch mal Quatsch sein zu lassen, wie wir es in Siggen das ein oder andere Mal ausgedrückt haben. Hier braucht es  die Wertschätzung einer professionellen Kommunikation durch Leitungen. Mit den „Leitlinien für gute Wissenschafts-PR” wurde hier ein nützlicher, bereits in einigen Hochschulen genutzter gemeinsamer Bezugsrahmen geschaffen.

Insgesamt ergibt sich für mich persönlich ein gemischtes Bild dieser Stellungnahme. In der Analyse wurde mit der Definition und Einordnung verschiedener Begrifflichkeiten ein guter und wichtiger Schritt getan. Nicht zuletzt verbinde ich mit dem Papier die Hoffnung, dass es einen Anstoß gibt, weiter über gute Wissenschaftskommunikation in einer veränderten medialen Umwelt zu diskutieren. Verantwortung und Qualität sind dabei zentrale Begriffe, die uns leiten sollten, gerade wenn wir die sozialen Medien und ihre Chancen nutzen wollen. Ein Zurück zur „guten alten Welt“ der 80er und 90er (falls es diese je gegeben hat?!) ist auf jeden Fall nicht mehr möglich. Es gilt vielmehr nun, diesen neuen Kommunikationsraum nicht denjenigen zu überlassen, die anti-wissenschaftliche und populistische Positionen vertreten, sondern, ihn mit allen Akteuren der Wissenschaftskommunikation (und dazu zählen auch und besonders die Bürger!) gemeinsam zu gestalten.

 

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