„Und, was machst du so?“ Der Titel des Projektes ist eine Frage, die Wissenschaftler*innen öfter hören, wenn sie in ihrer Heimat zu Besuch sind. Kann das ein Ansatzpunkt für Wissenschaftskommunikation in ländlichen Regionen sein? Und was kann man aus den Gesprächen lernen? Ein Blick in das Pilotprojekt.
Gespräche im Grünen über Wissenschaft
Wissenschaftskommunikation und vor allem partizipative Formate der Technikfolgenabschätzung wie Bürger*innendialoge finden hauptsächlich in akademisch geprägten, urbanen Gebieten statt. Meist schon aus rein pragmatischen Gründen. Außerdem sind gerade partizipative Ansätze als Vor-Ort-Veranstaltung oft sehr ressourcenaufwendig. Eine flächendeckenden Umsetzung macht das zusätzlich schwierig.
Diese beiden Aspekte zusammengenommen haben uns zu einer Projektidee geführt: Wissenschaftler*innen sprechen in ihren Heimatorten im Rahmen von öffentlichen Vorträgen über ihre Forschung. Mit dabei sind Early-Career-Forschende, die vor ihrem alten Freundeskreis im Sportverein oder Wirtshaus vortragen, oder erfahrene und vielleicht auch bekannte Forschende, die zum Vortrag im Gemeindehaus einladen. Ein ähnlicher Ansatz mit Vorträgen wurde schon von der Universität Greifswald umgesetzt. In unserer Projektidee wollen wir stärker auf die persönlichen Netzwerke der Wissenschaftler*innen und die Diskussion setzen.
Um diese Idee zu testen, konnten wir eine Förderung für ein halbjähriges Pilotprojekt im Rahmen des Ideenwettbewerbs Partizipation des Bundesministeriums für Bildung und Forschung einwerben: „Und was machst du so?“. Umgesetzt wurde es gemeinsam von Mitarbeitenden des Karlsruher Instituts für Technologie, des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung, des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation und der Agentur con gressa. Neben dem praktischen Test der Machbarkeit gehörte eine intensive Evaluation und Begleitforschung zum Projekt. Soweit die Idee.
Umsetzung des Projektes in der Covid-19 Pandemie
In der Umsetzung machte sich dann die Covid19-Pandemie deutlich bemerkbar. Die ursprünglich geplanten Vor-Ort-Veranstaltungen, zum Beispiel im Wirtshaus, mussten komplett online umgesetzt werden. Wir haben uns für einfache Zoom-Meetings entschieden (Abbildung 1 zeigt einen Eindruck). Um auch in diesem Rahmen besser ins Gespräch zu kommen, wurden alle Events von einem Moderator begleitet. Darüber hinaus gab es jedes Mal Ansprechpersonen für mögliche technische Probleme.
Für den Auftakt der Reihe konnten wir den bekannten Soziologen Hartmut Rosa gewinnen, der schon seit längerem in seinem Heimatdorf im Schwarzwald zu öffentlichen Vorträgen einlädt. Um eine gewisse Vergleichbarkeit der weiteren Veranstaltungen zu gewährleisten, haben wir uns dann auf einen Themenbereich fokussiert: „Klima und Umwelt“. Wie zu erwarten, führten dabei Vortragsthemen mit lokaler Relevanz wie Stadtklima oder Waldnutzung zu intensiven Diskussionen. Bei eher abstrakten Forschungsthemen war die Diskussion weniger ausgeprägt, aber die teilnehmenden Bürger*innen waren dennoch mit den Einblicken in das Thema zufrieden. Das zeigen die guten Bewertungen für alle Vorträge in der Befragung des Publikums (Abbildung 2).
Neben technischen Problemen bei einzelnen Teilnehmer*innen war die größte Herausforderung, eine informelle und vertraute Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Das haben auch manche Vortragende in den Interviews angemerkt: „Also ich habe mir vorher schon gedacht, dass das online wahrscheinlich schwierig ist. (…) Und dann waren ja auch ganz viele, die hatten die Kamera nicht an. Das hat es dann auch nicht einfacher gemacht.“ Insgesamt verliefen die Veranstaltungen aber dennoch erfolgreich. Manche Vortragenden empfanden sie sogar als ausgesprochen gelungen: „(F)ür diesen digitalen Raum ist eine lebhafte Diskussion und ein lebhaftes Gespräch entstanden. Das hat mich positiv (…) überrascht, (…) auf jeden Fall hat es mir sehr gut gefallen.“ Die Bewertung der Online-Gesprächsatmosphäre durch die Bürger*innen fällt heterogen aus (Abb. 3): Nicht immer gelang es allen Befragten, für sie wichtige Punkte einzubringen oder Fragen zu formulieren.
Ein Blick zurück: Was hat funktioniert, was nicht?
Das Ziel, Wissenschaftskommunikation in ländliche Räume zu bringen, wurde erreicht – wenn auch vorerst nur digital. Das hat eine kurze Abfrage der Heimatorte der Teilnehmenden jeweils zu Beginn der Veranstaltungen per Zoom-Chat gezeigt. Daneben haben sich aber auch überregional interessierte Zuschauer*innen zugeschaltet. Die Vortragenden bestätigten auch den Mehrwert dieses Zuschnitts: „(…) das hat man ja gemerkt, auch in den Diskussionen, dass eben da dann einfach lokale Akteure zu Wort kommen, und auch in einer ganz spezifischen Perspektive aus dem Kontext heraus beitragen, zum Teil eben auch als Betroffene“. Dass der lokale Bezug und die Organisation von Veranstaltungen außerhalb der Ballungsräume gut ankam, äußerte sich auch in einer guten Medienresonanz in verschiedenen Zeitungen oder regionalen Portalen. Allerdings hat die Befragung gezeigt, dass die überwiegende Mehrheit (über drei Viertel) der Teilnehmenden einen Hochschulabschluss hat.
Die Ankündigung der Veranstaltungen über persönliche Netzwerke der Early-Career-Wissenschaftler*innen hat in der Einschätzung der Vortragenden funktioniert: „Also es waren einmal Nachbarn dabei, denen ich das gerade noch so am Wochenende gesagt hatte. Das waren Freunde und Bekannte, die ich angeschrieben hatte per WhatsApp (…) Meine Familie war dabei.“ Allerdings zeigte sich, dass dieser Ansatz nur eine begrenzte Reichweite hat: Es nahmen je zwischen 10 und 30 Personen teil (während die Veranstaltungen der Senior-Scientists zwischen 50 und 80 Teilnehmende hatten). Möglicherweise fällt hier die reine Online-Umsetzung hemmend ins Gewicht für ein informelles Gespräch im Freundes- oder Familienkreis. Auf der anderen Seite wäre dies für eine Vor-Ort-Diskussion im Wirtshaus oder Vereinsheim eine durchaus angemessene Größe.
Das Ziel, übergeordnet und systematisch neue Forschungsfragen und Wünsche der Bürger*innen für das jeweilige Forschungsfeld abzuleiten, konnte in der Form nicht erreicht werden. Die überwiegende Mehrheit der Fragen bezog sich direkt auf die Vorträge. Auch auf die direkte Aufforderung des Moderators hin formulierten die wenigsten Bürger*innen weiterführende Wünsche an die Forschung. Diese ist allerdings vergleichbar zu Erfahrungen aus anderen Bürger*innendialogen, bei denen die Teilnehmenden meist zur individuellen oder gesellschaftlichen Perspektive diskutierten, und wenig zu technischen und wissenschaftlichen Details. Allerdings läuft die inhaltsanalytische Auswertung der protokollierten Fragen und Kommentare noch – indirekt lassen sich daraus auch Präferenzen und Werte ableiten.
Auch die Bürger*innen gaben mit großer Mehrheit an, neue Anregungen aus der Diskussion mitgenommen zu haben, auch wenn manche gerade bei den kontroversen Diskussionsthemen mit ausgeprägten Lagern eine stärkere Berücksichtigung ihrer eigenen Position gewünscht hätten (Siehe Abb. 4). In unserem Pilotprojekt zeigte sich das besonders deutlichen beim Konflikt zwischen Naturschutz und wirtschaftlicher Nutzung des Waldes. Ergänzend gaben 64 Befragte Freitextantworten zu Fragen oder Anregungen an die Wissenschaft beziehungsweise die Forschenden. Darunter waren 15 konkrete Fragen zum Thema des Vortrags und 28 mit weiterführende Anregungen und Wünschen an die Disziplin, oft aber auch an „die Wissenschaft“ allgemein. Häufiger Aspekt dabei war die Berücksichtigung der Erkenntnisse bei politischen oder gesellschaftlichen Entscheidungen.
Darüber hinaus konnte das Pilotprojekt zu einer Sensibilisierung der Vortragenden für die gesellschaftliche Perspektive auf die eigene Disziplin beitragen. Das wurde mehrfach in den Interviews angesprochen. Dazu trug insbesondere auch ein Coaching-Workshop für die Early-Career-Forschenden bei, der vor den Veranstaltungen stattfand. In diesem wurden nicht nur die üblichen (und durchaus hilfreichen) Präsentationstipps vermittelt, sondern ein kondensierter Einblick in Wissenschaftsphilosophie, Diskurs und Argumentation gegeben. Dies ist aus unserer Sicht ein bisher noch zu wenig beachteter Aspekt von Wissenschaftskommunikationstrainings.
Fazit
Projektsteckbrief
Ziele: Viele partizipative Formate sind meist methodisch und organisatorisch aufwendig. Das Pilotprojekt hatte zum Ziel, praktisch und wissenschaftlich evaluiert herauszufinden, ob man schon aus der Diskussion nach einfachen Vorträgen in eher informellen Settings Hinweise auf Zukunftswünsche und Bewertungen von Bürger*innen erhält.
Zielgruppe: Zweites spezifisches Ziel des Projektes war es, neue Zielgruppen anzusprechen, vor allem Bürger*innen in eher ländlichen Räumen. Geplant waren eigentlich Vorträge in Vereinsheimen, Wirtshäusern oder Ähnliches in der Region Süddeutschland. Wegen Covid19 fanden diese allerdings online statt. Die Teilnehmenden wurden primär über die persönlichen Netzwerke der vortragenden Wissenschaftlerinnen oder regionale Partner*innen (zum Beispiel ForstBW, KlimaArena) angesprochen.
Team: Philipp Schrögel** und Christiane Hauser am Karlsruher Institut für Technologie* – Department für Wissenschaftskommunikation, Marcel Krüger an der Academy for Responsible Research, Teaching and Innovation, Max Priebe am Competence Center Foresight des Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, sowie als Partner*innen über Aufträge eingebunden: Philipp Niemann am Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation* und Jörg Weiss, Silvia Dreier, Petra Biermann, Melek Külcür bei der Agentur con gressa
Träger/Budget: Das Pilotprojekt wurde im Rahmen des „Ideenwettbewerbs für innovative analoge und digitale Partizipationsformate und -technologien“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert (FKZ 16IP109A & 16IP109B). Für die Projektpartner stand für Umsetzung und Begleitforschung ein Budget von rund 85.000 Euro zur Verfügung. Dazu kam eine Projektpauschale als Overhead für Zuwendung an das KIT.
Daten zur Zielerreichung: Geplant waren 3 Vor-Ort-Veranstaltungen und 2 Online-Veranstaltungen mit insgesamt 100 Teilnehmenden. Tatsächlich umgesetzt wurden 9 Online-Veranstaltungen mit rund 250 Teilnehmenden. Während die beiden erfahrenen Vortragenden vielen Interessierten bekannt waren (quasi „prominent“), kamen bei den jüngeren Vortragenden vor allem persönliche Netzwerke zum Tragen. Bei der Post-Befragung gaben 54 Prozent der Befragten an, dass die Gesprächsatmosphäre während der Veranstaltung wie bei einer Unterhaltung im Freundes- oder Bekanntenkreis war. Allerdings führt dies nicht automatisch dazu, dass Teilnehmende sich auch wohl fühlten, Fragen zu stellen oder gar eigene Wünsche an die Forschung heranzutragen. Zusätzlich zur eigentlichen Diskussion gab gut die Hälfte der Befragten (56 Prozent) auch in der Post-Befragung Auskunft zu Fragen und Wünschen an die Wissenschaft und deren Akteure. Von diesen formulierten 23,4 Prozent konkrete Fragen, die mit dem Thema des Vortrags und der Diskussion zusammenhingen. Ein deutlicher größerer Teil (43,8 Prozent) formulierte dagegen Hinweise, die sich an mehrere Disziplinen oder „die Wissenschaft“ allgemein richteten und häufig auch mit dem Wunsch verbunden wurden, Wissenschaft transparenter in die Öffentlichkeit zu kommunizieren. Trotz dieser Zurückhaltung gaben fünf von sieben Early-Career-Forschenden in den Interviews an, einen Impuls für die eigene Arbeit mitgenommen zu haben. Auch die erfahrenen Forscher*innen beschrieben das Format als durchaus geeignet, neue Aspekte in den wissenschaftlichen Forschungsprozess einzubringen und für Irritation zu sorgen.
Übertragbarkeit: Das Pilotprojekt hatte einen starken Fokus auf der Evaluation und Begleitforschung. Die grundlegende Idee, in einem methodisch einfachen Format den ländlichen Raum zu adressieren und Bürger*innen über persönliche und lokale Netzwerke von Forschenden oder lokale Partner*innen anzusprechen, ist aber auch in nicht-partizipativen Ansätzen mit Fokus auf dem Vortrag anwendbar.
*Das Karlsruher Institut für Technologie und das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation sind zwei der drei Träger des Portals wissenschaftskommunikation.de.
**Philipp Schrögel verantwortete das Projekt am Karlsruher Institut für Technologie und wechselte im Anschluss an die Universität Heidelberg.