Seit 2020 arbeiten Expert*innen aus verschiedenen Organisationen an dem Weißbuch Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland. Eine der Expertinnen, Anna Soßdorf, spricht im Interview über den Prozess und darüber, wie man daran mitwirken kann.
„Gemeinsam zu einer neuen Partizipationsstrategie“
Frau Soßdorf, Sie sind eine derjenigen, die am Prozess rund um das Weißbuch beteiligt sind. Was genau hat es damit auf sich?
Der Prozess dahinter hat bereits 2020 begonnen. Seitdem arbeiten insgesamt über 150 Teilnehmende aus verschiedenen Organisationen an dem Weißbuch. Das ganze heißt Weißbuch, weil wir aus einem Entwurfsstatus – einem Grünbuch – ein offizielles Positionspapier machen. Unser Ziel ist es, Citizen Science, also die Forschung mit Bürger*innen, stärker im Wissenschaftssystem zu verankern. Für dieses Ziel formulieren wir Handlungsempfehlungen.
Wie ist der Prozess bisher verlaufen?
Wir haben zunächst verschiedene Tagungen und Konferenzen gehabt, bei denen wir in Kleingruppen zu unterschiedlichen Themen diskutiert haben. Dabei ging es unter anderem um die Fragen, was Citizen Science mit Anerkennungskultur, mit Künstlicher Intelligenz oder eben wie in meinem Handlungsfeld mit Wissenschaftskommunikation zu tun hat. Dazu haben wir uns Gedanken gemacht, Recherchen angestellt und dann pro Gruppe auf Grundlage des Grünbuchs Kapitel für das Weißbuch verfasst. Im nächsten Schritt geben wir diese Kapitel jetzt in eine Online-Konsultation. Wir haben also das Buch im Internet öffentlich einseh- und kommentierbar gemacht. Es gibt also die Möglichkeit für jede*n mit Interesse am Buch mitzuwirken. Diese Konsultation läuft jetzt noch bis zum 30. September.
Sie haben am Handlungsfeld “Synergien mit der Wissenschaftskommunikation” mitgewirkt. Was sind in diesem Bereich die wesentlichen Erkenntnisse?
Uns ist vor allem wichtig, dass Wissenschaftskommunikation und Citizen Science keine Synonyme sind, sondern verschiedene Dinge. Citizen Science ist im Gegensatz zur Wissenschaftskommunikation ein eigenständiger Forschungsansatz, der über die Kommunikation hinausgeht.
Und gleichzeitig finde ich es sehr wichtig, dass in der Förderung von Citizen Science-Projekten Wissenschaftskommunikation mitgedacht wird, die Forscher*innen in der Vermittlung geschult werden und dieser Aspekt auch mit finanziellen Mitteln unterlegt wird.
Gibt es schon viele Rückmeldungen zu dem Kapitel?
Bisher leider noch nicht. Das mag auch daran liegen, dass Citizen Science natürlich ein relativ neues Feld ist und auch viele Expert*innen schon mitgewirkt haben. Wir würden uns aber sowohl über Fragen als auch Meinungsbeiträge sehr freuen. Auch um zu sehen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Gerade auf den letzten Metern freuen wir uns über jede Art des Feedbacks.
Was hoffen Sie durch das Weißbuch zu bewegen?
Auf der globaleren Ebene würde ich mir wünschen, dass Citizen Science als legitimer Forschungsansatz angesehen wird – gerade auch in den Bereichen, in denen das noch nicht der Fall ist. In der medizinischen Forschung oder vielen Naturwissenschaften ist Citizen Science sehr viel anerkannter und etablierter als in den Sozial- und Geisteswissenschaften.
Hat sich denn etwas bewegt in den letzten Jahren?
Die Bedeutung der Wissenschaftskommunikation ist auf jeden Fall gestiegen seitdem das Grünbuch 2017 veröffentlicht wurde. Durch die Coronapandemie ist noch mal deutlicher geworden, dass wir es besser schaffen müssen, auch die Hintergründe wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erklären und mündige Entscheidungen zu ermöglichen.
Citizen Science kann dazu insofern beitragen, dass mir eine Lernerfahrung immer dann am nächsten ist, wenn ich sie selbst erfahre. Wenn ich also lese, dass jemand etwas erforscht hat, hat es natürlich einen geringeren Effekt, als wenn ich es selbst erforsche beziehungsweise am Prozess beteiligt bin. Allerdings ist es natürlich utopisch, dass jede*r überhaupt ein Interesse, die Zeit und die Möglichkeit hat daran zu partizipieren. Deshalb ist es von meiner Seite aus wichtig, alle Bereiche der Wissenschaftskommunikation zu stärken und unterschiedliche Optionen für die jeweiligen Interessenlagen zu liefern.
Was sind derzeit limitierende Faktoren für Citizen Science?
Citizen Science ist als Ansatz einfach noch nicht bekannt genug und deshalb ist es häufig schwer Drittmittel einzuwerben, weil der Bereich in den Ausschreibungen noch nicht bedacht wird. Das liegt natürlich auch daran, weil Citizen Science immer auch ein bisschen experimentell ist und eben anders funktioniert als andere Arten zu forschen. Da würde ich mir eine Stärkung wünschen.
Wie erleben Sie die Anerkennung unter Wissenschaftler*innen?
Die Bereitschaft nimmt zumindest in meiner Wahrnehmung zu. Trotzdem gibt es auch immer noch viele, die skeptisch sind und hinterfragen, ob Citizen Science-Projekte auch die Qualitätsstandards von Forschung erfüllen.
Was haben Wissenschaftler*innen denn davon, sich an Citizen Science-Projekten zu beteiligen?
Man lernt sehr viel davon Menschen zuzuhören, die noch keine gefestigte Einstellungen und Ideen zu bestimmten Forschungsvorhaben haben. Davon kann man viel für die eigene Forschung mitnehmen, wenn man offen dafür ist und zuhört.