Sind Museen für „kritischen Dialog“ und das „Wohl des Planeten“ zuständig? Der Internationale Museumsrat diskutiert derzeit über eine neue Definition des Begriffs. Im ersten Teil unseres Pro und Kontras erklärt Beate Reifenscheid, Präsidentin des Deutschen Nationalkomitees, warum ihr Verband für eine Überarbeitung des Vorschlags ist.
Gegen Unverbindlichkeit und Politisierung: Zur Neudefinition der Museen
Ein Komitee des Internationalen Museumsrats (International Council of Museums, ICOM) machte im Sommer einen Vorschlag für eine überarbeitete Definition des Begriffs Museum. Diese sollte sich stärker als bisher an den Aufgaben und Rahmenbedingungen der Museumsarbeit im 21. Jahrhundert orientieren. Schon vor der offiziellen Abstimmung darüber auf der ICOM-Weltkonferenz Anfang September in Kyoto regte sich jedoch Widerstand: 24 Nationalkomitees, darunter auch der deutsche Verband, beantragten eine Vertagung der Entscheidung, um Zeit für eine Überarbeitung des Textes zu gewinnen. Den Kritikern sind einige Formulierungen der Neudefintion zu politisch, während ihnen traditionelle Aspekte von Museen, etwa Sammlungen, zu kurz kommen. Wir beleuchten die Argumente für und gegen den eingebrachten Vorschlag in einem Pro und Kontra. (Red.)
Bereits 2007 hat der Internationale Museumsrat ICOM eine Museumsdefinition erarbeitet, die zum Maßstab für viele Museen, Museumsneugründungen wie auch für die Politik geworden ist. Sie stellt ein Rahmenwerk her, auf das sich nahezu alle Nationen und Handlungsakteure verständigen konnten, und die in einer Offenheit formuliert ist, die Spielraum lässt, ohne beliebig zu sein. In der gültigen deutschen Übersetzung lautet sie:
„Ein Museum ist eine dauerhafte Einrichtung, die keinen Gewinn erzielen will, öffentlich zugänglich ist und im Dienst der Gesellschaft und deren Entwicklung steht. Sie erwirbt, bewahrt, beforscht, präsentiert und vermittelt das materielle und immaterielle Erbe der Menschheit und deren Umwelt zum Zweck von Studien, der Bildung und des Genusses.“
„Museums are democratising, inclusive and polyphonic spaces for critical dialogue about the pasts and the futures. Acknowledging and addressing the conflicts and challenges of the present, they hold artefacts and specimens in trust for society, safeguard diverse memories for future generations and guarantee equal rights and equal access to heritage for all people.
Museums are not for profit. They are participatory and transparent, and work in active partnership with and for diverse communities to collect, preserve, research, interpret, exhibit, and enhance understandings of the world, aiming to contribute to human dignity and social justice, global equality and planetary wellbeing.“
Dieser Vorschlag löste innerhalb der ICOM-Gemeinschaft eine große Kontroverse aus und führte dazu, dass auf der ICOM-Generalkonferenz in Kyoto im September dieses Jahres mit großer Mehrheit die weitere Überarbeitung beschlossen wurde. Die wirklich entscheidende Kritik entzündete sich an einigen zentralen Begriffen, die für das Museumswesen von großer Bedeutung sind und letztlich die Zukunft der Museen entscheiden. Eine dieser Formulierungen betrifft die Verortung des Museums, die nun als „polyphonic spaces“ relativ unverbindlich überall denkbar ist (auch ein Vorgarten kann zu einem solchen deklariert werden) und weder ein Programm haben noch eine rechtsverbindliche Institution sein muss. Für viele Staaten jedoch bildet der Charakter des Museums als Institution die maßgebliche Grundlage, mit öffentlichen Mitteln die wesentlichsten Inhalte und Aufgaben ihrer Einrichtungen überhaupt leisten zu können. Dieser sichert ihnen weitgehend die nötige Unabhängigkeit in der Programmgestaltung und der Forschung von museumsrelevanten Kontexten. Dies aufzugeben wäre schlicht fahrlässig.
Ferner wird an dem neuen Definitionsvorschlag die starke Politisierung des Museums als Ort des kritischen Dialogs bemängelt („critical dialogue about the past and the future“), wohingegen der Begriff Sammlung nicht mehr enthalten ist („they hold artefacts and specimens in trust for society“). Sammlungen jedoch sind für Museen essentiell – selbst mit Blick auf die hinzukommenden virtuellen Museen. Sammlungen bedürfen eines festen Ortes der Bewahrung, der Erforschung, des Ausstellens und der Vermittlung an das Publikum. Dass dies auch kritisch erfolgen kann und soll, ist evident, sollte aber nicht die erste Zielrichtung sein.
ICOM Deutschland, das Deutsche Nationalkomitee des Internationalen Museumsrates, hat deshalb dafür votiert, die Definition in der vorliegenden Form noch einmal zu überarbeiten, und wird diesen Prozess aktiv begleiten.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Das Aufmacherbild zeigt eine Ansicht der Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ (Museumsinsel Berlin, 27.10.2017–24.11.2019).