Foto: Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker

Gegen Unverbindlichkeit und Politisierung: Zur Neudefinition der Museen

Sind Museen für „kritischen Dialog“ und das „Wohl des Planeten“ zuständig? Der Internationale Museumsrat diskutiert derzeit über eine neue Definition des Begriffs. Im ersten Teil unseres Pro und Kontras erklärt Beate Reifenscheid, Präsidentin des Deutschen Nationalkomitees, warum ihr Verband für eine Überarbeitung des Vorschlags ist.

Ein Komitee des Internationalen Museumsrats (International Council of Museums, ICOM) machte im Sommer einen Vorschlag für eine überarbeitete Definition des Begriffs Museum. Diese sollte sich stärker als bisher an den Aufgaben und Rahmenbedingungen der Museumsarbeit im 21. Jahrhundert orientieren. Schon vor der offiziellen Abstimmung darüber auf der ICOM-Weltkonferenz Anfang September in Kyoto regte sich jedoch Widerstand: 24 Nationalkomitees, darunter auch der deutsche Verband, beantragten eine Vertagung der Entscheidung, um Zeit für eine Überarbeitung des Textes zu gewinnen. Den Kritikern sind einige Formulierungen der Neudefintion zu politisch, während ihnen traditionelle Aspekte von Museen, etwa Sammlungen, zu kurz kommen. Wir beleuchten die Argumente für und gegen den eingebrachten Vorschlag in einem Pro und Kontra. (Red.)

 

Bereits 2007 hat der Internationale Museumsrat ICOM eine Museumsdefinition erarbeitet, die zum Maßstab für viele Museen, Museumsneugründungen wie auch für die Politik geworden ist. Sie stellt ein Rahmenwerk her, auf das sich nahezu alle Nationen und Handlungsakteure verständigen konnten, und die in einer Offenheit formuliert ist, die Spielraum lässt, ohne beliebig zu sein. In der gültigen deutschen Übersetzung lautet sie:

„Ein Museum ist eine dauerhafte Einrichtung, die keinen Gewinn erzielen will, öffentlich zugänglich ist und im Dienst der Gesellschaft und deren Entwicklung steht. Sie erwirbt, bewahrt, beforscht, präsentiert und vermittelt das materielle und immaterielle Erbe der Menschheit und deren Umwelt zum Zweck von Studien, der Bildung und des Genusses.“

„Nach nur zwölf Jahren erscheint die derzeitige Definition nicht mehr ausreichend und zeitgemäß.“ Beate Reifenscheid
Nur zwölf Jahre später erscheint diese Definition nicht mehr ausreichend und zeitgemäß. Die Frage, die sich stellt, wenn eine Definition angepasst oder neu formuliert werden soll, ist: Welche Veränderungen beziehungsweise Prozesse haben bereits stattgefunden, die eine Anpassung der Museen erforderlich zu machen scheinen? Die Frage richtet sich zugleich darauf, ob diese Veränderungen die Institution bereichern oder eher gefährden können. Im Zeichen der Globalisierung, der steigenden Zahl an Museumsgründungen – insbesondere derer, die von Privatsammlern oder Wirtschaftsunternehmen initiiert werden – sowie der sich rasch entwickelnden neuen Technologien (wie Digitalisierung, Augmented Reality, Virtual Reality) schien es ratsam, die bestehende Definition neu zu verhandeln. Ein Vorschlag dafür wurde von dem internationalen ICOM-Komitee „Museum Definition, Prospects and Potentials“ (MDPP) unter der Leitung der dänischen Museumsdirektorin Jette Sandahl im Juli 2019 formuliert. Er lautet:

„Museums are democratising, inclusive and polyphonic spaces for critical dialogue about the pasts and the futures. Acknowledging and addressing the conflicts and challenges of the present, they hold artefacts and specimens in trust for society, safeguard diverse memories for future generations and guarantee equal rights and equal access to heritage for all people.

Museums are not for profit. They are participatory and transparent, and work in active partnership with and for diverse communities to collect, preserve, research, interpret, exhibit, and enhance understandings of the world, aiming to contribute to human dignity and social justice, global equality and planetary wellbeing.“

Generalkonferenz des Internationalen Museumsrats in Kyoto im September 2019
Auf der Generalkonferenz des Internationalen Museumsrats in Kyoto dieses Jahr sollte eigentlich die Neudefinition des Begriffs Museum verabschiedet werden – doch einige nationale Komitees stellten sich quer und forderten eine Überarbeitung des Entwurfs, darunter auch die Sektion aus Deutschland. Foto: ICOM – International Council of Museums

Dieser Vorschlag löste innerhalb der ICOM-Gemeinschaft eine große Kontroverse aus und führte dazu, dass auf der ICOM-Generalkonferenz in Kyoto im September dieses Jahres mit großer Mehrheit die weitere Überarbeitung beschlossen wurde. Die wirklich entscheidende Kritik entzündete sich an einigen zentralen Begriffen, die für das Museumswesen von großer Bedeutung sind und letztlich die Zukunft der Museen entscheiden. Eine dieser Formulierungen betrifft die Verortung des Museums, die nun als „polyphonic spaces“ relativ unverbindlich überall denkbar ist (auch ein Vorgarten kann zu einem solchen deklariert werden) und weder ein Programm haben noch eine rechtsverbindliche Institution sein muss. Für viele Staaten jedoch bildet der Charakter des Museums als Institution die maßgebliche Grundlage, mit öffentlichen Mitteln die wesentlichsten Inhalte und Aufgaben ihrer Einrichtungen überhaupt leisten zu können. Dieser sichert ihnen weitgehend die nötige Unabhängigkeit in der Programmgestaltung und der Forschung von museumsrelevanten Kontexten. Dies aufzugeben wäre schlicht fahrlässig.

Ferner wird an dem neuen Definitionsvorschlag die starke Politisierung des Museums als Ort des kritischen Dialogs bemängelt („critical dialogue about the past and the future“), wohingegen der Begriff Sammlung nicht mehr enthalten ist („they hold artefacts and specimens in trust for society“). Sammlungen jedoch sind für Museen essentiell – selbst mit Blick auf die hinzukommenden virtuellen Museen. Sammlungen bedürfen eines festen Ortes der Bewahrung, der Erforschung, des Ausstellens und der Vermittlung an das Publikum. Dass dies auch kritisch erfolgen kann und soll, ist evident, sollte aber nicht die erste Zielrichtung sein.

„Sammlungen bedürfen eines festen Ortes der Bewahrung, der Erforschung, des Ausstellens und der Vermittlung an das Publikum.“ Beate Reifenscheid
Damit sind auch die positiv intendierten Formulierungen der Neudefinition noch einmal kritisch zu hinterfragen, in denen es heißt: „Museums are democratising […], guarantee equal rights […], aiming to contribute to […] social justice, global equality and planetary wellbeing“. Der Anspruch ist hoch und orientiert sich an den mehr als berechtigten humanistischen Idealen, die in vielen Staaten der westlichen Welt eine zentrale Rolle spielen. Jedoch erscheinen diese Beschreibungen angesichts der Weltlage mit ihren diversen politischen Systemen und zahlreichen Staaten, in denen weder Demokratie noch Menschenrechte eine Rolle spielen, als ein gewagtes Unterfangen. Es stellt sich die Frage, ob Museen das per Definition leisten sollen. Dass sie diese Ideale anstreben, wäre wünschenswert, aber es ist ganz sicher der Part, den man ausdrücklich in einem Leitbild für Museen formulieren sollte. Eine Definition hingegen dient der Verständigung auf zentrale Aufgaben und Funktionen, auf die sich idealerweise auch jene Staaten und Partner verständigen können, die andere Prämissen festlegen. Die Definition sollte verbindlich das verankern, wozu die Museen der Welt sich als Institutionen des Sammelns, Bewahrens, Forschens und Vermittelns verpflichten können, damit sich nicht nur ihre lokalen Träger, sondern gegebenenfalls auch Regierungen darauf einlassen können. Nur das wird dauerhaft ermöglichen, dass Museen sowohl national als auch international als Nuklei kulturellen Verstehens und Verständigens begriffen werden.

ICOM Deutschland, das Deutsche Nationalkomitee des Internationalen Museumsrates, hat deshalb dafür votiert, die Definition in der vorliegenden Form noch einmal zu überarbeiten, und wird diesen Prozess aktiv begleiten.

 

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Das Aufmacherbild zeigt eine Ansicht der Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ (Museumsinsel Berlin, 27.10.2017–24.11.2019).