Foto: Jose Moreno, CC0

Für die Freiheit der Wissenschaft

Am 22. April 2017 werden rund um den Globus und auch in vielen Städten Deutschlands „Marches for Science“ stattfinden, um für die Freiheit und den Wert der Wissenschaft in unserer Gesellschaft einzutreten.

“Wenn es egal ist, ob Aussagen auf solider Forschung beruhen oder frei erfunden sind, hat das Konsequenzen”, heißt es auf der Webseite March for Science Germany und zwar für die “freiheitlich-demokratische Grundordnung”. Denn wer wissenschaftliche Erkenntnisse aufgrund einer Gefühlslage ablehnt, mit dem ist ein Diskurs über Fakten nicht mehr möglich. Auf welcher Basis könnte dieser geführt werden? Aus Protest gegen diese Entwicklungen in der Politik weltweit – insbesondere in der Türkei und den USA – werden auch in Deutschland am 22. April Demonstrationen stattfinden.

Dabei hat jeder eigene Beweggründe und setzt eigene Schwerpunkte. Otmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft äußerte sich zu seinem Engagement für den March for Science: „Es ist nicht die Aufgabe von Wissenschaft sich in tagespolitische Debatten einzumischen. Wir Wissenschaftler sollten aber dann unsere Stimme erheben, wenn die Freiheit der Wissenschaft in Frage gestellt wird.“ Auch wenn er die wissenschaftliche Freiheit in Deutschland nicht gefährdet sieht, hält er den Protestmarsch für ein wichtiges Signal und wünscht sich, dass viele Wissenschaftler_innen an den aktuell geplanten Veranstaltungen in 14 deutschen Städten am 22. April 2017 teilnehmen. Die Organisator_innen wollen mit den Demonstrationen darauf aufmerksam machen, wie wichtig Wissenschaft und ihre Erkenntnisse sind – nicht nur für die Forschenden, sondern für jeden, äußerte sich Franz Ossing von der Berliner Gruppe in einem Interview. Wie sähe unser Alltag ohne GPS, den Wetterbericht oder Antibiotika aus?

Die weltweit größte Demonstration für Wissenschaft formiert sich

Die Idee des Science March entstand in Anlehnung an den Women’s March, der am 21. Januar 2017 stattfand. Diese Demonstration war eine Reaktion auf frauenfeindliche Äußerungen des neu vereidigten amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Tausende Menschen in Washington und auf der gesamten Welt demonstrierten für Frauen- und Menschenrechte. Caroline Weinberg, eine Wissenschaftsjournalistin aus New York, der Wissenschaftler Jonathan Berman von der Universität Texas und die Anthropologin Valorie Aquino von der University of New Mexico fanden sich über Twitter und begannen die Organisation eines March for Science in Washington. Die Sache verselbstständigte sich: Innerhalb weniger Tage gingen die Follower und Fanzahlen auf Twitter und Facebook in die Tausende und es gründeten sich zahlreiche lokale Gruppen. Heute folgen 343 Tausend Nutzer dem Twitter-Profil und die zentrale Facebook-Seite zählt rund 478 Tausend “Gefällt mir”-Angaben. Schnell entstand eine Webseite und mindestens genauso schnell formierten sich rund um den Planeten in zahlreichen Städten Gruppen, die Solidaritätsmärsche planen. Als Datum wählten die Organisatoren den Earth Day, den 22. April 2017. Weltweit sind derzeit fast 480 Demonstrationen geplant.

Auch in Deutschland sind am 22. April 2017 in mehreren Städten Solidaritätsmärsche geplant. Jeder ist willkommen, für Wissenschaft als einen zentralen Teil unserer Gesellschaft, unseres Fortschrittes und Selbstverständnisses auf die Straße zu gehen. Auf der Webseite des Deutschen March for Science wächst die Liste der Unterstützer – Institutionen und Personen aus der ganzen Republik befürworten das Vorhaben.

Kritik am Science March

Es gibt aber auch Zweifler an dieser Art des Protestes. „Es ist ein Irrglaube, dass man Wissenschaftlichkeit – oder eine andere Weltanschauung auf der Straße durchsetzen kann“, schreibt Robert Gast auf spektrum.de. „We need storytellers, not marchers.“, sagt Robert Young in seinem viel zitierten Artikel in The New York Times.

Die am häufigsten aufgeführte Sorge ist die um eine potenzielle Politisierung der Wissenschaft und welche Folgen sie haben könnte: Wissenschaftler_innen könnten zu einer weiteren Gruppe im Kulturkampf werden.  Wissenschaftler_innen könnten angreifbar werden, wenn sie ihre politische Neutralität aufgeben: ein „Protestzug aus wütenden Wissenschaftlern, der vor Fernsehkameras tritt und Parolen kundtut“ mag ein falsches Bild vermitteln, sagt Robert Gast. 1

Dass die Freiheit der Wissenschaft in einzelnen Staaten außerhalb Deutschlands potenziell gefährdet ist, zeigt sich aktuell beispielsweise in der Türkei oder nun auch in den USA. Sicher werden einige in Deutschland auch deshalb auf die Straße gehen; andere primär, um dem postfaktischen Zeitalter entgegenzutreten und für Wissenschaft und Fakten einzutreten.

Ihnen geht es um den Erhalt einer freien, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft, die eine unabhängige Wissenschaft ermöglicht und benötigt. Das zumindest betonen die Organisator_innen des deutschen March for Science. Ob nun tatsächlich eine Grenze überschritten ist, die es notwendig macht, auch auf die Straße zugehen, muss jeder für sich entscheiden. Dass man sich darüber hinaus als Wissenschaftler über die Rolle von Wissenschaft in der Gesellschaft Gedanken macht und das Gespräch mit der Öffentlichkeit sucht, würden auch die Kritiker des Marsches unterstützen. Wir zumindest sind am 22. April dabei und werden berichten.