Heute eröffnet in Köln die Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation. Markus Brandl, Leiter des Community-Managements bei der Bayer AG, gibt einen Vorgeschmack auf seinen Workshop über das Diskutieren mit Krawallmachern im Netz.
Feed the Troll – warum man auch Störenfrieden antworten sollte
Haben Sie schon einmal mit jemanden, der in den USA lebt, über das Thema „Social Media“ gesprochen? Und ist Ihnen dabei zufällig, als es um negative Beiträge ging, das Wort „Shitstorm“ über die Lippen gekommen? Nein? Dann ist Ihnen eine bemerkenswerte Reaktion entgangen. Das Wort Shitstorm gibt es nämlich außerhalb Deutschlands gar nicht. Ein englischsprechender Gesprächspartner nimmt die Übersetzung wortwörtlich und kugelt sich auf dem Boden vor Lachen. „You crazy Germans!“ Zugestanden, die bildliche Vorstellung ist tatsächlich … sagen wir: einprägsam.
Ja, wir crazy Germans mit unseren Wortneuschöpfungen – „Shitstorm“ – der Begriff beschreibt ein Aufkommen negativer Nachrichten und Kommentare zu einem digitalen Beitrag. Das Bedürfnis, schwer einzuschätzenden kommunikativen Phänomen einen Namen zu geben, ist ein nachvollziehbarer Impuls, nur die Definition ist ungenau und variiert. Wie viele Kommentare sind denn nötig, damit diese Einstufung greift? Zählen lediglich üble Beleidigungen? Persönliche Erlebnisse? Müssen andere Medien erst darüber berichten? Wie lange müssen die negativen Nachrichten anhalten? Zwei Wochen? Eine Stunde? Führen wir diese Eingrenzungsfragen nicht bis zum Ende fort. Entscheidend ist: Jeder beantwortet sie unterschiedlich. Es gibt keinen objektiven „Shitstorm“ – es ist lediglich ein Modebegriff, für den es keine verbindlichen Kriterien gibt. Die Folgen sind allerdings gravierend, denn die Inflation dieses Begriffs führt bei der kleinsten Andeutung von Kritik zu einem hysterischen Aufschrei.
Die DNA der sozialen Netzwerke
Ein Troll ist nur ein statistischer Wert
Beispiel aus der Praxis: Die Bundesregierung veröffentlicht einen Post zu den Vorteilen einer Impfung. Sachlich klärt die Regierung mit einer schicken Infografik auf Facebook darüber auf, weshalb eine Impfung die Gesellschaft schützt. Ein aggressiver Impfgegner sieht den Beitrag und kommentiert eine aufwendig formulierte Verschwörungstheorie. Der Nutzer hat weder einen authentischen Namen, noch ein reales Profilbild – wir sprechen von einem Troll, einem Nutzer mit skurriler Denkweise und dem penetranten Bedürfnis, seine Gedanken mitzuteilen. Eigentlich ist ein Troll lediglich ein statistischer Wert – ein kleiner Prozentanteil von Menschen, die immer einen vermeintlich kritischen Punkt entdecken und benennen. Der Social-Media-Algorithmus kann jedoch den Kommentar eines Trolls so stark gewichten, dass er von vielen Leserinnen und Lesern wahrgenommen wird – es reichen schon ein paar Gefällt-mir-Angaben anderer Trolle aus. Die Verschwörungstheorie ist jetzt direkt unter dem Beitrag der Bundesregierung verankert und zieht weitere Gleichgesinnte an. Ein neutraler Leser des Beitrags und der Kommentare kann nun zu dem Schluss kommen: „Alle hiersehen Impfen kritisch. Vielleicht sollte auch ich meine Einstellung zum Impfen überdenken?“
Der Algorithmus verfälscht das Meinungsbild und die Wahrnehmung
Ein guter Konter
Ich persönlich bin ein großer Anhänger und Bewunderer des „Battle Raps“, einem Genre innerhalb der Rap-Musik. Zwei Kontrahenten duellieren sich hierbei mit gerappten Texten, die den jeweils anderen möglichst hart treffen sollen, sie versuchen also dessen Schwächen aufzuzeigen. Besonders legendäre und anspruchsvolle Battles sind eben jene, in denen nicht einfach blind gelogen und beleidigt wird, sondern die, in denen sprachgewandt und unterhaltsam die Defizite des Gegners aufgedeckt werden. Besonders wichtig ist hierbei Sprachwitz, Schnelligkeit und die Empathie, das heißt, der authentische Bezug zum Gegner. Grundlage sind hierbei Fakten. Die Sprache ist zeitgemäß und nah am Zuhörer. Ahnen sie bereits, weshalb wir am Ende dieses Beitrags den Ausflug in die Musik machen? Ein guter Community-Manager könnte durchaus ein Battle-Rap-Turnier gewinnen. Bei einer Antwort auf Social Media muss Ihre Kommunikation natürlich immer auf nachvollziehbaren und belegbaren Fakten beruhen. Sie müssen respektvoll, unaufgeregt und sachlich bleiben. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Ihre Antwort wie eine Pressemeldung klingen muss. Ein Troll unterstellt ihrer Firma, sie würden nur an Gewinnmaximierung denken und „dafür sogar über Leichen gehen“. Natürlich bieten sie dem Troll weiterführende Links an, die seine Vorwürfe widerlegen – sie halten sich an nachvollziehbare und valide Argumente. Anhand des Profilbildes des Trolls sehen Sie jedoch, dass er offensichtlich ein begeisterter Leser von Herman Hesse ist. Sie beginnen ihre Antwort also mit einem Zitat seines Lieblingsautoren:
„Lieber @Troll, Hermann Hesse sagte einst: ‚Es wird alles immer gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht.‘ Wir möchten Ihnen daher ganz klar sagen, dass Sie falsch liegen, und hoffen, dass Sie sich diese Informationen einmal durchlesen. (LINK) Vielleicht wird Ihre Einstellung ‚ein wenig anders‘. Uns interessiert sehr, was Sie von unseren Initiativen halten.“
PS: Die Bundesregierung betreibt übrigens ein hervorragendes Community-Management und würde eine Verschwörungstheorie nie unkommentiert stehen lassen.
Die Jahrestagung 2019 des Bundesverbands Hochschulkommunikation findet vom 4. bis zum 6. September 2019 in Köln statt. Markus Brandl hält seinen Workshop „Dialog statt Deckung – weshalb es sich lohnt sogar mit Trollen zu diskutieren“ am Donnerstag von 11:30 bis 13 Uhr.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.
Weitere Informationen über den Umgang mit Internet-Trollen finden Sie hier:
- auf klimafakten.de
- auf netzpolitik.org