Foto: Maksym Kaharlytskyi

#FactoryWisskomm – Über die Zukunft

Das Ergebnispapier der #FactoryWisskomm wird am 23. Juni 2021 in einer Live-Online-Veranstaltung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vorgestellt. Es ist das Ergebnis einer fast einjährigen Denkfabrik mit Vertreter*innen aus Wissenschaft und Kommunikation. Gian-Andri Casutt vom Schweizer ETH-Rat hat sich das Papier vorab und mit dem Blick von außen angeschaut. Ein Kommentar.

In den letzten Jahren fand insbesondere in Europa eine stärkere Auseinandersetzung mit Wissenschaftskommunikation statt. Zahlreiche Arbeitsgruppen, Konferenzen und Grundlagenpapiere sind daraus entstanden. Nun hat die Pandemie noch einmal zu einer Verstärkung dieser Tendenz beigetragen, weil die Vermittlung von wissenschaftlichem Wissen an die breite Bevölkerung, aber auch an die Politik zu einer wichtigen Aufgabe von Forschenden, aber auch Journalist*innen geworden ist. Wir stellen auf europäischer Ebene fest, dass alle Länder während der Pandemie Handlungsspielräume für eine Verbesserung ihrer Wissenschaftskommunikation erkannt haben. Mit dem soeben publizierten Bericht der #FactoryWisskomm ist ein interessantes Grundlagenpapier mit Handlungsempfehlungen aus Deutschland entstanden. In den nächsten Monaten werden ähnliche Papiere in der Schweiz und anderen Ländern erscheinen.

Die #FactoryWisskomm hat mit ihren sechs zentralen Handlungsfeldern die wichtigsten Bereiche für eine zukünftige Wissenschaftskommunikation thematisiert. Der Bericht ist ein Zeichen, dass die Wissenschaftslandschaft in Deutschland eine Verbesserung der Wissenschaftskommunikation anstrebt. Die folgende Einordnung geschieht mit einem Blick von außerhalb:

Themenfeld Kompetenzaufbau 

„Auch ein Verständnis für die gesellschaftlichen Realitäten und Dynamiken könnte ein wichtiges Lernelement für Kommunizierende sein.“ Gian-Andri Casutt
Ein wichtiges Handlungsfeld beschreibt die #FactoryWisskomm im Kapitel Kompetenzaufbau der Wissenschaftskommunikation. Gerade die letzten Monate zeigten, dass Wissenschaftskommunikation nicht von Institutionen, sondern hauptsächlich von den Forschenden selbst oder Wissenschaftsjournalist*innen gemacht wird. Sprechen wir folglich von einer Verbesserung dieser Kommunikation, müssen wir mehr in den Kompetenzerwerb in Wissenschaftskommunikation auf allen Stufen investieren. Dazu sind Vorschläge aufgelistet wie Kurse in Medienkompetenz, Teilnahme an Praxisprojekten, Kameratraining und Krisenkommunikation für Studierende, Postdocs und etablierte Wissenschaftler*innen. Vielleicht hätte noch zusätzlich ein Fokus auf Kurse zum Verständnis von Politik und politischer Mechanismen hinzugefügt werden sollen. In vielen Ländern hat in der Pandemie gerade der Austausch zwischen Wissenschaft und Politik nicht gut funktioniert, weil das gegenseitige Verständnis fehlte. Auch ein Verständnis für die gesellschaftlichen Realitäten und Dynamiken könnte ein wichtiges Lernelement für Kommunizierende sein. Damit wird das gegenseitige Verständnis von Forschenden im Austausch mit der Bevölkerung gestärkt.

Themenfeld Anerkennung und Reputation

„Hier wird die Herausforderung bleiben, dass die vielfältigen konkreten Vorschläge auf das Interesse der Leitungsebene der Wissenschaftsinstitutionen stoßen müssen.“ Gian-Andri Casutt
Die sehr konkreten Beispiele für die Anerkennung der Wissenschaftskommunikation im zweiten Handlungsfeld liefern ausgezeichnete Inputs. Die Autor*innen wollen kommunizierende Wissenschaftler*innen mit Preisen und Maßnahmen im Bereich der Personal- und Persönlichkeitsentwicklung stärker unterstützen. Weitere konkrete Handlungsbeispiele für Hochschulen sind die Bereitstellung von finanziellen Ressourcen für Kommunikationsprojekte, die Schaffung von „Comm-Hubs“ oder die Etablierung von Fort- und Weiterbildungen sowie professionellen Strukturen für Wissenschaftskommunikation innerhalb der Hochschulen. Mit der Wertschätzung der Wissenschaftskommunikation der Forschenden werden die zahlreichen Initiativen außerhalb der Wissenschaftslandschaft profitieren. Hier wird die Herausforderung bleiben, dass die vielfältigen konkreten Vorschläge auf das Interesse der Leitungsebene der Wissenschaftsinstitutionen stoßen müssen. Wenig beleuchtet wird der Umgang mit Social Media. Die Erfahrung der letzten Monate zeigt, dass Forschende dabei ausgebildet und begleitet werden sollten, nicht nur in kommunikativer, sondern auch juristischer und manchmal auch psychologischer Hinsicht, gerade im Falle eines Shitstorms.

Themenfeld Wirkungsmessung/Forschung

„Insgesamt ist das wünschenswert, allerdings ist die Wissenschaftskommunikationsforschung, besonders in Deutschland, bereits recht vielfältig.“ Gian-Andri Casutt
Im Handlungsfeld der Forschung über Wissenschaftskommunikation ist man sich auch international weitgehend einig, dass hier mehr investiert werden sollte. In vielen Ländern gibt es noch kaum Lehrstühle für Wissenschaftskommunikation. Die Forschung über Wissenschaftskommunikation erbringt wichtige Erkenntnisse über die Wirkung der Maßnahmen. Gerade auch über Strukturen und Prozesse der Politikberatung könnten die Forschenden des Bereichs interessante Inputs geben. Das Kapitel zu Wissenschaftsforschung thematisiert einige Handlungsempfehlungen wie eine stärkere internationale Zusammenarbeit und Vernetzung, Entwicklung von Studiengängen sowie eine gute Verzahnung von Theorie und Praxis. Insgesamt ist das wünschenswert, allerdings ist die Wissenschaftskommunikationsforschung, besonders in Deutschland, bereits recht vielfältig.

Themenfeld Qualität und Evaluation

Die Wissenschaftsforschung ist ebenso ein wichtiges Element der Qualitätssicherung von Wissenschaftskommunikation. Das separate Handlungsfeld zum Thema Qualitätssicherung ist nicht sehr ausführlich und listet vor allem Leitlinien auf und schlägt neue Leitlinien vor. Allerdings bleibt etwas unklar, wie und auf welchen Ebenen solche Leitfäden angepasst werden sollen, denn anscheinend gibt es sie schon.

Themenfeld Partizipation

Ein Handlungsfeld, welches im Bericht ausführlich beschrieben wird, ist die Partizipation durch die Gesellschaft. Allerdings wird trotz dieser Ausführlichkeit wenig Neues hinzugefügt. Etwa seit dem Jahr 2000 gibt es sowohl in Deutschland mit Wissenschaft im Dialog, als auch in der Schweiz mit Science et Cité (Wissenschaft und Gesellschaft im Dialog) etablierte Akteure, welche sich auf partizipative Formate spezialisiert haben. Grundlage für deren Gründung waren die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Public Engagement on Science and Humanities.

lDie große Frage ist, wie etablieren wir diese Formate in einer neuen Kultur der Wissenschaft?“ Gian-Andri Casutt
Die Herausforderungen dieser häufig kostspieligen Formate war immer, ein genügend breites Publikum mit den Dialogmaßnahmen zu erreichen und Wirkung zu erzielen. Die im Text aufgelisteten Formate von Bürger*innen-Dialogen, Konsensuskonferenzen, Citizen Science, Kinderunis, Science Centers, Schülerlabore, Science Festivals oder auch Institutionen wie die Technologiefolgenabschätzung gibt es bereits seit Längerem. Der um 2000 entstandene europäische Dachverband der Science Festivals EUSEA zeugt von der langjährigen Erfahrung. Hier hätte ein stärkerer Fokus auf neue Initiativen oder vor allem auf eine Verankerung der Partizipation in der Wissenschaft gelegt werden sollen. Die große Frage ist, wie etablieren wir diese Formate in einer neuen Kultur der Wissenschaft?

Themenfeld Wissenschaftsjournalismus

„Die vielfältigen Vorschläge im Bereich Wissenschaftsjournalismus hätten es verdient, umgesetzt zu werden.“ Gian-Andri Casutt
Zum Schluss beleuchtet der Bericht den Wissenschaftsjournalismus, der gerade in der Pandemie als wichtiger Akteur auftrat. Hier gibt es mit dem Science Media Center in Deutschland ein interessantes Projekt, welches auch international beachtet wird. Die vielfältigen Vorschläge im Bereich Wissenschaftsjournalismus hätten es verdient, umgesetzt zu werden. Dazu gehört beispielsweise die Gründung einer Weiterbildungsakademie für Wissenschaftsjournalismus, sowie Volontariate für Post-Docs im Wissenschaftsjournalismus oder die Etablierung eines Mentoringprogramms. Der Vorschlag einer Verbrauchsstiftung zur Unterstützung des Wissenschaftsjournalismus, ist ein prüfenswerter Vorschlag, der auch in anderen Ländern, wie in der Schweiz, bereits diskutiert wird.

Mit dem vorliegenden Bericht (Anm. d. Red: Er wird am 23. Juni 2021 ab 18.30 hier im Livestream vorgestellt.) ergibt sich eine interessante Zusammenstellung von Handlungsfeldern und Maßnahmen. Etwas wenig erfährt man im Bericht über die neuen Entwicklungen durch Podcasts, Vlogs, Social Media und die verschiedenen digitalen Plattformen. Dies sind völlig neue Felder der Wissenschaftskommunikation. Deutschland hat es mit dem Bericht der #FactoryWisskomm vorgemacht und es wird sich zeigen, welche Erkenntnisse andere Länder aus den Erfahrungen der letzten Jahre, insbesondere der Pandemie, ziehen. Eine große Herausforderung für uns alle bleibt die Umsetzung und Verankerung der zentralen Forderungen.


Das Papier der #FactoryWisskomm

Handlungsperspektiven für die Wissenschaftskommunikation“, herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung am 23. Juni 2021

Weitere Beiträge zum Thema

Berichterstattung auf Wissenschaftskommunikation.de

Kommentare und Beiträge zum Ergebnispapier

Hintergründe

Die Reaktionen auf das Grundsatzpapier des BMBF auf Wissenschaftskommunikation.de