Die Denkfabrik #FactoryWisskomm des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geht in die zweite Runde. Cordula Kleidt und Amina Beyer-Kutzner geben Einblicke in die Zielsetzung, neue Perspektiven im Prozess und den Umgang mit der Kritik an der Edition 1.
#FactoryWisskomm –
„Es gibt noch viel zu tun“
Frau Kleidt, die #FactoryWisskomm geht in eine zweite Runde. Welche Schwerpunkte werden in dieser Legislaturperiode in der Denkfabrik gesetzt?
Cordula Kleidt: Erkenntnisse aus der Wissenschaft helfen Politik und Gesellschaft, Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit zu finden. Sie sind für eine zukunftsfähige Problemlösung – etwa Klima, Energieversorgung, Sicherheit und gesellschaftlicher Zusammenhalt – unabdingbar. Bewältigen lassen sich all diese großen Herausforderungen nur gemeinsam. Deshalb ist es so entscheidend, auch die Perspektiven der Zivilgesellschaft einzubeziehen. Dazu brauchen wir gute Wissenschaftskommunikation. Wissenschaftler*innen leisten hier einen ganz zentralen Beitrag. Deshalb möchten wir sie ermutigen und befähigen, über ihre Arbeit in den Dialog zu treten. Die Bundesregierung möchte Wissenschaftskommunikation systematisch auf allen wissenschaftlichen Karrierestufen verankern. Unser Ziel sind optimale Rahmenbedingungen, Strukturen und Anerkennung für einen guten Austausch zwischen Wissenschaft, Gesellschaft, Medien, Wirtschaft und Politik – und zwar nicht nur im Wissenschaftssystem.
Weshalb hat sich das Ministerium dazu entschlossen, den Prozess fortzusetzen?
Kleidt: In dem bislang einmaligen Prozess der #FactoryWisskomm haben Expert*innen gemeinsam konkrete Handlungsperspektiven für die Wissenschaftskommunikation erarbeitet. Diese gilt es nun, gemeinsam peu à peu umzusetzen. Gleichzeitig wollen wir neue Entwicklungen und Themen frühzeitig adressieren. Vor diesem Hintergrund hat sich das Ministerium entschieden, mit der #FactoryWisskomm über die gesamte Legislaturperiode eine Diskursplattform anzubieten.
Amina Beyer-Kutzner: Da neben Wissenschaftler*innen auch viele andere Akteure in der Wissenschaftskommunikation eine wichtige Rolle spielen, verfolgen wir in dieser Legislaturperiode auch das Ziel, diese verstärkt einzubeziehen: die forschungsstarke Industrie, soziale Bewegungen, Influencer*innen oder nicht zuletzt Politik und Verwaltung. Denn Wissenschaftskommunikation ist längst nicht mehr nur Thema der Wissenschaft. Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Hierfür ist die Coronapandemie ein aktuelles Beispiel.
Kleidt: Und dabei beschäftigen uns mehr denn je der Umgang mit Desinformation, Wissenschaftspopulismus und der Schutz von Wissenschaftler*innen beispielsweise vor Angriffen im Netz. Zentral ist auch die Frage, wie angesichts einer 24/7-Informationsflut zielgruppengerechter kommuniziert werden kann. Das kann bedeuten, dass unter Umständen weniger statt mehr kommuniziert wird. Wir brauchen auch einen Austausch darüber, wie wirklich gute und qualitativ hochwertige Wissenschaftskommunikationsformate noch mehr Wirkung entfalten können. Hier können wir von anderen Ländern definitiv lernen. Und wir profitieren vom Austausch mit anderen Communities, etwa im Bereich der Politikberatung und der Innovationskommunikation. Hierfür gibt die #FactoryWisskomm den vielfältigen Akteuren eine Plattform für Austausch, Diskurs und Kontroverse.
Kleidt: Die Arbeit der #FactoryWisskomm hat mit den Handlungsperspektiven in der Edition 1 eine hervorragende Basis geschaffen. Darauf können wir aufbauen. Knapp über ein Jahr nach Abschluss der Edition 1 hat sich insgesamt viel bewegt. Zum Beispiel haben der Wissenschaftsrat und die Hochschulrektorenkonferenz im Lauf des vergangenen Jahres eigene Positionspapiere vorgelegt. In den Ländern entstehen spannende Wisskomm-Initiativen.
Der Zusammenschluss von Joachim Herz Stiftung, Rudolf Augstein Stiftung, Schöpflin-Stiftung, Stifterverband, VolkswagenStiftung, ZEIT-Stiftung und Wissenschaftspressekonferenz bietet seit diesem Jahr innovativen wissenschaftsjournalistischen Projekten eine Perspektive: Dieser Innovationsfonds und die durch das BMBF* geförderte wissenschaftliche Begleitung dienen als Stellwerk für zukunftsgerichtete Unterstützungsstrukturen im Wissenschaftsjournalismus. Und mit dem Fonds Wissenschaftskommunikation der Wirtschaft beim Stifterverband leistet auch die Industrie einen wichtigen Beitrag.
Im BMBF knüpfen wir selbst auch an die Handlungsperspektiven an: Die Integration von Wissenschaftskommunikation in die Förderpraxis, die Förderung von Kompetenzentwicklung für Wissenschaftskommunikation durch ein E-Learning-Programm beim Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation*, die Transfer Unit, die den Transfer zwischen Praxis und Forschung der Wissenschaftskommunikation voranbringen wird. Das Projekt wird von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit Wissenschaft im Dialog* umgesetzt. Mit dem Projekt Heimspiel Wissenschaft von Hochschulrektorenkonferenz und Universität Heidelberg werden zudem Zielgruppen angesprochen, die bislang zu wenig im Radar der Wissenschaftskommunikation sind.
Wie soll der Prozess diesmal ablaufen und was sind die Ziele der zweiten Runde?
Beyer-Kutzner: Der Prozess der Edition 2 wird weiterhin an die Handlungsperspektiven anknüpfen, denn es gibt noch viel zu tun. In diesem Prozess laden wir weitere Akteure ein, mitzuwirken. Deshalb startet die Edition 2 am 29. September mit einer Netzwerkveranstaltung der #FactoryWisskomm – The Convention ´22. Dort wollen wir aus verschiedenen Blickwinkeln aktuelle und zukünftige Aufgaben und Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation diskutieren. Denn gerade im Beziehungsgeflecht von Wissenschaft und Forschung, Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft entstehen viele wichtige Fragen und Schnittstellen. Ziel dieses Tages ist es, aus den Workshops und dem Barcamp Themen und Ansatzpunkte zu identifizieren, an denen im Verlauf der #FactoryWisskomm in dieser Legislaturperiode weitergearbeitet werden kann. Ein ganz großer Dank geht an dieser Stelle an die Kurator*innen der Workshops und der anderen Dialog-Formate für die Veranstaltung. Sie haben die Angebote maßgeblich inhaltlich gestaltet und konzipiert und ein wirklich attraktives und spannendes Programm erarbeitet.
In welcher Form stellen Sie sich die weitere Arbeit vor?
Beyer-Kutzner: Dazu bilden wir Task Forces. Auch hier sind die Akteure gefragt, das für ihre Fragestellung oder ihr Anliegen passende Format zu benennen, um ihr Thema der Wissenschaftskommunikation optimal voranzubringen. Zum Beispiel mit Studien, Veranstaltungsreihen oder innovativen Dialogformaten, die ganz unterschiedliche Laufzeiten haben können.
Kleidt: Das entspricht auch dem Plattform-Gedanken: Das BMBF stellt mit der #FactoryWisskomm einen Raum bereit, den eine offene Community bespielt und mit Leben füllt. Das übergeordnete Ziel der #FactoryWisskomm bleibt, adäquate Rahmenbedingungen für gute Wissenschaftskommunikation in ihren vielen Kontexten zu schaffen.
Beyer-Kutzner: Task Forces sind die Gruppen, die sich perspektivisch im Kontext der Convention am 29. September zusammenfinden, um spezifische Fragestellungen zu bearbeiten. Form, Prozess und Akteure sind den Mitwirkenden überlassen. Uns ist wichtig, dass im Kontext der #FactoryWisskomm vielseitig, agil sowie nutzer*innen- und ergebnisorientiert gearbeitet wird. Die Ausgestaltung des Prozesses der Edition 2 sowie die inhaltliche Arbeit der #FactoryWisskomm werden von den beteiligten Akteuren selbst maßgeblich mitgelenkt und verantwortet. Dafür ist die Flexibilität der Taskforces eine Grundbedingung.
Welche Rolle hat hierbei das BMBF?
Kleidt: Das BMBF versteht sich als Impulsgeber. Das Ministerium ist Initiator und Träger der #FactoryWisskomm und stellt damit eine transdisziplinäre, strategische Dialogplattform zur Verfügung. Das BMBF fördert auch Maßnahmen und Projekte, die unter dem Dach der #FactoryWisskomm stattfinden oder aus der #FactoryWisskomm hervorgehen. Wichtiges Bindeglied zu den Akteuren und Adressaten der #FactoryWisskomm und zu den Task Forces ist im Übrigen ein Steering Committee. Dort sind Mitwirkende aus Edition 1 und 2 vertreten, die sich kontinuierlich miteinander verknüpfen, Themen voranbringen und das BMBF im Prozess beraten.
Wer wirkt in der zweiten Runde der #FactoryWisskomm mit?
Beyer-Kutzner: Die Edition 2 ist ein Multi-Stakeholder-Prozess. In ihm soll noch mehr als bisher transdisziplinär und systemübergreifend gearbeitet werden können. Expert*innen aus Wissenschaftsorganisationen, Wissenschaftsmanagement, Medien, Forschung, Zivilgesellschaft, Politik in Bund, Ländern und Kommunen, Wirtschaft und Verbänden sind zur Mitwirkung eingeladen. Neben nationalen Stakeholdern werden auch gezielt internationale Expert*innen angesprochen, um auch auf dieser Ebene Perspektiven und Erfahrungen zu teilen. Dieses offene Regierungshandeln wurde von Vertreter*innen anderer Länder übrigens sehr positiv aufgenommen.
In der ersten Runde gab es auch kritische Stimmen, was soll diesmal verändert werden?
Und natürlich war die konstruktive Kritik ein wichtiges Element, um die #FactoryWisskomm weiterzuentwickeln. So haben wir in der Edition 2 den Plattformcharakter noch verstärkt, um den Mitwirkenden den optimalen Gestaltungsraum zu geben. Wichtig ist auch, dass wir nun deutlich mehr zeitliche Flexibiltät haben. Die Intensivität der ersten Edition, in der in wenigen Monaten die Handlungsperspektiven erarbeiteten wurden, haben allen viel abverlangt. Die Edition 2 wird im Rahmen der verbleibenden Legislaturperiode umgesetzt. Damit können auch Vorhaben, die mehr Zeit benötigen, angegangen werden. Wir arbeiten zudem an der Erweiterung des Kreises der Mitwirkenden, letztlich auch an einer Internationalisierung und wir fokussieren auf die Umsetzungsorientierung. Gleichzeitig geht es darum, Themen an Schnittstellen zu identifizieren und neue Kollaborationen zu initiieren. Alles zielt darauf ab, dass alle Beteiligten am Ende von den Effekten ihrer Mitarbeit im Alltag in der Wissenschaftskommunikation profitieren können.
*Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ist Hauptförderer der Plattform Wissenschaftskommunikation.de. Das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) und Wissenschaft im Dialog (WiD) sind zwei der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.
Weitere Beiträge zum Thema
Berichterstattung auf Wissenschaftskommunikation.de
- #FactoryWisskomm – Stimmen zum Auftakt
- #FactoryWisskomm – Ein Zwischenstand
- #FactoryWisskomm – Über die Zukunft, Kommentar von Gian-Andri Casutt
Ergebnispapier
- #FactoryWisskomm: Handlungsperspektiven für die Wissenschaftskommunikation (PDF)
- #FactoryWisskomm: Prospects for Action for Science Communication (PDF)
Kommentare und Beiträge zum Ergebnispapier der #FactoryWisskomm Edition 1
- Pressemitteilung des BMBF: „Karliczek: Mit den Handlungsempfehlungen der #FactoryWisskomm stärken wir den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft“
- Kommentar von FAZ-Redakteur Joachim Müller-Jung: „Weltverbesserer sollen sich am Riemen reißen“
- Kommentar der Arbeitsgruppe Wirkungsmessung/Forschung über Wissenschaftskommunikation: „Nicht nur mehr, sondern besser“
- Kommentar von Jens Rehländer*, Teilnehmender und Pressesprecher der VolkswagenStiftung: „Und ewig grüßt das Murmeltier“
Hintergründe
- Debattenbeitrag von Nicola Kuhrt, Martin Schneider und Markus Weißkopf
- Interview mit Anja Karliczek auf dem Blog von Jan-Martin Wiarda
- Kommentar von Markus Weißkopf (WiD)*
- Artikel von Heike Schmoll (FAZ)
- Kommentar von Kathrin Zinkant (SZ)
- Kommentar des NaWik*
- Gemeinsame Stellungnahme geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlicher Fachgesellschaften
Die Reaktionen auf das Grundsatzpapier des BMBF auf Wissenschaftskommunikation.de
- Kommentar von Josef Zens vom GeoForschungsZentrum Potsdam
- Kommentar von Günter Ziegler von der Freien Universität Berlin
- Kommentar von Annette Leßmöllmann von Wissenschaftskommunikation.de
- Kommentar von Mike Schäfer von der Universität Zürich