Was bedeutet Vertrauen in die Wissenschaft? Und wie hat es sich im Laufe der Covid-19-Pandemie verändert? Das heute erschienene Wissenschaftsbarometer liefert Zahlen dazu. Friederike Hendriks ordnet die Ergebnisse aus psychologischer Sicht ein und erklärt, welche Funktionen Wissenschaft hat.
Expertise, Integrität und Wohlwollen – Rückschlüsse aus dem Wissenschaftsbarometer 2021
Wie steht es um das öffentliche Vertrauen in Wissenschaft? Diese Frage ist so aktuell wie kompliziert. Aktuell, weil Vertrauen in Wissenschaft auch konkretes Verhalten in der Covid-19-Pandemie1 vorhersagt. Kompliziert, weil sich konkretere Fragen anschließen: Was bedeutet „Vertrauen“? Vertraut man „der Wissenschaft“ oder gibt es Unterschiede zwischen Disziplinen oder konkreten Personen? Und wer oder was ist „die Öffentlichkeit“? Das heute erscheinende Wissenschaftsbarometer 2021 von Wissenschaft im Dialog* gibt gute Hinweise, um diese Fragen zumindest etwas zu entschlüsseln. Zudem erfasst den aktuellen Wert des öffentlichen Vertrauens in Wissenschaft in der Covid-19-Pandemie. Das wird gleich in den Begrüßungssätzen der Herausgeber*innen klar, die das Wissenschaftsbarometer 2021 als achte Ausgabe und vierte Erhebung in der Covid-19-Pandemie einleiten.
Was heißt Vertrauen?
Jemandem zu Vertrauen beschreibt (in der Psychologie) sich auf andere zu verlassen, und zwar aufgrund positiver Erwartungen, und obwohl das Risiko besteht, dass diese Erwartungen enttäuscht werden. Vertrauen in Wissenschaft heißt also in Kürze: Jemand verlässt sich auf Geltungsbehauptungen aus der Wissenschaft, weil er oder sie positive Erwartungen gegenüber der Wissenschaft hegt, obwohl diese Geltungsbehauptungen falsch sein können (etwa, weil Wissenschaft sich durch Unsicherheit und Vorläufigkeit auszeichnet oder weil ein*e Wissenschaftler*in unehrlich ist).
Das heißt, wir erwarten von Wissenschaft, dass sie ihre epistemische Funktion erfüllt: die breite Öffentlichkeit (und andere Teilsysteme der Gesellschaft) mit „wahren“ Erkenntnissen zu versorgen2. So sind beispielsweise 65 Prozent3 der 2021 Befragten dafür, Wissenschaft zu fördern, selbst wenn sich aus ihr kein unmittelbarer Nutzen ergibt. Allerdings stimmten auch 50 Prozent der Befragten zu, dass Wissenschaft dem Wohle der Gesellschaft dient (beide Werte sind leicht gestiegen im Vergleich zu 2019/2017). Dies beschriebt die zweite, soziale Funktion4 von Wissenschaft: Nutzen für die Gesellschaft zu erbringen. Die Erfüllung dieser Funktion – beispielsweise durch die Entwicklung von Impfstoffen – könnte die hohen Vertrauens-Werte in 2020 und 2021 erklären: 73 Prozent im April 2020 und immerhin noch 61 Prozent der Befragten in 2021 vertrauen Wissenschaft und Forschung (eher). Ein Grund könnte sein, dass Medien wissenschaftliche Themen und Akteure insbesondere dann abbilden, wenn Lösungen für große gesellschaftliche Probleme und Krisen gesucht werden, wie das bei der Covid-19-Pandemie der Fall ist.
Was heißt „Wissenschaft und Forschung“?
An anderer Stelle5 haben wir argumentiert, dass „Vertrauen in Wissenschaft“ als Item in großen Befragungen verschiedene Vorstellungen zu wissenschaftlichen Disziplinen und Themen bündelt. Entscheidend für Zustimmung zu so einem Item ist auch, was man sich unter „Wissenschaft und Forschung“ vorstellt. Dabei kann einen Unterschied machen, ob man mit „Wissenschaft und Forschung“ eher Raumfahrt, Impfstoffentwicklung oder Gentechnik assoziiert. Die Pandemie hat möglicherweise dafür gesorgt, dass Gesundheitswissenschaften, insbesondere die Medizin eher ins Bewusstsein kommen, wenn nach „Wissenschaft und Forschung“ gefragt wird6. Gerald Haug schrieb im letzten Jahr: „Das spezielle Vertrauen in die Forschung zu Corona strahlt positiv aus auf das allgemeine Vertrauen in die Wissenschaft“. Die Forschung zu SARS-CoV-2 steht stellvertretend für den Nutzen, den wissenschaftliche Forschung für Individuen haben kann, während im Kontrast dazu beispielsweise die „Gen-Schere“ CRISPR/Cas möglicherweise vor allem Risiken für die eigene Person wahrgenommen werden (siehe auch acatech Technikradar 2020).
Wem wird vertraut?
Häufig wird das Vertrauen in Wissenschaft an Personen ausgerichtet, die repräsentativ für das System Wissenschaft stehen7 und nach ihrer Vertrauenswürdigkeit bemessen werden. Empirisch lassen sich drei Dimensionen trennen: Expertise, Integrität und Wohlwollen8. Wissenschaftler*innen sollen Expert*innen ihres Fachs sein, sich an etablierte Normen ihres Berufs halten und allgemeinwohlorientiert sein, um als vertrauenswürdig zu gelten.
Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zustimmung zu den Aussagen gesunken, dass sich Vertrauen darin begründet, dass Wissenschaftler*innen Expert*innen sind (66 Prozent, 5 Prozentpunkte weniger als 2020) und nach Regeln und Standards arbeiten (57 Prozent, 5 Prozentpunkte weniger als 2020). Möglicherweise wurde im letzten Jahr aufgrund der Krisen-Situation eine Art Vertrauensvorschuss gewährt, denn neben Wissenschaftler*innen gab es nur wenige Berufsgruppen, die als ähnlich geeignet erschienen begründete Geltungsbehauptungen über das Virus und die Entwicklung der Pandemie zu machen.
Wie lassen sich aber die wieder gesunkenen Werte hinsichtlich Expertise und Integrität von Wissenschaftler*innen dann erklären? Das Bekanntwerden zurückgezogener Einzelstudien, der Verkürzung des Prozesses von klinischen Studien in der Impfstoffentwicklung, aber auch der Widerspruch zwischen Expert*innen in der Öffentlichkeit könnten begründete Skepsis erweckt haben, denn stehen der epistemischen Funktion von Wissenschaft („Wahrheit“ zu erzeugen) gegenüber.
Daher ist es wichtig, sich auch die Gründe anzuschauen, warum Wissenschaft nicht vertraut wird. Im Vergleich zu Vor-Pandemie-Zeiten erfahren die Aussagen, dass Wissenschaftler*innen von Geldgebern abhängig sind (48 Prozent gegenüber 76 Prozent in 2017) oder Ergebnisse ihren Erwartungen anpassen (25 Prozent gegenüber 40 Prozent in 2017) deutlich weniger Zustimmung. Vielleicht ist das darauf zurückzuführen, dass die Medien vermehrt nicht nur Fakten und Ergebnisse, sondern auch wissenschaftliche Prozesse dargestellt haben und Unsicherheiten zugleich eingeordnet haben. Zu Beginn der Pandemie war überdeutlich, wie groß das Nicht-Wissen zum neuen Corona-Virus ist. Wissenschaft musste „im Prozess“ vermittelt werden, gerade auch bei der Impfstoffentwicklung. Dadurch ist möglicherweise deutlich geworden, dass Wissenschaft (trotz aller Probleme) auch immer wieder beweist, dass es interne Kontrollmechanismen gibt, die Fehler im System aufdecken und dafür sorgen, dass sich die „richtige“ Erkenntnis durchsetzt. Hier spielen auch Wissenschaftler*innen wie Christian Drosten und Sandra Ciesek eine Rolle, die Woche für Woche diese Prozesse in ihrem Podcast deutlich gemacht haben.
Spannend finde ich, dass Wissenschaftler*innen sich öffentlich äußern sollen, wenn politische Entscheidungen wissenschaftliche Erkenntnisse nicht berücksichtigen (75 Prozent Zustimmung) und dass wissenschaftliche Erkenntnisse in politische Entscheidungen einfließen sollen (69 Prozent Zustimmung), Wissenschaftler*innen sogar konkrete Entscheidungen empfehlen sollen (50 Prozent Zustimmung). Solch breite Zustimmung zur Rolle von Wissenschaftler*innen als „honest broker“10 mag auch daran liegen, dass wissenschaftliche Politikberatung transparenter geworden ist, etwa durch die Erläuterungen von Christian Drosten zu seiner Rolle in der Politik, oder durch die öffentliche Diskussion über die Stellungnahmen der Leopoldina. Und: Wissenschaftler*innen konnten auch über Formate wie Podcast und Talkshow transparenter auf Politik einwirken als „Backstage“ in Gremien. Immerhin 43 Prozent stimmen zu, eine Vorstellung davon zu haben, welchen Einfluss die Beratung von Wissenschaftlern auf politische Entscheidungen hat.
Und jetzt?
Das öffentliche Vertrauen in Wissenschaft ist auch Basis für Aktivitäten zur Wissenschaftskommunikation (auch, um noch Zweifelnde, aber nicht Skeptische zu überzeugen12), denn es prägt die Interpretation wissenschaftlicher Information und die Bereitschaft, ihnen Glauben zu schenken13. Möglicherweise kann Wissenschaftskommunikation aber auch Vertrauen in Wissenschaft bestärken, etwa durch die Erläuterung wissenschaftlicher Prozesse, die verdeutlichen, dass Wissenschaftler*innen Regeln und Standards ihrer Profession befolgen, oder indem sie wissenschaftliche Unsicherheit (sei es Unwissen oder Dissens zwischen Wissenschaftler*innen) einordnen. Hier können Akteure aus Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus aber – wie die letzten Jahre zeigen – auch Wissenschaftler*innen selbst viel beitragen.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.
*Wissenschaft im Dialog ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.
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