Horoskope und spirituelle Heiler – welche Risiken esoterischer Glaube für eine demokratische Gesellschaft birgt, erörtern Pia Lamberty und Katharina Nocun in ihrem neuen Buch. Ein Gespräch über Radikalisierungsprozesse, die Rolle von sozialen Medien und warum sich auch die Wissenschaftscommunity dem Problem annehmen sollte.
Esoterik – ein gefährlicher Glaube?
Frau Nocun, Frau Lamberty, Ihre ersten beiden gemeinsamen Bücher befassen sich mit Fake News und heißen Fake Facts und True Facts. Ihr drittes gemeinsames Buch heißt nun Gefährlicher Glauben und befasst sich schwerpunkthaft mit Esoterik. Wie ist es dazu gekommen?
Pia Lamberty: Durch die hohe Überlappung von Verschwörungserzählungen und Esoterik ist das Buch in gewisser Art und Weise eine Fortführung der anderen beiden Bücher. Da besteht also ein thematischer Zusammenhang, gleichzeitig habe ich schon lange ein Interesse an der Thematik, weil sie oft verharmlost wird. Ich glaube, fast jede*r kennt Fälle, bei denen Menschen esoterische Heilversprechen nicht nur nicht geholfen, sondern sogar geschadet haben. Es gab eine Phase, in der es eine breitere gesellschaftliche Diskussion über das Thema gab und es gibt viel gute Literatur dazu, die aber nicht mehr ganz aktuell ist. Das Internet spielt in vielen Büchern zum Themenkomplex beispielsweise noch gar keine Rolle.
Katharina Nocun: Ergänzend dazu ist es so, dass Esoteriker*innen bei den derzeitigen verwörungsidologischen Protestbewegungen eine unübersehbare Rolle spielen. Auf den “Querdenken-Bühnen” und verwandten Protesten treten bekannte Esoteriker*innen auf, es gibt Meditationsrunden gegen Coronamaßnahmen – beziehungsweise die Ablehnung von Demokratie, um die es ja vielfach in Wirklichkeit geht – und auch viele Sekten haben dazu aufgerufen, an den Protesten teilzunehmen. In diesen Milieus sind Verschwörungsmythen schon sehr lange von Bedeutung. Es gibt ein Ineinanderfließen der Bewegungen und enge Verbindungen zwischen diesen Themenfeldern, was oft nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist und viele Menschen gar nicht wissen. Auch bei den Impfgegner*innen spielt Esoterik eine besondere Rolle. Deshalb ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, sich diesem Thema anzunehmen und die Aufmerksamkeit dafür zu erhöhen. Gerade die politischen Radikalisierungsprozesse werden nicht ausreichend diskutiert. Hier wollen wir ansetzen.
Frau Lamberty, Sie haben das Internet ja schon angesprochen. Spielt es tatsächlich eine besondere Rolle und falls ja, welche?
Lamberty: Das Internet – und wenn wir in diesem Zusammenhang davon sprechen, geht es ja meist um soziale Medien – verstärkt Verschwörungserzählungen vielfach, was einfach mit der Beschaffenheit und Funktionalität zu tun hat. Gleichzeitig beobachten wir, dass sich esoterische Submilieus in den letzten Jahren neue Zielgruppen erschlossen haben und ihre Inhalte und Ideologien weiter streuen. Gerade Instagram und TikTok werden stark von Esoteriker*innen genutzt, um ihre Produkte zu vermarkten. Der Esoterikmarkt hat sich im Internet neue Räume erschlossen und es zeigt sich, dass gefährliche Akteure sehr gut darin sind, Räume für sich zu nutzen. Es gab schon sehr früh ein großes Netzwerk esoterischer Gruppierungen und Sekten im Internet, als dieser Netzwerkgedanke sich anderswo noch nicht durchgesetzt hat. In der Pandemie hat das Thema Aufwind bekommen, weil Menschen nach Halt und Hilfe suchen und Nöte haben.
Nocun: Außerdem merkt man, dass sich alte und neue Strategien vermischen und so neue Marketingstrategien entstehen. Ich habe einen Online-Heilkurs gemacht, wo angeblich irgendwelche Körperteile von mir geheilt werden sollten. Während des Seminars wurde man dann immer wieder darauf hingewiesen, dass man dem Telegram Kanal des Anbieters beitreten sollte, über den dann weitere Angebote täglich verbreitet wurden. Das ist ein Versuch, in den Alltag der Menschen reinzukommen und hat einen enormen Marketingeffekt. Das sind teilweise ausbeuterische Methoden, die tief in die private Kommunikation eindringen.
Lamberty: Gleichzeitig sollte man das Internet nicht verdammen. Nicht alles, was im Internet steht, ist böse. Ein gutes Beispiel dafür, was schief läuft, ist ein großer Online-Buchhändler, bei dem man, wenn man nach dem Themenkomplex Impfen sucht, bei den ersten Anzeigen sehr viele Bücher von Impfgegnern angezeigt bekommt. Durch die Art und Weise, was da präsentiert wird, wird man dann in eine Richtung beeinflusst, die nicht dem wissenschaftlichen Kenntnisstand entspricht. Gleichzeitig ist es aber so, dass vielfach das Argument genutzt wird, dass es ja so in einem Buch steht und daher stimmen muss.
Wenn wir auf das Verhältnis von Wissenschaft und Esoterik schauen, dann fällt auf, dass Esoterik sich selbst nicht unbedingt als unwissenschaftlich bezeichnen würde. Was kann diese Darstellung bewirken?
Nocun: Viele Leute haben keine wissenschaftliche Ausbildung und selbst wenn man die hat, ist man in seinem Fachbereich Expert*in und nicht Expert*in für alle wissenschaftlichen Bereiche. Deshalb spielen Buzzwords eine große Rolle bei Esoteriker*innen. Das Wort Quantenheilung beispielsweise – was sehr oft auftaucht – suggeriert eine Pseudowissenschaftlichkeit. Nach dem Motto: Hier geht es um Quanten, das ist kompliziert und da arbeiten viele Wissenschaftler*innen dran. Da wird Pseudowissenschaft betrieben. Demgegenüber steht die komplette Unwissenschaftlichkeit, die ebenfalls weit verbreitet ist. Da geht es dann darum, dass die Wissenschaft etwas noch nicht nachweisen kann oder es eben etwas gibt, was die Wissenschaft nicht erklären kann. Es ist also eine Mischung aus Pseudowissenschaft, Unwissenschaftlichkeit und eben Verschwörungsmythen, die über bestimmte Teile der Wissenschaft verbreitet werden.
Lamberty: Eine wichtige Rolle spielt außerdem schlechte Wissenschaft. Schlechte Studien werden beispielsweise oft herangezogen, um wissenschaftliche Thesen zu legitimieren. Wir müssen uns damit beschäftigen, wie man darauf reagiert.
Wie könnte man denn darauf reagieren?
Lamberty: Hier muss man Entscheidungen treffen. Reagiert man auf unseriöse und schlechte Studien, indem man weitere Studien publiziert, die diese widerlegen oder investiert man in solche Bereiche lieber kein zusätzliches Geld? Das ist besonders relevant, wenn in Predatory Journals – das sind unseriöse Zeitschriften ohne Qualitätssicherungsprozess – halbgare Studien veröffentlicht werden, die wissenschaftlich kaum haltbar sind, aber eine Legitimation erhalten, weil sie für Laien nicht auf den ersten Blick als unwissenschaftlich erkannt werden können. Auch Preprints und insbesondere schlechte Kommunikation dazu können hier problematisch sein, wie wir in der Pandemie an unterschiedlichen Stellen erlebt haben. Die Wissenschaftscommunity darf hier nicht den Fehler machen, so zu tun, als habe sie mit diesen Problemen nichts zu tun. Sowas wirkt sich auf die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft aus und deshalb muss man damit umgehen. Das Thema, wie wir mit schlechter Forschung umgehen und mit Unwissenschaftlichkeit in den eigenen Reihen, bleibt also sehr relevant.
Gibt es denn einen idealen Weg, wie mit solchen Fällen umgegangen werden sollte?
Lamberty: Es kommt immer ein wenig auf den Fall an. Ich persönlich würde sagen, dass die Theorie hinter Homöopathie so hanebüchen ist, dass man dazu eigentlich keine Studien mehr veröffentlichen muss. Wenn ich behaupte, Einhörner übernehmen morgen die Weltherrschaft, dann würde man dazu auch nicht ein EU-Projekt aufsetzen und mehrere Studien durchführen. Vermute ich zumindest. Die entscheidende Frage ist: Wann ist genügend Evidenz dazu da, dass etwas nicht funktioniert. Es braucht aus meiner Sicht vor allem mehr Zeit und Ressourcen für den Peer-Review-Prozess, der sehr bedeutsam ist, um schlechte Studien zu verhindern.
Nocun: Auch Stiftungsprofessuren, die teilweise aus dem Esoteriksektor finanziert werden, sehe ich hier kritisch. Es ist in solchen Fällen eigentlich absehbar, dass der Name der Institution genutzt werden soll, um unseriöse Dinge aufzuwerten. In solchen Fällen muss man sich entscheiden, ob Geld hier wirklich über Wissenschaftlichkeit gehen sollte oder ob die eigene Reputation der Institution nicht ein höheres Gut ist. Hier entstehen Reputationsschäden für die Wissenschaft, die an systemischen Fehlern liegen, weil beispielsweise die Ausstattung der Institutionen nicht gut genug ist und sie daher solche Gelder einwerben. Menschen, die sich mit Esoterik verbunden sehen, argumentieren häufig über Gefühle und Erfahrungen, die Wissenschaftskommunikation funktioniert derzeit sehr faktenbasiert. Bedarf es hier eines Umdenkens?
Lamberty: Ich glaube, es ist auf jeden Fall ein Spannungsfeld, in dem man sich bewegt. Wissenschaftskommunikation zeichnet sich aus gutem Grund durch die Fokussierung auf das Faktische aus und man versucht hier Objektivität herzustellen. Allerdings wissen wir aus Studien, dass die Menschen, die sich Esoterik zuwenden, oft eher ein holistisches Weltbild haben. Also gar nicht einzelne Fakten zusammenlegen, um daraus ihr Weltbild zusammenzubauen, sondern eben eher auf Bauchgefühle hören. Da steht man vor dem Problem, nicht die gleiche Sprache zu sprechen. Hier muss sich Wissenschaftskommunikation gegebenenfalls ein Stück weit bewegen, wenn diese Leute erreicht werden sollen. Das ist nicht einfach und es gibt keine einfache Daumenregel, wie man agieren kann. Reden wir aber beispielsweise über das Impfen und fokussieren uns dabei nur auf Zahlen und Wahrscheinlichkeiten, während unser Gegenüber Erlebnisse für seine Motivation heranzieht, dann stellt sich die Frage, inwiefern wir auf die Leute zugehen müssen und wollen.
Nocun: Wir wissen auch, dass es sehr große Unterschiede gibt, wie Informationen aufgenommen werden. Infografiken oder Humor können hier beispielsweise ein Weg sein, um Wissen zu vermitteln und andere Zugänge zu anderen Menschen zu finden. Da sollte man aus meiner Sicht mutiger sein. Teilweise ist insbesondere der unterhaltende Aspekt ein bisschen verpönt, davon müssen wir wegkommen und einen Mittelweg finden.
Man schreibt ein solches Buch ja nicht in erster Linie, um zu unterhalten. Was erhoffen Sie sich für eine Wirkung bei den Leser*innen?
Lamberty: Besonders großartig wäre es natürlich, wenn das Buch von Menschen gelesen wird, die sich im Esoterikmilieu bewegen. Das ist natürlich unwahrscheinlich, aber vielleicht schafft man es zumindest in ihr Umfeld. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir mit dem Buch das Thema in die gesellschaftliche Debatte einbringen oder dazu anregen können, darüber zu diskutieren.
Nocun: Es geht um Aufklärung und auch darum, vor den Gefahren zu warnen. Esoterik wird zu oft verharmlost und da müssen wir ansetzen, wenn wir etwas verändern wollen. Es muss klarer werden, wo die Gefahren liegen und wir müssen über sie diskutieren.