Mitten in der Pandemie hat sich ein Forscher mit den Daten zum vielversprechendsten Corona-Impfstoff ins Ausland abgesetzt. Im digitalen Escapegame „Escape Covid-19“ gilt es darum, den Impfstoff neu zu entwickeln. Das Konzept des Spiels erklären die Entwicklerinnen Fine Stuhr-Wulff und Julia C. Ahrend im Gastbeitrag. Eine Projektvorstellung.
Escape Covid-19 – im Team zum Impfstoff
Mitten in der Nacht von Samstag auf Sonntag klingelt dein Telefon. Aus dem Tiefschlaf gerissen gehst du ran – die Nummer ist unbekannt. Es ist ein Videoanruf von der Gesundheitsministerin deines Bundeslandes! Und sofort bist du hellwach.
So beginnt die Geschichte unseres digitalen Escapegames Escape Covid-19. Es ist das Jahr 2020. Die Welt im Chaos der Pandemie. Die Zahl der Infizierten steigt, Krankenhäuser sind überfüllt, das Militär rückt an, Forschende sind im Labor aktiv, Nachrichtensprecherinnen und -sprecher verkünden die Lage der Nation. Und unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer finden sich plötzlich selbst auf der Seite der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wieder. Als große Hoffnungsträger der Bevölkerung steigen sie in die Suche und den Wettlauf um den Impfstoff gegen das Coronavirus ein.
Du siehst dich in deinem Zimmer um und schnell wird dir klar, wie du dein Team aus Expertinnen und Experten zusammenstellst. Als Erstes brauchst du einen Überblick über die einzelnen Phasen der Impfstoffentwicklung. Dann musst du herausfinden, wer sich in dem jeweiligen Bereich auskennt. Schnell hast du diese Menschen kontaktiert und machst dich auf den Weg ins Institut.
Während des Spiels wird den Teilnehmerinnen und Teilnehmern näher gebracht, dass Forschung oft eine Leistung von vielen verschiedenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist, die Hand in Hand arbeiten. Mit dem Team aus Expertinnen und Experten an ihrer Seite können sie selbst erfahren, wie man als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler vor komplizierten Rätseln steht und auch immer wieder zurückgeworfen wird.
Das sind die Ziele des Spiels Escape Covid-19, das wir in sechs Monaten fast komplett im Homeoffice in verschiedenen Städten konzipiert und umgesetzt haben.
Aus der Kunsthochschule in die Gesellschaft
Mitte März 2020 – eine neues Semester beginnt, doch alles ist anders. Julia Ahrend sitzt im Vorlesungszoom und nicht im Vorlesungssaal. Ein Blick auf dem Wochenmarkt zeigt einen bunten Mix aus Menschen ohne Maske, mit Maske über Mund oder Stirn, Plastiktüten statt Maske oder mit korrekt sitzender Maske. Für Julia wird schnell klar: Für dieses Semester gibt es nur eine sinnvolle Mission. Im Masterschwerpunkt „Interaktives Informationsdesign“ an der Muthesisus Kunsthochschule Kiel untersucht sie, über welche Gestaltungsformen Wissenschaft – auch im pädagogischen Kontext – sinnvoll vermittelt werden kann. Der Kurs von ihrem Professor Tom Duscher bietet die Chance, freie Projekte zu entwickeln und mithilfe des Muthesius Transferparks über „den Tellerrand“ der Kunsthochschule hinauszublicken.
Mit dem kreativen Ursprung in der Muthesius Kunsthochschule entwickelte sich so ein fächerübergreifendes Projekt. Unser Projektteam besteht aus Fine Stuhr-Wulff, Masterstudentin der Freien Universität Berlin mit Hintergrund in Physik und Neurowissenschaften, Cedric Köhler, Student der Wirtschaftsinformatik der FH Kiel, und Julia Ahrend, Masterstudentin im interaktiven Informationsdesign/Kommunikationsdesign der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Die Mission: Wissenschaftskommunikation in Coronazeiten.
Konzept zum digitalen Escapegame Escape Covid-19
Die Pandemie betrifft uns alle. Sie verunsichert uns und verlangt uns durch die Maßnahmen einiges ab. Daher ist es in dieser Zeit besonders wichtig, möglichst viele Menschen mit verständlichen wissenschaftlichen Informationen und Forschungsfortschritten zu erreichen. Sonst kann es schnell passieren, dass Forschende falsch verstanden werden. Gruppen, die nicht wissenschaftlich interessiert sind, können den Forschungsprozess schwer nachvollziehen und so das Vertrauen in die Wissenschaft verlieren – welches gerade jetzt so wichtig ist. Doch wie werden die Menschen erreicht, die wenig oder fast keinen Bezug zur Wissenschaft haben?
Zielgruppe
Denn: Escape Covid-19 ist komplett digital und Browserbasiert. Um den Spielspaß zu fokussieren und unsere Zielgruppe effektiv zu erreichen, haben wir als Kooperationspartner das House of Tales Berlin gewinnen können, auf dessen Seite Escape Covid-19 nun angeboten wird. Dadurch erreichen wir eine Zielgruppe im deutschsprachigen Raum zwischen 14-40 Jahren. Diese ist laut House of Tales vor allem auf der Suche nach Abenteuern, Ablenkung, Unterhaltung und kooperativen Spielerlebnissen. All dies ist auch in unser Onlinespiel integriert, sodass es keine rein wissenschaftliche Auseinandersetzung ist, sondern vor allem auch Spaß macht.
Als Naturwissenschaftlerin erlebt Fine Stuhr-Wulff oft ein Desinteresse an abstrakten oder vermeintlich schwierigen wissenschaftlichen Themen. „Das verstehe ich eh nicht“ – damit wurde schon öfter ein Gespräch über ihre Forschung beendet, bevor es überhaupt richtig begonnen hatte. Gerade Personen, die keinen Bezug zur Wissenschaft haben, fällt es erfahrungsgemäß schwer, sich mit diesem Gebiet zu befassen. Doch ein Grundwissen über Forschung ist für uns Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Es kann Sicherheit und Verständnis schaffen – und dies zeigt sich jetzt gerade besonders. Die Botschaft soll darum sein: „Jeder kann forschen! Und jeder kann verstehen!“
Daher kommt es uns in diesem Projekt nicht darauf an, maximal viel Informationen zu vermitteln, sondern das Interesse für die Forschung zum SARS-CoV-2 zu fördern. Wir machen die Spielerinnen und Spieler selbst zu Forscherinnen und Forschern und können so das tiefere Verständnis von Wissenschaft fördern.
Wissenschaftliche Hintergründe & Design
Für unsere Inhalte haben wir nach intensiver Recherche des Themenbereichs um Covid-19 in Kooperation mit Nour Eddine El Mokhtari, Chefarzt im Zentrum für Innere Medizin der Imland Klinik Rendsburg, Themen und Fakten erarbeitet, die in unserem Spiel kommuniziert werden sollen. Unsere Kommunikationsstrategie wird getragen von drei großen Themenblöcken: „Was ist Covid-19 und warum ist es gefährlich“, „Was kann uns helfen?“ und „Wie funktioniert die Impfstoffentwicklung?“
Erfolgsgeschichte Escape Covid-19
Im September 2020 konnten wir nach sechsmonatiger Arbeit unser Spiel veröffentlichen. Bereits beim Launch zur Digitalen Kieler Woche waren 13 motivierte Teams am Start, die Escape Covid-19 mit viel Freude und konstruktivem Feedback ausprobierten. Es folgte darauf basierend eine überarbeitete Version im Oktober.
Seitdem wurde das Spiel von über 900 Teams gespielt! Zur Langen Nacht der Wissenschaften in Kiel, auf der wir unser Projekt noch einmal vorstellen durften, konnten wir 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßen, die gleichzeitig die Rätsel um Dr. Morbus und den Corona-Impfstoff entschlüsselten. Derzeit bekommen wir zahlreiche Anfragen zu Firmen-Weihnachtsfeiern und ähnlichen Events, für die sich unser Spiel sehr gut eignet.
Wir sind außerdem glücklich, dass wir durch einen in die Spielstory integrierten Zwischenbericht feststellen konnten, dass unsere Lernziele von den Teams erreicht werden.
Die Story
Die Aufgabe ist klar, doch als das Team im Institut ankommt, trifft es auf einen Kontrahenten:
„Mein System meldet Eindringlinge. Sie haben es vielleicht hierher geschafft und mein Passwort geknackt, da kann man Ihnen ja fast gratulieren! Jedoch werden Sie niemals genug Informationen in diesem Raum finden, um die Aminosäuresequenz und damit meinen Antigen-Kandidaten für den Impfstoff herauszubekommen.“
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehen sich einem frustrierten Wissenschaftler gegenüber. Regelmäßige Anrufe und versteckte Hinweise von Dr. Morbus erhöhen den Spannungsbogen und stellen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer wieder auf die Probe.
Ihr betretet das Labor und schafft es durch weiteres Rätselgeschick, das Antigen in eurer Zellkultur zu testen. Leider erweist sich eins der beiden Proteine als nicht funktional, aber das zweite bleibt euer Hoffnungsträger.
Die Rätsel sind eng mit wissenschaftlichen Inhalten verknüpft, sodass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur in den Prozess der Forschung eintauchen sondern gleichzeitig wichtige Informationen zum SARS-CoV-2 sowie zur Wirkung und Herstellung von Impfstoffen lernen. Wie ein richtiger Forscher durchleben sie den Prozess der Wissensaneignung und der anschließenden Verwendung und Weiterentwicklung, um auf diesem Wege den Impfstoff gegen das gefährliche Virus zu entdecken.
Projektsteckbrief
Ziel
- Kernwissen zum Coronavirus und zur Impfstoffentwicklung vermitteln
- Den wissenschaftlichen Forschungsprozess spielerisch nachvollziehbar machen
- Neue Zielgruppen für die Wissenschaftskommunikation erschließen (über das Format Online-Escapegame
Zielgruppe:
14–40 Jahre, Menschen mit keinem/ wenig Hintergrundwissen/ „breite Öffentlichkeit“, deutschsprachiger Raum
Zahlen zur Zielerreichung:
Seit dem Launch des Spiels im September 2020 haben rund 900 Teams oder einzelne Spielerinnen und Spieler Escape Covid-19 genutzt. Die Messung erfolgt durch die Zahl der ausgefüllten Zwischenberichte in der Mitte des Spiels.
Unterstützt durch
Malte Oberbeck, House of Tales Berlin, Muthesius Transferpark Kiel, Muthesius Kunsthochschule Kiel, Tom Duscher, Professor für Interaktive Medien, Freiwillige aus Bekannten- und Freundeskreis
Gefördert durch
Robert Bosch Stiftung
Budget/Ressourcen
Die Robert-Bosch-Stiftung hat das Projekt mit Sachmitteln in Höhe von 5.000 Euro gefördert, die vor allem für Lizenzen ausgegeben wurden. Dazu kommen rund 1.600 (unbezahlte) Arbeitsstunden des Projektteams.
Wissenschaftlichen Experten/Beratung
- Nour Eddine El Mokhtari, Chefarzt Kardiologie, Pneumonologie und Innere Medizin Rendsburg
- Arne Lange, Mikrobiologe
- Mojgan R.Gerylow, Chemikerin
Link zum Spiel