Nah am Menschen, gesellschaftlich relevant und stark polarisierend – Impfen gilt als eines der schwierigen Themen der Wissenschaftskommunikation. Julia Neufeind vom Robert-Koch-Institut erklärt im Interview, wie sich die Debatte verändert und was das Internet damit zu tun hat.
„Es verändert sich weniger die Impfbereitschaft, als die Medienpräsenz des Themas“
Frau Neufeind, was ist das Besondere an der Kommunikation zum Thema Impfen?
Impfen ist ein Thema, das fast alle Menschen betrifft. Das unterscheidet es von vielen anderen Forschungsfeldern, die eher für einen kleineren Personenkreis interessant sind. Außerdem geht es beim Impfen oft um Kinder, genauer gesagt um gesunde Kinder und deren Sicherheit. Das führt dazu, dass das Thema schnell emotionalisiert, weil Eltern ihre Kinder natürlich schützen möchten und eine große Verantwortung auf ihnen lastet. Die Impfentscheidung kommt auf alle Eltern irgendwann zu und so bleibt das Thema immer präsent. Gleichzeitig ist Impfen aber nicht nur eine individuelle Entscheidung, sondern beeinflusst auch die Gesundheit der ganzen Bevölkerung.
Was bedeutet das für die Botschaften des Robert-Koch-Instituts?
Bei Impfempfehlungen behalten wir immer auch die Gesellschaft im Blick. Etwa wenn es darum geht, ein gesellschaftliches Ziel zu erreichen, wie die Eliminierung der Masern. Da ist es wichtig, immer wieder die sogenannte Herdenimmunität mit zu vermitteln: Es sollten möglichst viele Menschen geimpft werden, um auch Personen zu schützen, die keine Impfung bekommen können – aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie noch zu jung sind. In der Kommunikation ist dieser Gemeinschaftsschutz ein mächtiges Instrument: Man macht es nicht mehr nur für sich, sondern auch für andere.
Welche Formate nutzen Sie, um diese Aspekte zu vermitteln?
Wir richten uns in erster Linie an ein fachliches Publikum wie die niedergelassene Ärzteschaft oder anderes medizinisches Personal. Das ist unsere Mandatsaufgabe. Die aktuelle Forschung fließt in die Entscheidungen der Ständigen Impfkommission ein, deren Geschäftsstelle bei uns am Robert-Koch-Institut angesiedelt ist, und diese Entscheidungen geben wir weiter.
Impfmüdigkeit und Skepsis werden immer wieder problematisiert. Wie entwickelt sich die gesellschaftliche Einstellung zum Thema Impfen gerade?
Die Debatten und die Skepsis gegenüber dem Impfen sind historisch. Es gibt sie schon, seit die Pockenimpfung Ende des 18. Jahrhunderts eingeführt wurde. Wir sprechen hier von der Pyramide: Nur wenige Menschen sind explizit gegen das Impfen – einige Prozent. Etwa 30 Prozent sind zögerlich, skeptisch oder haben Fragen und der Rest steht dem Impfen positiv gegenüber.1 Trotzdem gibt es in der wissenschaftlichen Community und auch in der Gesellschaft die Annahme, dass das Vertrauen in Impfungen schwindet. Das ist umstritten.2
Inwiefern?
Wir sehen zwar nach wie vor, dass die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte ganz wichtig für die Impfentscheidung der Bevölkerung sind. Hier muss Vertrauen erhalten werden. Medizinisches Personal sollte daher möglichst gut ausgebildet und über das Thema informiert sein. Aber wir sehen den Wandel, dass Patientinnen und Patienten durch das Internet in sehr viel größerem Maß Zugang zu Gesundheitsinformationen haben. Damit einher geht auch das Gefühl, selbst informiert sein und entscheiden zu müssen. Ein zweiter Aspekt ist, dass der Austausch über Gesundheitsfragen viel schneller, einfacher und internationaler geworden ist, wie eine Studie von Cornelia Betsch und anderen Forschenden zeigt. So finden auch individuelle Erfahrungen und Geschichten viel schneller Verbreitung etwa in sozialen Netzwerken und in Foren.
Das Problem ist, dass das Netz hier erst mal keine Klassifizierung der Informationen vornimmt zwischen vertrauensvollen und nicht vertrauensvollen Quellen. Für uns bedeutet das vor allem, dass Wissenschaftskommunikation wichtig ist und noch wichtiger wird, um die Ziele der Impfkommission zu unterstützen.
Die verschiedenen Positionen, die es zum Impfen gibt, werden auch in den Medien immer wieder thematisiert. Gleichzeitig gibt es daran Kritik, weil die kleine, aber kommunikationsstarke Gruppe der Impfkritiker im Verhältnis viel Raum einnimmt. Wie schätzen sie die Berichterstattung ein?
Wie reagieren Sie in Ihrer Kommunikation auf anekdotische Evidenz?
Weiterlesen
- Papier der WHO „Vaccination and Trust“
- The Debunking Handbook (John Cook, Global Change Institute, University of Queensland Stephan Lewandowsky, School of Psychology, University of Western Australia)
- „Opportunities and challenges of Web 2.0 for vaccination decisions.“, Cornelia Betsch et al.