Welche Rolle spielt das Science Media Center in Köln als Vermittler zwischen Wissenschaft und Journalismus? Und wie haben sich die Arbeitsweisen während der Corona-Pandemie verändert? Das hat die Kulturanthropologin Irene Broer mit einer redaktionsethnografischen Studie erforscht. Im Interview spricht sie über ihre Zeit in der Redaktion und die Ergebnisse ihrer Forschung.
„Es ist es wichtig, dass man ein Vertrauensband aufbaut“
Frau Broer, wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich mit dem Science Media Center in Köln zu beschäftigen?
Ich bin Teil des „MeWiKo“-Projektes, in dem das Science Media Center ein Kooperationspartner ist. „MeWiKo“ steht für Medien und wissenschaftliche Kommunikation. Dabei geht es um den Effekt von externer Wissenschaftskommunikation auf den wissenschaftlichen Impact. Also zum Beispiel: Wenn im Journalismus über wissenschaftliche Studien berichtet wird, welchen Effekt hat das darauf, wie oft sie in den sozialen Medien geteilt und von anderen Wissenschaftler*innen zitiert werden? Das ist das übergeordnete Thema. Wir am Hans-Bredow-Institut interessieren uns in diesem Projekt vor allem für die Frage: Welchen Einfluss haben redaktionelle Praktiken auf die externe Wissenschaftskommunikation – wie zum Beispiel den Journalismus? Da hat sich das Science Media Center als Untersuchungsgegenstand angeboten, weil es eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Journalismus ist und möglicherweise auch einen großen Einfluss darauf hat, wie der deutsche Wissenschaftsjournalismus seine Themen setzt.
Wie kann man sich die Arbeit des Science Media Centers vorstellen?
Es ist ein Intermediär. Das heißt: Es befindet sich genau zwischen den Bereichen Wissenschaft und Journalismus. Es richtet sich aber vor allem an den Journalismus. Denn es versucht, mit seiner Arbeit Journalist*innen den Zugang zu wissenschaftlicher Expertise zu erleichtern. Es versorgt Journalist*Innen mit „Rohstoffen“, wie die Redakteur*innen am Science Media Center sagen. Das sind zum Beispiel Zusammenfassungen von Studien, die gerade erschienen sind oder Einschätzungen von wissenschaftlichen Expert*innen, die Themen einordnen können, über die gerade in der Öffentlichkeit debattiert wird. Sie organisieren auch Pressegespräche, bei denen Journalist*innen Fragen an Wissenschaftler*innen stellen können. So versucht das Team, die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Journalismus zu verdichten.
Sie haben die Arbeit der Redakteur*innen im Rahmen einer redaktionsethnographischen Studie begleitet. Was bedeutet das?
Bei einem kleinen Team macht es sich normalerweise deutlich bemerkbar, wenn eine weitere Person anwesend ist. Welche Rolle haben Sie eingenommen?
Einen Monat bevor es losging, bin ich nach Köln gefahren und habe mich und das Forschungsprojekt vorgestellt. Ich habe damals gesagt: Behandelt mich wie eine unerfahrene Praktikantin, die nicht viel darüber weiß, was ihr hier macht. Während der Feldforschung war ich den ganzen Tag da und bei allen Redaktionsterminen anwesend. Weil meine Muttersprache nicht Deutsch ist, konnte ich mich am Schreibprozess selbst nicht beteiligen. Aber bei anderen Praktiken konnte ich mitmachen. Zum Beispiel, bei der Themenauswahl neuer Studien. Die Redaktion erhält mehrmals wöchentlich sogenannte Embargo-E-Mails, in denen etwa 50 Studien aufgelistet werden, die demnächst erscheinen werden. Dann müssen die Redakteur*innen in relativ kurzer Zeit entscheiden, was relevant ist. Da habe ich ein paarmal geübt, auszuwählen und zu erklären, was mir interessant erschien. Meine Auswahl wurde sportlich kritisiert, weil sie nicht immer den Kriterien des Science Media Centers entsprach. Außerdem fehlte mir, im Gegensatz zu den Redakteur*innen, das notwendige Hintergrundwissen, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse richtig einordnen zu können. Für mich war es sehr aufschlussreich zu erfahren, wonach die Redakteur*innen Inhalte auswählen.
Wahnsinnig hilfreich war zudem meine Einbindung in der Online-Kommunikation über das Tool Slack, weil die Diskussionen in Redaktionstreffen hier weitergeführt werden. So konnte ich genau verfolgen, wie die Redakteur*innen neue wissenschaftliche Themen aufgreifen und die möglichen Auswirkungen einer Aussendung diskutieren. Ganz wichtig ist, dass die Redaktionsethnographie nicht aufhört, wenn die offizielle Arbeit getan ist. Das heißt, ich bin auch mit zum Mittagessen gegangen. Auch da führt man Gespräche darüber, was gerade läuft.
Sie bekommen dabei also sehr viel mit, auch Konflikte. Gab es deshalb Ängste und Vorbehalte seitens der Redaktion?
Bei jeder Ethnographie ist es wichtig, dass man ein Vertrauensband aufbaut. Die Leute kommen zur Arbeit und wissen: Ich beobachte sie. Deshalb habe ich auch immer versucht, viel von mir zu erzählen. Wir haben von Anfang an besprochen, dass es eine reale Möglichkeit ist, dass ich Dinge beobachte, die sie nicht selbst in die Öffentlichkeit geben wollen. Deshalb gab es eine Geheimhaltungsvereinbarung für bestimmte, empfindliche Informationen, die der Organisation schaden können. Aber das Science Media Center hat natürlich ein intrinsisches Interesse an Wissenschaft und somit auch eine positive Einstellung zur wissenschaftlichen Beobachtung. Und anders als jemand, der im Journalismus arbeitet, habe ich nicht das Ziel, da einen Exklusivbericht herauszuholen: Mir geht es um den Erkenntnisgewinn über die Auswahl und Konstruktion wissenschaftlicher Expertise und die Auswirkungen daraus auf die Wissenschaftskommunikation. Aber klar: Es bleibt meine Interpretation und die kann anders sein als die der Redakteur*innen. Ich würde nicht sagen, dass es Ängste gab, aber schon ein bisschen Nervosität. Deshalb habe ich immer versucht, Transparenz zu gewährleisten.
Ihr Forschungsinteresse hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Was hat Sie am Anfang interessiert und welche Fragen sind dazugekommen?
Sie haben viele Interviews geführt und Aufzeichnungen gemacht. Wie habe Sie diese Datenmenge ausgewertet?
Es war wahnsinnig viel Material, das nicht nur beschreibt, was passiert ist, sondern auch meinen Eindruck davon. Ich habe in jeder Forschungsphase 14 Interviews geführt und täglich ziemlich lange Feldnotizen geschrieben. Dazu kommen die Chatgespräche und die Publikationen des Science Media Centers. Das alles habe ich zusammen mit meiner studentischen Hilfskraft und Co-Autorin Louisa Pröschel mit einem Programm codiert. Man lädt die Texte hoch und fängt an, sie in Passagen zu unterteilen und zu überlegen: Was wurde hier eigentlich gesagt? Welche Annahmen, Erwartungen und Werte stehen hinter diesem Handeln? Dafür vergibt man eine Kategorie. So gehen wir die ganze Datenmenge durch und gucken am Ende, ob diese Kategorie irgendwo wieder auftaucht. So kann man die einzelnen Textbausteine wieder zusammenfassen. Das ist sehr langwierig – und dafür war es hilfreich, ein zweites Paar Augen und ein zweites Gehirn an meiner Seite zu haben. Denn diese Arbeit ist sehr interpretativ und es hilft, darüber zu sprechen.
Was haben Sie dabei herausgefunden? Gab es Überraschungen?
Es hat mich erstaunt, wie ausführlich die Redakteur*innen darüber diskutieren, welche Themen sie verfolgen. Täglich besprechen sie mehr als eine Stunde in Meetings, was ausgewählt wird, welche Expert*innen kontaktiert werden sollen und welche Wirkung eine Aussendung haben könnte. Auch die Auswahlkriterien waren interessant. Nicht überraschend ist, dass sie wissenschaftliche Qualitätskriterien anwenden, aber was zum Beispiel auch mitspielt, ist die vorhandene oder zu erwartende Medienaufmerksamkeit. Die Frage ist: Kann es sein, dass ein Thema zu sehr gehypt wird? Oder andersherum: Gibt es Befunde, die zu wenig Aufmerksamkeit finden. Da wurde immer geguckt: Wie können wir einen Unterschied machen? Ob das Science Media Center ein Thema behandelt, hängt außerdem von den Ressourcen ab. Es ist ein kleines Team von acht Leuten und sie müssen immer gucken: Haben wir jemanden, der das Thema angehen kann?
Welche Entwicklungen konnten Sie erkennen?
Spannend war eine Entwicklung, die mit der Rolle und den Zielen zusammenhängt. Ich konnte in meiner Feldarbeit drei Hauptziele des Science Media Centers definieren. Erstens: die Unterstützung der journalistischen Praxis durch das „Liefern von Rohstoffen“. Zweitens: die Ausrichtung des gesellschaftlichen Diskurses über Wissenschaftsthemen gestalten. Das Science Media Center setzt sich dafür ein, dass bestimmte wissenschaftliche Fragen, Argumente und Expert*innen mehr Gehör in der Öffentlichkeit finden – zum Beispiel in den Diskussionen um Pandemiemaßnahmen oder Impfstrategien. Das Dritte ist die Stellung von wissenschaftlichem Wissen in der Gesellschaft. Natürlich versucht das Science Media Center dessen Stellenwert zu erhöhen. Das ist wichtig für alle, die dort arbeiten.
Während der Pandemie nahm das Science Media Center verstärkt die zweite und dritte Rolle ein. Dazu rückte die Organisation selbst deutlicher in den Vordergrund, zum Beispiel als eigenständige Experte in Sachen „scientific literacy“. So versuchten die Redakteur*innen nicht nur den Journalist*innen, sondern auch dem breiteren Publikum zu zeigen: Was heißt denn eigentlich wissenschaftliche Expertise? Welche Kriterien gibt es dafür? Was sind Preprints? Soll man sie einfach übernehmen oder soll man sie mit Vorsicht genießen? Ich bin gespannt, ob sich das Science Media Center in diese Richtung weiterentwickelt und in Zukunft eine prominentere Rolle in der Wissenschaftskommunikation einnehmen wird.