Das Gespräch zwischen BILD-Zeitung und den Wissenschaftsorganisationen am 28. Januar hat für einige Aufregung gesorgt. Im Gespräch erklärt Christina Beck, Leiterin der Kommunikation der Max-Planck-Gesellschaft, die Hintergründe und zieht ein erstes Fazit des Gesprächs.
„Es ist in unseren Augen immer wert, den Dialog zu suchen“
Frau Beck, warum haben sich die beteiligten Wissenschaftsorganisationen dafür entschieden, mit der BILD zu sprechen?
Es ist es in unseren Augen immer wert, den Dialog zu suchen. Wer sich auf den Standpunkt stellt, ich spreche nicht mit BILD, der akzeptiert den Status Quo und verändert damit erst recht nichts. Insofern war es einen Versuch wert, und so wie die Runde gelaufen ist, hat sie zumindest etwas angestoßen.
Was hat das Gespräch aus Ihrer Sichtweise konkret bewegt?
Zunächst einmal eine gewisse „Awareness“, gerade auf Seiten von BILD. Selbst wenn es nur der Punkt ist, dass Johannes Boie es zur Kenntnis nimmt und sagt, künftig berücksichtigen zu wollen, dass Wissenschaftler*innen, eben anders als Politiker*innen, sich die Art von Öffentlichkeit, die sie in der Pandemie erhalten, nicht ausgesucht haben. Wenn sie, um zur Lösung der Probleme beizutragen, ihr Wissen der Öffentlichkeit bereitstellen, können sie nicht in dieser Art und Weise ins Kreuzfeuer der medialen Berichterstattung genommen werden. Auch die Aussage, dass er diese Überschrift und diesen Artikel so nicht nochmal veröffentlichen würde, ist ein wichtiger Schritt.
Um dafür ein besseres Verständnis zu bekommen, waren das Gespräch und die Annäherung beider Seiten – auch in bilateralen Gesprächen nach dem Podium – wichtige Schritte. Das Ganze ist als erster Aufschlag zu betrachten, an den wir nun anknüpfen werden. Wir machen uns jetzt Gedanken, was die weiteren Schritte im Sinne eines besseren Verständnisses und einer Annäherung sein können.
Was könnte diese Annäherung sein, etwa die angesprochene Wissenschaftsseite in der BILD?
Nein, die richtige Form des Miteinanders wird sicherlich keine Wissenschaftsseite in der BILD sein. An diesem Beispiel sieht man, dass es auf beiden Seiten noch viel übereinander und die unterschiedlichen Rollen zu lernen gibt. Eine grundsätzlich wichtige Erkenntnis der Wissenschaft war in der Pandemie, dass die Wissenschaftler*innen nicht mehr nur mit Wissenschaftsjournalist*innen gesprochen haben, sondern vielfach mit Politikjournalist*innen.
Was wir uns daher wünschen, wäre, dass die Wissenschaftsressorts inhouse stärker zu Rate gezogen würden und mehr Gehör fänden und Ressortgrenzen überwunden würden. Gerade wenn es um ein Thema geht, das die Gesellschaft in einer so tiefgreifenden Art und Weise betrifft wie die Pandemie. Das funktioniert in unterschiedlichen Medienhäusern unterschiedlich gut.
Es gab im Vorfeld der Debatte durchaus kritische Stimmen und nicht alle waren begeistert von dieser Art des Austauschs. Wie haben Sie die wahrgenommen?
Die Kritik war gerade aus der Wissenschaft am Anfang groß. Mich erinnert es ein wenig an den Spruch „man spielt nicht mit den Schmuddelkindern“, aber da bleibe ich bei der Haltung, dass wir durch die Akzeptanz des Status Quo nichts verändern. Wir müssen auch die möglichen zukünftigen Entwicklungen antizipieren und da sehen wir doch beim Blick in die USA, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn jeder in seiner eigenen Medienblase unterwegs ist, die sein Weltbild prägt und es zwischen den Blasen keinerlei Austausch mehr gibt. Das ist für eine Demokratie tödlich und deshalb muss uns dieses Thema umtreiben. Es geht hier um mehr als um Wissenschaft, es geht um den Erhalt der Diskursfähigkeit. Und es geht darum, kritisch zu prüfen, wo Grenzen der Polarisierung und Diffamierung überschritten werden, die letztlich, wenn wir das dauerhaft zulassen, unsere Demokratie beschädigen. Das hat die involvierten Wissenschaftsorganisationen dazu bewogen, an dieser Stelle das Gespräch zu suchen.
Die Kritik richtete sich nicht ausschließlich gegen das Gespräch selbst, sondern auch gegen die Inszenierung des Gesprächs als gemeinsame Veranstaltung, die dann bei der BILD stattfindet. Weshalb wurde sich für eine solche Rahmung entschieden?
Wir haben uns auch bewusst dafür entschieden, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil wir ein Signal setzen wollten, dass wir bereit sind, um einen guten, öffentlichen Diskurs zu ringen. Deshalb war es wichtig, neben den Gesprächen hinter verschlossenen Türen, die es auch gab und weiterhin geben wird, auch öffentlich zu sprechen und einige Aussagen auch öffentlich zu treffen.
Welche Aussagen meinen Sie damit konkret?
Herr Boie hat sich zwar nicht entschuldigt, aber er hat dennoch klare Punkte gesetzt. Natürlich im Rahmen seiner Möglichkeiten, denn auch er muss ja nach außen und nach innen wirken. Die mediale Berichterstattung im Anschluss zur Debatte – die doch nahezu ausnahmslos wohlwollend war – bestätigt mich darin, dass es gut war, öffentlich zu diskutieren.
Es ist wichtig, dass wir im Gespräch mit der BILD bleiben, um hier ein besseres Verständnis für die Wissenschaft etablieren. Wir erleben diese Bereitschaft gerade, und wenn wir es schaffen, diese Bereitschaft langfristig zu erhalten, wäre schon viel erreicht.
Es wurde im Gespräch mehrmals erwähnt, dass es eine Chance in der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Boulevardjournalismus gebe. Wie könnte eine solche Zusammenarbeit aussehen?
Ein Weg sind Hintergrundgespräche, bei denen auch die Wissensredaktion der BILD dabei ist und eben nicht nur die Politikredaktion. Es geht im Wesentlichen darum, das Verständnis für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess und die daraus abgeleiteten Daten zu erhöhen und in Hintergrundgesprächen zu verdeutlichen, mit welchen Unsicherheiten die Daten behaftet sind. Die Aufgabe des Journalismus ist es dann, basierend auf diesem Verständnis der Politik auf den Zahn zu fühlen. Das bedeutet natürlich nicht, dass man nicht auch Positionen der Wissenschaft hinterfragen kann, es geht aber um die Art und Weise des Hinterfragens und ein Verständnis der unterschiedlichen Rollen.
Wie sind die Vorstellungen vereinbar mit der Aussage von Johannes Boie „Boulevard muss Boulevard bleiben, da werden wir nicht allzu viel ändern“?
Auch im Boulevardjournalismus kann man sich auf bestimmte Mindeststandards im Umgang miteinander einigen und Grenzen einhalten. Es ist schließlich für alle Seiten kontraproduktiv, wenn sich Wissenschaftler*innen nicht mehr in die Öffentlichkeit wagen. Eine Entwicklung übrigens, die wir zunehmend auch in der Politik sehen, wenn sich Lokalpolitiker*innen aufgrund zunehmender auch durch Medien getriggerter Anfeindungen zurückziehen. Es geht darum, ein gutes und konstruktives gesellschaftliches Klima zu erhalten.
Dafür lohnt es sich zu kämpfen und dafür reicht es nicht, wenn die Allianzorganisationen eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlichen. Dazu braucht es weiteren Austausch, sonst kommt man nicht auf einen anderen Diskurspfad.
Es ist ein positives Zeichen, dass Herr Boie sich für ein Gespräch dieser Art offen gezeigt hat, auch weil er noch sehr neu in seinem Amt ist. In der Tatsache, dass es einen neuen Chefredakteur gibt, haben wir eine Chance für dieses Gespräch gesehen. Die Zahl der Menschen, die die Bild erreicht und die wir über unsere eigenen Kanäle nie erreichen werden, ist einfach zu groß, als das man sie ignorieren könnte.
Die sozialen Medien wurden im Gespräch von allen Seiten sehr kritisch betrachtet. Können Boulevardmedien ein Korrektiv zu den sozialen Medien sein?
Die von Ihnen angestrebte Veränderung im Diskurs wird sicherlich nicht morgen umsetzbar sein. Braucht es in der Zwischenzeit mehr Hilfestellungen für Wissenschaftler*innen, die sich in die Öffentlichkeit begeben?
Selbstverständlich. Mai Thi Nguyen-Kim hat kürzlich in einem Interview auf Riffreporter.de erläutert, wie intensiv sie inzwischen darüber nachdenkt, ob bestimmte Formulierungen in ihren Videos missverstanden werden können und sie hat betont, wie wichtig es für sie ist, dass ihr Team beleidigende Kommentare etc. auf den verschiedenen Kanälen von ihr fernhält. Das zeigt sehr deutlich, dass der Umgang mit unsachlichen Äußerungen und mit Kritik, die oft auch auf die Person abzielt, eine große Herausforderung ist und wir Hilfestellungen bieten müssen.
Aus meiner Sicht sind hier die Wissenschaftsorganisationen in der Verantwortung, und wir tun es in bestimmten Fällen auch schon. Dazu zählt sowohl rechtliche Beratung als auch praktische Hilfestellungen. Gerade dann, wenn Wissenschaftler*innen mehrere hunderttausend Follower*innen haben, wie zum Beispiel Christian Drosten. Dann geht es auch darum, nicht mehr als Privatperson zu twittern, sondern sich der eigenen professionellen Rolle sehr bewusst zu sein und diese zu reflektieren. Gerade dabei müssen wir als Institutionen Wissenschaftler*innen unterstützen und begleiten. Das wird am besten direkt vor Ort gemacht. Wir als zentrale Kommunikationsstelle können die regionalen Institute dabei unterstützen, sie schulen und gleichzeitig Ressourcen bereitstellen, beziehungsweise die rechtliche Beratung sicherstellen.