Wenn in Talkshows oder öffentlichen Debatten über Politik diskutiert wird, kommt die Politikwissenschaft häufig nicht zu Wort. Fakten werden nicht in die Diskussion mit eingebracht. Über Gründe und mögliche Lösungsansätze spricht Politikwissenschaftler Dirk Leuffen im Interview.
„Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen medialer und wissenschaftlicher Sichtbarkeit“
Herr Leuffen, bewerten Sie es als positiv, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verstärkt kommunizieren?
Auf jeden Fall. Ich halte Kommunikation für etwas ganz Wichtiges und für einen unabdingbaren Teil unserer Arbeit. Die Wissenschaft steht aktuell unter einem hohen Druck und muss sich allein deshalb noch viel mehr der Aufgabe stellen, ihre Arbeit in die Öffentlichkeit zu bringen. Nicht zuletzt auch, weil die Wissenschaft ja durch Steuern finanziert wird. Das ist natürlich nicht immer einfach, aber wir sollten es versuchen.
Inwiefern halten Sie es für wichtig, dass sich Politikwissenschaftlerinnen und – wissenschaftler in politische Debatten mit ihrem Wissen einbringen?
Dabei muss man aus meiner Sicht zwischen Fernsehdebatten und anderen öffentlichen Debatten unterscheiden. Ich glaube, es ist sehr schwierig, sich als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler in Fernsehdebatten einzubringen, weil sie sehr oberflächlich aufgesetzt sind. Die Redezeit ist dort doch sehr begrenzt und das Format ist nicht wirklich für eine empirische Darlegung ausgelegt. Fernsehdebatten sind meistens schon sehr stark ideologisch und parteipolitisch geprägt.
Anders sieht das bei gesellschaftlichen Debatten beispielsweise in Print- oder Onlinemedien aus. Da sehe ich die Möglichkeit auf jeden Fall. Ich denke, es ist ganz zentral, sich an dieser Stelle einzubringen. Fakten müssen hier dringend eingebracht werden, damit wir nicht in den postfaktischen Bereich reinrutschen. Hierbei spielt die Wissenschaft als aufklärende Instanz eine große Rolle.
Glauben sie denn, dass dies bereits genug geschieht?
Gerade in Deutschland ist aus meiner Sicht noch Luft nach oben. Die „Faktenchecks“ im Fernsehen sind etwa fast nie wirkliche Faktenchecks, sondern lediglich Illustrationen anhand von Beispielen oder Einzelschicksalen. Das greift für mich zu kurz. In der Schweiz ist man dort einen Schritt weiter und arbeitet stärker auf der Basis von Daten. Das Buch „Factfullness“ ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel. Darin wird klargemacht, wie unterschiedlich die Wahrnehmung und die Faktenlage zu bestimmten Themenkomplexen sind, etwa bei Ungleichheit oder Gewalt. Hier sehe ich auch den Journalismus in der Pflicht der Aufklärung und der Einordnung von Daten und Fakten in einen größeren Kontext. Aber auch die Wissenschaft kann und muss hier noch stärker beitragen als bisher. Gerade wenn es darum geht, eine globale Perspektive in Diskussionen einzubringen.
Woran liegt es, dass dies in Deutschland noch zu wenig geschieht?
Ich glaube, das liegt auch an den Produktionsmechanismen der Medien. Journalistinnen und Journalisten erfüllen eine enorm wichtige Aufgabe, aber sie stehen unter hohem Zeitdruck und müssen pragmatische Entscheidungen treffen.
Gerade in den Politikwissenschaften beobachten wir beispielsweise das Phänomen, dass immer wieder die gleichen Personen als Expertinnen und Experten herangezogen werden und zwar zu den unterschiedlichsten Themen. Das tun sie zwar nach bestem Wissen und Gewissen, aber oft äußern sie sich eben auch zu Themen, die nicht ihr Spezialgebiet sind. Gerade in der Politikwissenschaft gibt es oft einen erheblichen Unterschied zwischen medialer und wissenschaftlicher Sichtbarkeit.
Die Fokussierung auf einige wenige liegt nicht immer nur daran, dass die anderen Kolleginnen und Kollegen medienscheu sind. Vor allem liegt es daran, dass diese nicht in den Kontaktdatenbanken der Medien auftauchen oder sie ein Risiko darstellen, weil unklar ist, wie gut sie in der Medienarbeit sind. Ausgesucht wird dann oft vielmehr nach Medienaffinität und nicht nach Expertise. Und das halte ich für problematisch, da der Diskurs so nicht unbedingt von der größten wissenschaftlichen Einschlägigkeit bestimmt wird.
Wie könnte man dieses Problem lösen?
Ich denke, die institutionalierte Kommunikation von Universitäten kann dabei helfen und sie tut es auch. Die Kommunikation zur sozialwissenschaftlichen Forschung hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Dadurch gelangen zunehmend Forschungsergebnisse aus diesem Bereich in die Medien und halten so auch Einzug in die öffentlichen und politischen Debatten.
Ein gutes Beispiel ist eine Arbeit meines Kollegen Gerald Schneider, der eine Studie zu Anerkennungspraxen von Asylsuchenden gemacht und so auch einige Missstände ans Licht gebracht hat, die auch medial viel Aufmerksamkeit erfahren haben. Das ist ein gutes Beispiel, wie die institutionelle Kommunikation den Journalismus unterstützen kann.
Darüber hinaus braucht es aus meiner Sicht mehr Austauschformate, in denen Journalistinnen und Journalisten mit Forschenden in Kontakt kommen können.
Glauben Sie, soziale Medien könnten dabei helfen?
Ich denke schon. International ist das schon sehr etabliert. Auch wenn ich da selbst eher konservativ bin, sehe ich hier auch in Deutschland ein großes Potenzial, auf seine eigene Forschungsergebnisse aufmerksam zu machen. Ich denke, dies könnte ein guter Weg sein.
Wie anerkannt ist denn die eigene Kommunikation innerhalb der Wissenschaft?
Ich glaube, da hat sich einiges positiv verändert und mediale Beiträge werden mittlerweile viel mehr anerkannt als früher. Heute muss und möchte sich die Wissenschaft stärker legitimieren und inzwischen haben Wissens- und Technologietransfer eine viel größere Bedeutung im System. Insofern ist mein Eindruck, dass es durchaus Anerkennung findet, solange Medienarbeit nicht das Einzige ist, was man tut.
Inwiefern haben Ereignisse wie Brexit oder populistische Tendenzen einen Einfluss auf das Kommunikationsverhalten der Politikwissenschaft?
Einige der Entwicklungen betreffen ja durchaus Grundpfeiler der Demokratie und es gibt Warnsignale, die dazu führen könnten, dass sich die Wissenschaft stärker einbringt. Der Bedarf wäre aus meiner Sicht also da und ich persönlich würde eine größere Einmischung als sinnvoll erachten.
Ich selbst habe jedenfalls vor, mein Medienengagement in Zukunft zu steigern, nachdem ich in den letzten Jahren durch meine Arbeit als Prorektor doch sehr stark im Bereich der Wissenschaftspolitik eingebunden war.