Wie kommt man in der Wissenschaft ganz nach oben? Und was zeichnet die Persönlichkeiten aus, die es geschafft haben? Das vermittelt die Fotografin und Dokumentarfilmerin Herlinde Koelbl in ihrer Serie „Faszination Wissenschaft“. Ein Gespräch.
„Eine unmögliche Kombination aus Flexibilität und Beharrlichkeit“
Frau Koelbl, Sie haben für Ihre Fotoserie „Faszination Wissenschaft“ in den vergangenen Jahren über 60 Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler fotografiert und dazu Interviews geführt. Was haben Sie dabei über Wissenschaft gelernt?
Eine ganze Menge, weil ich nach intensiven Vorbereitungen lange Gespräche mit jeder und jedem Einzelnen geführt habe. Da ging es um die ganze Bandbreite an Forschung von Physik oder Chemie bis zur künstlichen Intelligenz. Neben den Inhalten ging es mir dabei aber vor allem darum, die Persönlichkeiten hinter der wissenschaftlichen Arbeit zu zeigen.
Was ist das Besondere an Persönlichkeiten, die in der Wissenschaft arbeiten?
Sie sind sehr individuell und eigenwillig. Das muss man in der Forschung wohl auch sein, sonst würde man diesen Weg gar nicht durchhalten. Ich habe hier vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler porträtiert, die in der Spitzenforschung arbeiten und zum Teil auch Nobelpreise gewonnen haben. Dieser Weg nach oben hat mich interessiert. Womit hatten sie zu kämpfen? Welche Vorurteile gab es zum Beispiel bei den Frauen? Wie hat sie das geformt? Woher kommen sie? Was hat sie zu diesem Weg motiviert? Ein Satz aus einem Interview fasst die verschiedenen Wege ganz gut zusammen, nämlich: Man braucht eine unmögliche Kombination aus Flexibilität und Beharrlichkeit, um es in der Wissenschaft zu schaffen.
Wie zeigt sich diese Kombination an Flexibilität und Beharrlichkeit in den verschiedenen Biografien?
Das Entscheidende ist der Blick auf Fehler und Fehlschläge. Der US-amerikanische Chemiker Richard Zare hat das im Interview so beschrieben: Neun von zehn Versuchen in der Forschung scheitern. Misserfolge gehören also dazu. Das Entscheidende ist aber, wie man mit ihnen umgeht. Welche Erkenntnis kann man aus einem Fehlschlag ziehen? Was kann ich ändern oder zeigt es mir einen völlig neuen Weg auf? Das Entscheidende ist also, wie es im Anschluss weitergeht. Eines haben mir alle bestätigt: Fehler sind ständige Begleiter in der Forschung. Eine absolute Hingabe an ihre Arbeit ist eine weitere gemeinsame Eigenschaft, die alle verbindet, egal ob Frauen oder Männer, jüngere oder ältere Forschende.
Die meisten Porträtierten sind eher ältere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Warum haben Sie sich für diesen Fokus entschieden?
Weil es für den Weg in die Spitzenforschung oftmals viel Zeit und Arbeit braucht. Einen Nobelpreis bekommt man selten so jung wie Jennifer Doudna oder Emmanuelle Charpentier – beide sind Anfang 50. Die Porträtierten haben sich alle durchgesetzt und auf dem Weg viele Fehlschläge erlitten. Deshalb können sie eine große Vorbildfunktion entwickeln und stehen stellvertretend dafür, wie man mit Leidenschaft ein Ziel verfolgt. Außerdem habe ich einige ,Rising Stars‘ porträtiert, die gerade in ihren Vierzigern sind und dazu am Schluss noch vier ganz junge Forschende Anfang dreißig mit reingenommen. Hier wollte ich untersuchen, welche Unterschiede es zwischen den Generationen und hinsichtlich ihres Blickes auf die Forschung gibt.
Denkt die junge anders als die ältere Generation?
Ja, denn sie denkt zwar auch karrierebewusst, steckt aber noch nicht in dem Rivalitätsdenken drin, welches ich bei den Älteren stark beobachten konnte. Der Physiker und Nobelpreisträger Klaus von Klitzing hat dazu gesagt: Es zählt nur die Goldmedaille, der Zweitplatzierte fällt hinten runter. Die Jüngeren denken da etwas anders und auch viel interdisziplinärer. Auch sind ihre Forschungsgruppen viel diverser aufgestellt. Dies halten sie für wichtig, weil sie dadurch andere und vielfältigere Ergebnisse bekommen würden. Das ist ein spezifisches Merkmal der ganz jungen Generation.
Warum haben Sie einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler porträtiert und keine Teams?
Ganz klar, ein Forschungsergebnis entsteht im Teamwork. Trotzdem ist es immer einer oder eine Person, die die außergewöhnliche Idee oder die Energie für das Projekt aufbringt. Diese Person steht auch ganz besonders unter Druck und setzt ihre ganzen Ressourcen für das Forschungsprojekt ein. Darum bin ich sehr froh, dass sich so viele die Zeit für mein Projekt genommen haben und damit auch für die Wissenschaftskommunikation.
Wo steht die Wissenschaftskommunikation derzeit in Ihren Augen?
Es ist wichtig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versuchen, ihre Forschung so darzustellen, dass sie verständlich ist. Da gibt es aber noch ein großes Defizit in der Wissenschaftscommunity. Darum bin ich froh, dass sich jetzt im Rahmen der Pandemie etwas verändert. Aktuell kann die Gesellschaft dabei zusehen, woran wie geforscht wird. Dieser ständige Lernprozess der Wissenschaft ist gerade sehr gut sichtbar an der Forschung über die Pandemie.
Warum haben Sie sich nach Persönlichkeiten aus der Politik jetzt mit Protagonistinnen und Protagonisten aus der Wissenschaft beschäftigt?
Wissenschaft und Forschung sind extrem wichtig für unsere Zukunft. In Europa haben wir keine Rohstoffe. Nur wenn wir in Forschung investieren – ob nun Medizin, Astrophysik oder Chemie – und die Ergebnisse dann auch von Wirtschaft und Politik umgesetzt werden, können wir den Wohlstand unserer Gesellschaft erhalten.
Sollten sich Forschende mehr in diese Prozesse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einbringen?
Ich habe viele Forschende nach ihrer Verantwortung für das, was sie tun, gefragt. Vor Jahren habe ich mal den ungarisch-amerikanischen Physiker Edward Teller interviewt, der damals die Grundlagen für die Wasserstoffbombe entwickelt hat. Er sagte dazu, dass nur die Politik die Verantwortung dafür trage, was sie daraus macht. Diese Frage wurde in der aktuellen Serie vielfach anders beantwortet. Heute sehen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zumindest einen Teil der Verantwortung für die Nutzung der Ergebnisse direkt bei der Wissenschaft. In dem Moment, in dem mehr Dialog mit der Gesellschaft stattfindet und die Forschenden darüber aufklären, was sie tun und welche möglichen Konsequenzen das haben könnte, werden diese auch der Gesellschaft bewusster. Dadurch entsteht eine ganz andere Form der Auseinandersetzung. Das bedeutet aber nicht, dass ein Forscher oder eine Forscherin aktiv in der Politik tätig werden sollte.
Auf den Fotos Ihrer Reihe sieht man Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ihre Forschung oder ihre Philosophie ganz kompakt mit schwarzem Stift auf ihre Handfläche geschrieben haben. Wie leicht oder schwer ist ihnen das gefallen?
Ich war freudig überrascht, dass alle sehr bereitwillig mitgemacht haben. Die Idee dazu hatte ich direkt beim ersten Gespräch und es hat auch in allen Fällen gut geklappt. Mit diesem Motiv wollte ich den Körper und den Geist zusammen auf einem Bild festhalten. Was ich noch aufschlussreich finde, sind die verschiedenen Positionen der Hände auf den Bildern. Ich habe dabei nichts vorgegeben und die meisten hatten direkt eine eigene Idee, wie sie sich und ihren Inhalt positionieren möchten – über, neben oder unter dem Gesicht, mit gestreckten, gebeugten oder elegant gebogenen Fingern. Darin zeigt sich, finde ich, auch wieder die Neugier und das Spielerische, dass all diesen Menschen innewohnt. In dieser Komposition von Gesicht, Hand und Philosophie oder Formel manifestiert sich eine ganz individuelle Erzählung.