Wie können wir wissenschaftliche Themen gut visualisieren? Einige Gedanken dazu gibt Chris Spatschek, Designer und Dozent für Visualisierungen am NaWik, im Gastbeitrag.
Eine gute Visualisierung kann in uns eine ganze Kaskade an Assoziationen erzeugen
Wir leben in einer spannenden (Medien-) Welt – jeden Tag prasselt eine wahre Flut von Bildern und Visualisierungen auf uns ein, die uns verschiedenste Themen erklären, oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln wollen. Bilder können von uns sehr schnell und intuitiv erfasst werden und sind heute ein primäres Kommunikationsmittel.
Dabei ist der Grat schmal: Während eine gute Visualisierung in uns eine ganze Kaskade an Assoziationen und Ideen erzeugen kann, schenken wir unverständlichen und kryptischen Abbildungen kaum Aufmerksamkeit.
Wollen wir uns nun selbst als Gestalter betätigen, stellt sich die Frage: Wie können wir Bilder erschaffen, die eher zur ersten Kategorie zählen? Ein paar zentrale Aspekte können beim Konzipieren und Gestalten einer guten Grafik helfen.
1. An der Quelle ansetzen
Die gute Nachricht zuerst: Jede gute Visualisierung hat einen harten Kern aus Daten und Informationen. Genau diese bekommen wir in den Wissenschaften häufig problemlos.
Wichtig für eine gute Visualisierung ist zudem eine Schicht, die den Zweck und die Botschaft der Abbildung unterstützt und betont. Die Botschaft strukturiert den Kern aus Daten und Informationen. Sie erklärt sie und ordnet ein. Dann können wir uns Gedanken zum Design machen, das beides verknüpft.
Diese drei Ebenen müssen wir also bearbeiten, um zum Ziel zu kommen. Und zwar in genau dieser Reihenfolge. Es nützt nichts, mit einem Design einzusteigen, wenn die zugrunde liegenden Daten noch nicht gesammelt sind und die Botschaft der Abbildung noch nicht klar feststeht.
2. Psychologische Grundlagen1 beachten
Wir sollten uns beim Einsatz gestalterischer Elemente bewusst machen, dass wir nicht mit den Augen, sondern mit dem Gehirn sehen und dass jeder von uns einen unfassbaren Schatz an abrufbaren visuellen Informationen mit sich herumträgt. Die meisten von uns würden einen Smiley, das Friedenssymbol oder einen Wiedergabe-Button sofort erkennen. Zudem gibt es Prägungen und bestimmte Grundmuster. So nehmen wir (zumindest in Europa) die Farbe Rot im Vergleich zu Blau eher als warm wahr. Ein Kreis wirkt vollkommen und zieht Aufmerksamkeit auf sich.
3. Möglichkeiten offenhalten und Entscheidungen treffen
Im Normalfall haben wir nicht viel Zeit. Wir suchen also den direkten Weg zum Ziel, zur fertigen Grafik oder Illustration. Besonders wenn uns Erfahrungswerte fehlen, leitet uns dieses Streben nach der kürzesten Verbindung oft direkt in eine frustrierende Sackgasse. Und das führt bei vielen Menschen zur irrigen Annahme, sie seien nicht „kreativ“.
Bleiben wir also flexibel. Verschiedene, auch unkonventionelle Lösungen in Betracht zu ziehen, hilft uns bei der Suche nach einer kreativen Lösung. Ein frühes Brainstorming eröffnet uns ein weites Feld der Möglichkeiten. Trotzdem müssen wir uns irgendwann entscheiden. Sollte sich die Entscheidung für einen Weg nicht klar und deutlich abzeichnen, hilft es häufig, Außenstehende einzubinden und sich Feedback zu holen.
Der Gestaltungsprozess besteht immer aus einer ganzen Kette solcher Möglichkeitsräume und Entscheidungen. Gelegentlich müssen wir einen Schritt zurückgehen und uns von einer lieb gewonnenen Idee verabschieden, die in einer Sackgasse steckt. Es heißt nicht umsonst: Kill your Darlings. Im Anschluss können wir wieder neue Ideen zulassen und diese dann meist schneller und freier verfolgen.
4. Vom Groben ins Feine
Der Gestaltungsvorgang einer Visualisierung und einer Statue (aus Marmor) ist verblüffend ähnlich (auch wenn andere Werkzeuge benötigt werden): Wir arbeiten vom Groben ins Feine. Das heißt bei unserer Grafik konkret, dass wir uns erst um eine generelle Aufteilung, Kernelemente und ihre sinnvolle Verknüpfung kümmern sollten. Erst dann werden die Details einer Abbildung ausgearbeitet. Bei der Gestaltung kann uns eine abstrakte Darstellungsweise und eine Arbeitsmethode helfen, die wir kennen. Eine Skizze lässt sich oft schneller auf einem Stück Papier festhalten als mit einer App anfertigen, die wir vorher noch nie benutzt haben. Und statt einer naturalistischen Abbildung unseres Themas funktionieren vielleicht einfache Icons und Symbole ebenso gut.
5. Form folgt Funktion
Gelegentlich kommunizieren Bilder ihre Botschaften am Publikum vorbei. Die Gestaltung ist so überfrachtet oder missverständlich, dass sie vom eigentlichen Kern ablenkt. Das Credo der Gestalter lautet deshalb: Weniger ist Mehr. Für wen machen wir das eigentlich? Und was ist unser Ziel dabei? Wenn uns diese beiden Aspekte klar sind, dann ergeben sich Darstellungsform und Stil im nächsten Schritt. Ein Comic eignet sich vermutlich besser, um einer Grundschulklasse ein physikalisches Experiment zu erklären, als den Besuchern einer Fachmesse.
Beim Gestalten hilft es, wenn wir zwischen den Dingen unterscheiden, die absolut wesentlich für unsere Kernaussage sind und jenen, die wir gerne abbilden möchten. Letztere sollten wir im Sinne von „Form follows Function“ eher zurückhaltend einsetzen.
6. Nicht überfrachten
Wir kämpfen ständig mit zu wenig Platz und Zeit. Das verleitet uns dazu, in eine Grafik zu viele Inhalte und Funktionen stecken zu wollen und jeden Fleck freier Fläche mit Informationen zu füllen. Uns sollte klar sein, dass dies bei den Betrachtern nicht zu mehr Informationsaufnahme führt.
Wir müssen also die Informationsdichte entzerren. Haben wir in einer Präsentation beispielsweise mehrere Folien zur Verfügung, lohnt es sich die Informationen zu verteilen. Wir können die grundlegende Gestaltung wiederholen und pro Folie einen Aspekt hinzufügen. So können wir eine Grafik aufbauen und gleichzeitig erklären, wie sie funktioniert. Das Publikum wird nicht überfordert und fokussiert sich auf das Wesentliche. Bei Postern lohnt es sich, die einzelnen Elemente und Informationen weniger durch Striche und Boxen, als vielmehr durch Ränder und Weißraum zu gliedern und voneinander abzusetzen.
7. Hilfe zur Selbsthilfe
Es gibt heute für alle Aspekte des Gestaltens glücklicherweise hilfreiche Werkzeuge und Quellen für Ausgangsmaterialien. So können wir auf TheNounProject eine ganze Datenbank an Icons und Illustrationen finden. Oder Wikimedia versorgt uns mit ausdrucksstarken Bildern und Google Fonts mit freien Schriften. Freeware wie Gimp oder Inkscape ermöglicht uns, etwas Neues daraus zu machen. Und Achtung- nicht alles ist Freeware und kann einfach übernommen werden. Deshalb immer auf die genauen Nutzungslizenzen achten!
Für spezielle Fragen und Darstellungen lohnt es sich häufig auch, nach Tutorials zu suchen. So können wir uns an unseren eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.
Blicken wir zurück und beachten einige dieser Punkte, können wir unsere Abbildungen deutlich klarer und ausdrucksstärker gestalten. Sie haben dann höhere Chancen gegenüber den vielen Abbildungen, die täglich spurlos an uns vorüberziehen. Letztendlich lernen wir am meisten während der praktischen Arbeit. Also: Nicht verzagen und anfangen!