Foto: Ed Hawkins (University of Reading, CC BY

Eine Grafik sagt mehr als tausend Studien

Das Transferprojekt „Unsere Grafik“ hat untersucht, wie wissenschaftliche Grafiken ankommen. Julia Gantenberg teilt im Gastbeitrag die überraschenden Tipps für die Praxis, die basierend auf den Einschätzungen von Wissenschaftler*innen, Bürger*innen und Grafiker*innen entwickelt wurden.

Die visuelle Darstellung von Informationen hat eine lange Tradition1. Ob als Balkendiagramm bei der Darstellung von Wahlergebnissen, Kurvendarstellungen für den Verlauf von Prozessen oder interaktive Karten zur Navigation – Grafiken sind allgegenwärtig und dabei hochfunktional. Grafiken haben „wie Bilder generell, Evidenzcharakter. […] Erst das Sichtbarmachen ermöglicht einen Zugang zu den Daten, macht sie lesbar und kann so zu Erkenntnisgewinn und Wissensgenerierung beitragen.“2.

Bei der Vermittlung von wissenschaftlichen Informationen spielen visuelle Darstellungen eine entscheidende Rolle. Vor allem in den bildgewaltigen Naturwissenschaften345, werden Grafiken häufig eingesetzt. Im Vergleich mangelt es in den Sozialwissenschaften häufiger an geeigneten Visualisierungen der Forschungsinhalte. Dennoch gibt es einige sozialwissenschaftliche Grafiken, die Zusammenhänge veranschaulichen oder Hintergrundinformationen vermitteln.

„Bei der Vermittlung von wissenschaftlichen Informationen spielen visuelle Darstellungen eine entscheidende Rolle.“ Julia Gantenberg

Grafiken in der Wissenschaftskommunikation

Wissenschaftskommunikation hat den Anspruch, Wissen verständlich, anknüpfbar und anwendbar zu vermitteln. Dabei ist es umso wichtiger, Grafiken nicht nur als Ergänzung zu betrachten, sondern sie als eigenes Kommunikationsmittel zu verstehen. So können visuelle Darstellungen in der Wissenschaftskommunikation informieren, komplexe Inhalte erklären und Evidenz schaffen. Sie haben Einfluss auf das Verständnis der zu vermittelnden Informationen und können sogar dazu führen, „die Einstellung der Rezipierenden zu wissenschaftlichen Themen zu beeinflussen.“67. Wie sehr die visuelle Darstellung von wissenschaftlichen Themen zur Meinungsbildung bei Rezipierenden beitragen können, zeigen zahlreiche Studien im Zusammenhang mit der Kommunikation klima- und umweltwissenschaftlicher Themen89. Ein prägnantes Beispiel ist das Bild des Eisbären auf der schmelzenden Eisscholle als Symbol für die Auswirkungen des Klimawandels, dessen Wirkung sich verändert hat von „(…) einem Bild, das vor dem Klimawandel warnen soll, über ein von AktivistInnen eingesetztes Bild (…) [zu] einem schon klischeehaften und stereotypen Bild“.

Wie in anderen Kontexten der Wissenschaftskommunikation muss auch bei der Grafikgestaltung die Zielsetzung klar sein: Was möchte ich vermitteln? Und wen möchte ich mit der Grafik erreichen? Dafür müssen sowohl die zu kommunizierenden Informationen entsprechend aufbereitet als auch die genutzten Kommunikationswege sorgfältig gewählt werden. Was vor allem für Kommunikationserfahrene selbstverständlich klingt, ist es noch lange nicht für alle. Komplexe Forschungsdaten so zu visualisieren, dass auch Lai*innen sie verstehen, ist eine Aufgabe, die Wissenschaftler*innen und Gestalter*innen gleichermaßen herausfordert.

In den Workshops des Projekts „Unsere Grafik“ kamen Wissenschaftler*innen, Bürger*innen und Grafiker*innen zusammen, um gemeinsam sozialwissenschaftliche Infografiken zu evaluieren. Foto: GfG / Gruppe für Gestaltung

Wie kommen wissenschaftliche Grafiken an?

Das Projekt „Unsere Grafik“ hat in Kooperation mit einer Kommunikationsagentur das Thema in kollaborativen Workshops ergründet. Gemeinsam bewerteten Wissenschaftler*innen, Bürger*innen und Grafiker*innen mediale Infografiken mit sozialwissenschaftlichen Inhalten und Grafiken aus sozialwissenschaftlichen Studien danach, ob sie wissenschaftlich korrekt, verständlich und wirkungsvoll waren. Dafür legten sie zunächst grundsätzliche Bewertungskriterien für Infografiken und ihren Einsatz fest. Im Rahmen der Workshops wurde deutlich, dass Bürger*innen und Wissenschaftler*innen unterschiedliche Ansichten darüber hatten, ob Grafiken gelungen oder weniger gelungen waren. Für die Wissenschaftler*innen war es primär wichtig, den Informationsgehalt der visuellen Darstellungen möglichst nah an den wissenschaftlichen Ergebnissen zu orientieren. Sie betrachten Grafiken oftmals eher als Nebenprodukt des Textes statt als eigene Darstellungsform. Das wirkt sich auch auf ihr Verständnis vermeintlich „einfach“ und „zugänglich“ gestalteter Grafiken aus, die wiederum von Bürger*innen als unübersichtlich und unverständlich bewertet wurden. Die Projektverantwortlichen ziehen daraus den Schluss, dass die Wissenschaftler*innen auf Grafiken mit sozialwissenschaftlichen Inhalten offenbar einen ähnlichen Fachblick haben, wie auch auf ihre jeweilige disziplinäre Fachsprache. Da sie im professionellen Kontext häufig auf das Verstehen von mitgelieferten Grafiken angewiesen sind, haben sie hier offenbar eine höhere „Leidensfähigkeit“ entwickelt10.

Grafik zur Wähler*innenwanderung bei der Bundestagswahl. Foto: ARD/Infratest dimap

Neben dem fachlichen Hintergrund hat ebenso die Art der Gestaltung einen großen Einfluss auf Korrektheit, Verständlichkeit und Wirkung sozialwissenschaftlicher Grafiken. Viele wissenschaftliche Themen sind aufgrund ihrer Komplexität nur schwer visualisierbar. Was aus gestalterischer Sicht eine Verbesserung bedeutet, kann gerade bei komplexen Themen rasch zu Ungenauigkeiten führen, wie auch die an den Workshops beteiligten Grafiker*innen festgestellt haben. Für sie lag der Reiz der Zusammenarbeit deshalb auch darin, die eigene Arbeitsweise zu hinterfragen und gemeinsam mit Produzent*innen und Rezipient*innen auf wissenschaftliche Infografiken zu blicken. Deutlich wurde dies bei einer Grafik zur Wähler*innenwanderung bei der Bundestagswahl. Sie wurde von Wissenschaftler*innen als gelungen und verständlich eingeordnet und erfüllte auch gestalterische Kriterien wie den Einsatz von Farben, proportionalen Elementen und eindeutiger Beschriftung. Trotzdem kritisierten Bürger*innen die Grafik mehrheitlich als „unübersichtlich“ und deren Inhalte als „nur auf den zweiten Blick erkennbar“.

Ausschnitt der Grafik „Was passiert eigentlich auf einem Klimagipfel?“. Foto: Klimafakten.de

Tipps für die Praxis

Das Rad muss nicht immer neu erfunden werden muss: Gelernte Darstellungen, das heißt vertraute, intuitiv gelernte grafische Elemente, helfen den Rezipient*innen dabei, Grafiken lesen zu können. Ein einfaches Balkendiagramm, das die Rezipient*innen aus alltäglichen Kontexten kennen, trägt manchmal mehr zum Verständnis bei, als eine innovativ gestaltete Grafik mit vielen unterschiedlichen Elementen und Details. So bildet die (auch im Workshop eingesetzte) Grafik zur Erklärung der Abläufe beim Klimagipfel zwar alle Informationen vollständig ab, sie wurde aber sowohl von den Wissenschaftler*innen als auch von den Bürger*innen als „viel zu überladen und textlastig“ bewertet. Gerade bei der Vermittlung komplexer Informationen können Vertrautheit und Reduktion von Vorteil sein.

Deutlich wurde in den Workshops auch:  Datenvisualisierungen entstehen am besten in transdisziplinärer Teamarbeit11. Auch auf diesem vermeintlichen Nebenschauplatz der Wissenschaftskommunikation ist multidisziplinäre Fachexpertise notwendig, um Grafiken sinnvoll einzubinden. Es empfiehlt sich daher, von Anfang an entsprechende Ressourcen einzuplanen.


Worauf sollte man achten?

Um Rezipient:innen mit (sozial-)wissenschaftlichen Infografiken zu erreichen sollten folgende Bedürfnisse berücksichtigt werden:

  • Klares Storytelling
  • Übersichtlichkeit des Texts und des Aufbaus
  • Einbindung gelernter Diagramme (zum Beispiel Torten- oder Balkendiagramme)
  • Bei animierten Grafiken die Potenziale die Nutzung der digitalen Erzählstruktur (Erklärungen können schrittweise strukturiert werden)
  • Transparenz der wissenschaftlichen Evidenz und Seriosität des Absenders

Grundlagen für die Erstellung von Infografiken:

  • Die Zielgruppe und Adressat*innen definieren: Haben diese schon Vorkenntnisse zum Thema oder nicht?
  • Kernaussage definieren: Welches Problem soll gelöst werden? Welche Aussage soll getroffen werden?
  • Normen der Kultur beachten: beispielsweise das Lesen von links nach rechts, von oben nach unten in Zentraleuropa
  • Gängige Symbolik verwenden: Zeichen und Farben haben in verschiedenen Kulturen unterschiedliche, teils sogar gegensätzliche Bedeutungen

Gesetze für die gestalterische Komposition von Grafiken12

  1. Gesetz der Nähe: Elemente, die nah beieinander liegen, werden als inhaltlich zueinander gehörend betrachtet.
  2. Gesetz der Ähnlichkeit: Elemente, die ähnlich oder gleich aussehen, werden als inhaltlich verwandt betrachtet.
  3. Gesetz der Geschlossenheit: Geschlossene Formen setzen sich (visuell) stärker durch als offene.
  4. Gesetz der Erfahrung: Formen oder Objekte, die auf Erfahrungen des Betrachters beruhen, werden leichter erkannt.
  5. Gesetz der guten Gestalt: Einfach, voraussehbar und gesetzmäßig gestaltete Formen vermeiden Irritationen.

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Abschlussbericht: „Unsere Grafik. Impulse für visuelle Wissenschaftskommunikation

Die redaktionelle Verantwortung für diesen Beitrag lag bei Anna Henschel. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.