Hochschulen haben während der COVID-19-Pandemie verstärkt die Politik beraten. Das Hochschul-Barometer hat sich deshalb genauer mit dem Zusammenspiel befasst. Im Interview gibt Pascal Hetze vom Stifterverband Einblicke in die Befragung und wagt eine Zukunftsprognose.
„Ein wenig mehr Aufbruchstimmung täte dem Thema sicher gut“
Herr Hetze, bevor wir uns damit befassen können, wie es um die wissenschaftliche Politikberatung steht, brauchen wir eine Definition. Was genau ist wissenschaftliche Politikberatung eigentlich?
Ich würde wissenschaftliche Politikberatung in drei Bereiche unterteilen. Der Erste ist die formal geregelte Beratung von der Wissenschaft in Richtung Politik in Gremien oder Beiräten, die vielfach sogar berufen worden sind. Das ist Politikberatung mit einem sehr starken Mandat, hoher Expertise und auch Ressourcen. Bei dieser Form der Beratung ist natürlich immer die Frage, inwiefern die Öffentlichkeit davon profitiert beziehungsweise überhaupt etwas davon mitkriegt. Das ist sehr unterschiedlich.
Der zweite Bereich sind Hintergrundgespräche. Diese sind in der Pandemie natürlich verstärkt durchgeführt worden. Sie finden eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und werden daher auch manchmal kritisch betrachtet. Der dritte Bereich ist dann die Politikberatung über die Öffentlichkeit und Medien. Diesen Bereich darf man nicht unterschätzen. In der Pandemie hat man das sehr stark erlebt und Auftritte in Talkshows, in Zeitungsartikeln oder eben auch Podcasts wie der von Christian Drosten, haben natürlich eine Wirkung. Diese Art der Politikberatung spielt quasi über Bande.
Sie haben sich im Hochschul-Barometer angeschaut, wie die Hochschulleitungen die Politikberatung in der Pandemie bewertet. Was sind aus Ihrer Sicht die spannendsten Ergebnisse?
Was uns überrascht hat, ist, dass ein Großteil der Hochschulen gesagt hat, dass sie den Anteil ihrer indirekten Politikberatung erhöht haben. Sie haben also die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sie generieren, nochmal öffentlichkeitswirksamer präsentiert und damit die gesteigerte Nachfrage aus der Politik bedient. Deutlich weniger sagen hingegen, dass sie sich auch in der direkten Politikberatung stärker engagiert zu haben und da sehen wir große Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Hochschultypen.
Die Folgen der Krise gehen weit darüber hinaus und haben Implikationen in ganz unterschiedlichen Bereichen, die in der öffentlichen Wahrnehmung wesentlich weniger stark wahrgenommen wurden. Das zeigt sich dann auch in einem geringeren Engagement in der Politikberatung von Hochschulen mit einem Fokus auf anderen Fächern. Im Ergebnis führt das dazu, dass immerhin knapp 60 Prozent der Befragten sagen, dass die Hochschulen insgesamt in der Pandemie zu wenig sichtbar waren.
Woran liegt das?
Sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, ist aber natürlich auch keineswegs trivial und es wird vielfach bemängelt, dass es keine Räume für regelmäßigen Austausch gibt. Es gibt natürlich Gremien und so etwas, aber die haben oft einen thematischen Fokus und lassen wenig Freiräume zu. Ein offener Austauschraum – der nicht thematisch gebunden ist – zwischen Politik und Wissenschaft fehlt. Das bemängeln die Leitungen der Hochschulen auch im Barometer.
Weshalb gibt es solche Austauschräume nicht?
Spannend daran ist hinsichtlich unserer Befragung, dass die Angaben von den Hochschulleitungen stammen, die ja eigentlich politisch zumindest erfahren sind. Da findet also eine starke Reflexion über die Probleme statt, die die eigenen Wissenschaftler*innen haben.
Glauben Sie, dass sich nach der Pandemie etwas positiv verändert in der Politikberatung?
Zumindest dann nicht, wenn wir nicht die Strukturen anpassen. Im wissenschaftlichen System gibt es ja durchaus auch unterschiedlich nahe Verhältnisse zwischen verschiedenen Akteuren und der Politik. So sind junge Wissenschaftler*innen natürlich weiter weg, als die Hochschulleitungen. Für die kann es negative Folgen haben, sich in der Politikberatung zu engagieren, weil ein Engagement in diesem Bereich momentan noch ein Add-On zu den sonstigen Aufgaben ist. Sobald ihr Thema in der öffentlichen Debatte nicht mehr total akut ist, werden sie sich also zurückziehen müssen. Dann gibt es die Beratungsprofis, die sich darauf stärker eingelassen haben und sich auch stärker einlassen können, weil sie in ihrer Karriere schon einen Schritt weiter sind. Dadurch entsteht eine Spaltung in der Wissenschaft und eigentlich wollen wir ja eine Vielfalt der Stimmen in der Politikberatung und die werden wir nicht erreichen, wenn wir so weitermachen wie bisher.
Das ähnelt der aktuellen Situation in der Wissenschaftskommunikation allgemein. Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht, dass sich am System Politikberatung etwas ändert?
Was müsste denn passieren, damit sich beide Seiten besser verstehen?
Es wäre wichtig, innerhalb der Wissenschaft eine gewisse political literacy auszubilden und in der Politik eben eine scientific literacy, damit ein besseres gegenseitiges Verständnis entsteht. Davon würden alle Seiten profitieren.
Träumen Sie doch mal. Wie würde ideale wissenschaftliche Politikberatung aussehen?
Ideale Politikberatung würde diverser sein und viel früher beginnen. Diversität haben wir ja bereits diskutiert und dieser Punkt ist in der Corona-Pandemie sehr deutlich geworden. Der zweite Punkt ist, dass sie sehr viel früher ansetzen würde und nicht erst in der Krise. Ein Teil des Problems, dass die Beratung nicht schon diverser ist, ist, dass die Politik für sich allein beansprucht, die Fragen zu stellen. Beide Seiten haben es da versäumt, über die richtigen Fragen zu diskutieren und somit zu etablieren, was man eigentlich Wissen muss.
Ein solcher Austausch funktioniert nur in einem agilen System, indem sich beide Seiten kennen. Insofern sind für mich die drei wesentlichen Punkte wichtig: frühzeitig, divers und iterativ. Um dies zu realisieren, braucht es Räume, in denen so ein Diskurs stattfinden kann.
Während der Pandemie hat wissenschaftliche Politikberatung in meiner Wahrnehmung vor allem national und regional stattgefunden, müsste sie nicht global gedacht werden?
In Deutschland klaffte zudem eine Lücke zwischen den nationalen Strategien und der regionalen Ebene. Zwar gab es nationale Strategien und die Bundesländer waren involviert, aber die Übersetzung der Beschlüsse und Empfehlungen in die Regionen hat häufig nicht funktioniert.