Ein Kommentar der Hochschul-Pressesprecher Ulrich Marsch und Julia Wandt zum WÖM-Papier.
Ein kontroverses Thema darf auch kontrovers diskutiert werden
Sich eines so rasch verändernden und emotionalisierenden Themas wie Social Media anzunehmen, ist anzuerkennen und verdient Respekt. Spätestens seit den jüngsten Regierungswechseln wird uns allen bewusst, welchen Einfluss oder gar Macht Social Media haben und wie es gelingt, mit Social Media Gewohnheiten und vertraute Verhaltensweisen in Frage zu stellen. Das Mandat der Akademien, sich grundsätzlich zu Wissenschaft und Veränderungen in der Gesellschaft zu äußern, wird erneut erfüllt. Dabei kann es nicht ausbleiben, dass ein kontroverses Thema auch kontrovers diskutiert wird – zumal dabei auch Gewohnheiten verschiedener Generationen aufeinandertreffen, um nicht zu sagen -prallen. Verstärkt wird dieser Effekt zudem dadurch, dass auch die Rolle des Staates von Wissenschaftlern, Kommunikatoren und Journalisten unterschiedlich gesehen wird.
Während sich die Empfehlungen der Akademien mehr auf staatliche Eingriffe wie medienrechtliche Regulierung, den Aufbau neuer Einrichtungen ähnlich der Landesmedienanstalten und eine staatliche Förderung des Wissenschaftsjournalismus richten, zielen viele Meinungen eher auf das Gegenteil: Das Bewahren freier, unabhängiger journalistischer Grundsätze und sich selbstverpflichtende Mechanismen der Systeme wie z. B. verbindliche Qualitätsstandards, zu denen sich diese bekennen. Auch wir sehen hier einen Widerspruch: Der Staat garantiert die Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft von sich selbst, aber Kommunikation über Wissenschaft soll mit staatlichen Maßnahmen und neuen halb-staatlichen Einrichtungen reguliert werden? Stünde es einem liberalen Staat nicht besser an, zunächst niederschwellige Mechanismen zu nutzen, wie z. B. im Rahmen einer DFG-Regelung analog der Selbstverpflichtung zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ (1998) – sprich antragsberechtigte Einrichtungen verpflichten sich selbst zu Grundsätzen redlicher Wissenschaftskommunikation, für die es bereits bewährte Vorschläge gibt (wie z. B. die Arbeiten des Siggener Kreises, getragen vom Bundesverband Hochschulkommunikation und Wissenschaft im Dialog). So entspräche es auch dem Selbstverständnis wissenschaftlicher Einrichtungen viel eher, sich selbst zu einer faktenbasierten, wahrhaftigen und transparenten Kommunikation zu bekennen als sich vom Staat zu einer – im Extremfall wesensfremden – Regelung zwingen zu lassen.
Zwei Dinge haben uns nachhaltig irritiert: Dass das Idealbild einer vergangenen Wissenschaftskommunikation früherer Jahrzehnte gezaubert wird, das wir so aus dieser Zeit nicht kennen – denkt man an Beispiele wie das der genetisch veränderten Organismen zur Insulinproduktion (1980er Jahre). Und dass mit einem Medien-Typus wie den Social Media, mit dem Menschen wie nie zuvor unmittelbar und zeitgleich weltweit kommunizieren und miteinander in den Dialog treten können, nach nur kurzer Zeit bereits durch staatliche Zwangsmaßnahmen eingedämmt werden soll. Sind es nicht genau diese Verhaltensweisen, die immer mehr Menschen das Gefühl geben, nicht mitreden und mitbestimmen zu können – mit den Effekten, die wir in den westlichen Demokratien zurzeit mit Sorge beobachten?
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.
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WÖM:
- Teil 1: Zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den Medien
- Teil 2: Social Media und digitale Wissenschaftskommunikation (PDF)
Weitere Beiträge zu WÖM2 stellte Marcus Anhäuser in einer Linkliste auf seinem Blog zusammen.