Eine Studie zum Ursprung des Corona-Virus der Universität Hamburg sorgte in der vergangenen Woche für Wirbel. Dabei gibt es Kritik auf inhaltlicher und formaler Ebene, aber auch an der Art und Weise der Kommunikation. Wir haben die Universität selbst und Akteur*innen aus der Wissenschaftskommunikation um Einschätzung gebeten.
„Ein großer Schaden für das Vertrauen in die Wissenschaft“
Kurz nach der Veröffentlichung einer Pressemitteilung der Universität Hamburg ist die Diskussion auf Twitter darüber schon in vollem Gange – die in den Medien folgt am nächsten Tag1. Der Titel: „Studie zum Ursprung der Coronavirus-Pandemie veröffentlicht“. Ein Thema, das in jedem Fall einen Nachrichtenwert hat. Die Reaktionen sind vor allem kritisch und das gleich auf mehreren Ebenen: formal, inhaltlich und aus Sicht der Wissenschaftskommunikation. Letztere interessiert hier natürlich besonders. Aber der Reihe nach.
Breit angelegte Diskussion als Ziel: Prof. Roland Wiesendanger hat eine Studie veröffentlicht, in der er den Ursprung der Coronavirus-Pandemie beleuchtet. Sein Ergebnis: Zahl und Qualität der Indizien sprechen für einen Laborunfall. https://t.co/6XurnDBHAj
— Universität Hamburg (@unihh) February 18, 2021
Roland Wiesendanger, Professor für Nanostruktur und Festkörperphysik an der Universität Hamburg, hat die Arbeit im Februar 2021 auf ResearchGate veröffentlicht. Es ist ein Preprint und wurde bisher noch nicht peer reviewed und damit nicht von Fachkolleg*innen eingeordnet und bewertet. Die Pressestelle der Universität weist auch im ersten Absatz der Mitteilung darauf hin. Dort steht: „Sie liefert keine hochwissenschaftlichen Beweise“. Die fachliche Diskussion der Inhalte läuft dementsprechend gerade erst an und wird nun öffentlich geführt, etwa auch in dieser Stellungnahme der Coronavirus Structural Task Force der Universität Hamburg selbst. Dazu kommt auch Kritik an der formalen Ausführung und den wissenschaftlichen Standards der Arbeit. Ein Beispiel ist etwa, dass Youtube-Videos als Quellen eingeführt werden, aber nicht nur. Eine Kritik, die Wiesendanger selbst bereits kommen sah: „Das ist keine Studie für wissenschaftliche Fachpublikationen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Doch mit genau dieser Bezeichnung, als „Studie“, wurde die Arbeit dennoch mit offiziellem Uni Hamburg-Logo publiziert.
Offene Fragen zur Wissenschaftskommunikation
Darum gibt es auch an die Kommunikationsabteilung der Universität Hamburg viele Fragen: Sollte eine Arbeit in diesem Stadium der wissenschaftlichen Diskussion als Studie kommuniziert werden? Was sind Beweise, die nicht „hochwissenschaftlich“ sind? Überprüft die Pressestelle Inhalte und Methodik der von ihr kommunizierten Studien? Und wenn nicht, sollte sie das nicht eigentlich tun, bevor diese mit dem Absender der Universität versehen werden? Oder obliegt das allein der Wissenschaftscommunity und dem Wissenschaftsjournalismus?
Die Einladung zu einem Gespräch darüber hat die Universität Hamburg mit einem Statement beantwortet:
„Als öffentliche Einrichtung ist die Universität Hamburg dazu verpflichtet, Studien ihrer Wissenschaftler*innen nicht inhaltlich zu bewerten, sondern diese für den Austausch und die Diskussion in der Fachcommunity oder Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, was sie mit dem Versand von Pressemitteilungen tut. Wissenschaftliche Pressemitteilungen müssen daran gemessen werden, ob ihr Inhalt von öffentlichem Interesse ist.
Die Forschungsfreiheit zählt im Zusammenhang mit der Wissenschaftsfreiheit und der Freiheit der Lehre gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes zu den Grundrechten. Jede*r Wissenschaftler*in hat demnach das Recht, unabhängig von ihrem*seinem Fachgebiet Forschung zu betreiben und die gewonnenen Erkenntnisse zu veröffentlichen.“
Eine Haltung, die Julia Wandt, Vorsitzende des Bundesverbandes Hochschulkommunikation, kritisch findet. Sie schreibt:
„Die Forschungsfreiheit ist ein ganz zentrales Grundrecht, das höchsten Schutz genießen muss. Das steht außer Frage. In der aktuellen Debatte geht es aber um etwas anderes: Hier geht es um Wissenschaftskommunikation, die ebenso hohen Qualitätsansprüchen genügen muss, wie die Wissenschaft selbst. Eine wesentliche Voraussetzung für Wissenschaftskommunikation ist, dass eine wissenschaftliche Basis vorhanden sein muss. Es müssen konkrete, fundierte wissenschaftliche Inhalte – zum Beispiel durch eine peer-reviewte Veröffentlichung, aber natürlich auch in anderer Form – vorliegen, die kommuniziert werden können. Ohne diese fundierten Inhalte sollte keine Kommunikation stattfinden: Wissenschaftskommunikation ist kein Selbstzweck, und der Einfluss, den die Art und Weise von Kommunikation auf die Wissenschaft selbst hat, ist immens. Hierfür sollte an wissenschaftlichen Einrichtungen ein Bewusstsein, ein Sensor vorhanden sein. Insbesondere dann, wenn Wissenschaft so starke Beachtung findet wie zurzeit. Die Verantwortung, die Universitäten und damit auch ihre Kommunikationsabteilungen für die Wissenschaft haben, ist sehr groß. Und dass seitens Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation bereits seit längerer Zeit gefordert wird, dass verstärkt auch die Methoden, Qualitätskriterien und Abläufe von wissenschaftlichen Prozessen selbst Inhalt der Kommunikation sein sollten, da dies das Vertrauen in die Wissenschaft stärke, zeigt, welche Bedeutung Begriffe wie „Studie“ und „interdisziplinärer wissenschaftlicher Ansatz“ haben.
Offene Fragen gibt es auch an die Herausgeber*innen der Leitlinien für gute Wissenschafts-PR. So wird diskutiert, ob diese für solche Situationen noch mehr Hilfestellung geben sollten.
Habe gerade mal als Übung die Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR vom Siggener Kreis und @wissimdialog hervorgeholt und geschaut, was @unihh da an Orientierung hätte bekommen können. Mein Eindruck ist aber, dass die Schöpfer*innen der Leitlinien so einen krassen Fall von 1/ https://t.co/6JqcUAJtGz
— Markus Pössel (@mpoessel) February 18, 2021
Markus Weißkopf, Geschäftsführer von Wissenschaft im Dialog* und Mitherausgeber der Leitlinien für gute Wissenschafts-PR, sagt dazu:
„Es ist zu vermuten, dass insgesamt durch diesen Vorgang ein großer Schaden für die Universität, aber auch für das Vertrauen in die Wissenschaft selbst entstanden ist. Fraglich ist natürlich, wie der Prozess uniintern abgelaufen ist und ob sich die Pressestelle beispielsweise gegen eine Veröffentlichung in dieser Weise ausgesprochen hatte und dann überstimmt wurde. Letztlich ist aber klar, dass für die Öffentlichkeit und auch anscheinend für einige Medien an dieser Stelle nicht transparent wurde, dass die sogenannte Studie eben keine wissenschaftliche Arbeit ist und nicht den notwendigen Standards genügt. Damit wäre die Uni Hamburg eben auch nicht „verpflichtet“ gewesen, diese Arbeit zu veröffentlichen, sondern hätte diese eher private Meinungsäußerung eines Wissenschaftlers entweder entsprechend einordnen oder gar nicht über ihre Kanäle veröffentlichen sollen.
*Wissenschaft in Dialog ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.