Warum vertrauen so viele Menschen im Corona-Jahr in die Wissenschaft, ein kleiner – zunehmend lauter – Teil hingegen überhaupt nicht? Sozialpsychologe und Autoritarismusforscher Oliver Decker kommentiert die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers 2020 und erklärt die gemeinsamen Mechanismen hinter Vertrauen und Misstrauen in etablierte Institutionen.
„Ein fundamentales Bedürfnis nach Handlungsfähigkeit und Kontrolle“
Herr Decker, nach dem Corona-Spezial im Frühjahr wurde jetzt das jährliche Wissenschaftsbarometer veröffentlicht. Welche Ergebnisse finden Sie bemerkenswert?
Was mir vor allem aufgefallen ist – auch vor dem Hintergrund unserer Forschungen in der Leipziger-Autoritarismusstudie – ist, dass die Gruppe derjenigen, die der AFD nahestehen, am ehesten misstrauisch gegenüber Informationen sind, die sie von offizieller Seite bekommen. Das lässt sich aus der Übersichtsbroschüre zum Wissenschaftsbarometer nicht unbedingt erkennen, aber aus dem vertiefenden Tabellenband (S. 74 und 164ff.). Dieses Misstrauen sieht man nicht nur in Bezug auf Politik, Journalismus und Wissenschaft, sondern auch auf Ärztinnen und Ärzte. Nicht einmal die Hälfte der AFD-nahen Gruppe gibt an, dass sie deren Informationen vertraut. Das ist ein großes Problem für die Demokratie. Wir kennen diese Denkmuster aus bestimmten rechtsautoritären Milieus, in denen generell das Vertrauen in offizielle Informationskanäle kaum noch vorhanden ist. Durch dieses starke Misstrauen in Institutionen ist eine Teilhabe an einer politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit für diese Gruppe nur noch schwer möglich, weil die Beiträge der Institutionen zu Debatten gar nicht anerkannt werden. So kann auch kein Dialog entstehen.
Wie erklären Sie sich dieses Misstrauen?
Menschen reagieren auf Bedrohungserleben mit einer Suche nach Autoritäten. Hier gibt es aber unterschiedliche Ansätze: Im besten Fall reagieren sie, indem sie eine Autorität aufsuchen, die ihre Kriterien transparent macht und ihre Grenzen benennt. Man könnte auch sagen, an ihrer Selbstabschaffung arbeitet, indem sie ihre Autorität nutzt, um sich überflüssig zu machen. Eine solche Autorität kann zum Beispiel die Ärztin sein, die ihren Patienten behandelt, damit er gesund wird. Dafür nimmt sie ihre Autorität in Anspruch, damit sie anschließend nicht mehr gebraucht wird. Eine solche Autorität ist im besten Fall auch die Wissenschaft. Ihr schenkt man Vertrauen in der Hoffnung: „Die können es gut richten und ich ordne mich diesen Autoritäten für eine Zeit unter.“ Das heißt konkret zum Beispiel, dass man die Coronaschutzmaßnahmen befolgt. Die hohen Vertrauenswerte in Wissenschaft und Forschung insgesamt, die das Wissenschaftsbarometer gezeigt hat, bestätigen dies. Das birgt aber auch immer eine Gefahr: Es ist verlockend, Verantwortung abzugeben. Eine Flucht aus der Freiheit zur Autorität. Und so ganz ist auch die gegenwärtige Situation nicht frei von dieser Gefahr.
Wenn also nun einige Bürgerinnen und Bürger gegen diese Autoritäten mobilisieren, sind sie dann nicht eher anti-autoritär?
Immerhin, manche wollen gesellschaftliche Institutionen nicht als Autoritäten anerkennen und zeigen etwa ein geringes Vertrauen in Wissenschaft und Politik oder auch Ärztinnen und Ärzte. Aber anti-autoritär sind sie nur auf den ersten Blick. Zum einen wollen viele von Ihnen „echte“ Autorität, also mächtige Führungsfiguren und dafür sind demokratisch auftretende und legitimierte Personen dann ungeeignet, sind sie doch „schwach“.
Wieder andere lösen ihr Bedürfnis nach Sicherheit durch eine weitere autoritäre Reaktion: Sie gehen von einem übermächtigen Gegner aus, der hinter der akuten Bedrohungslage steckt, im Hintergrund die Strippen zieht und auch die offiziellen Institutionen beeinflusst, weshalb das auch keine wirklichen Autoritäten sind. Kurz: Man glaubt an eine Verschwörung.
Warum greifen Menschen überhaupt auf Verschwörungsmythen zurück?
Es klingt paradox, aber genau diese Projektion schafft Sicherheit: Es ist der Glaube an solche Verschwörungsmythen, der die Welt dann übersichtlich macht und man kann sich selbst den sogenannten Erweckungsmoment zugestehen. Das gibt einem das Gefühl, zu wissen, auf welcher Seite man steht und gibt einem zu einem gewissen Grad die Kontrolle zurück. Es führt aber auch zu einem Ruf nach anderen oder auch stärkeren Autoritäten, in die man sein Vertrauen setzen kann.
Warum ist Corona ein Auslöser dafür?
Gibt es gemeinsame psychologischen Mechanismen hinter dem Misstrauen in Institutionen, Verschwörungsglaube und autoritären Einstellungen?
Eine weitere Reaktion kann die autoritäre Aggression sein, also eine Wut, die sich in der Abwertung von bestimmten Gruppen, einer Art Sündenbock, niederschlägt. Dadurch wird die Ursache für die Situation ganz klar nach außen verlegt und man selbst gehört zu einer In-Group. Die so legitimierte Aggression gegen diese Gruppen verleiht wieder eigene Handlungsfähigkeit. Hier werden zum Beispiel Politik, Medien oder Wissenschaft zu einer fremden Elite erklärt, der man misstrauen muss, weil sie durch andere gesteuert werden. Das haben wir auch in unseren Studien erhoben und die Ergebnisse zeigen das in bestimmten Bevölkerungsgruppen ganz deutlich1.
Wie können Wissenschaft, Politik oder Journalismus mit diesem Misstrauen umgehen?
Gefährlich für die Politik auf der anderen Seite ist es, dass es in der Pandemie durchaus verlockend erscheint, Verbote durch autoritäre Rhetorik zu begründen. Das kann sogar zu einer Legitimation führen, aber schafft auch Aggression gegen scheinbar Abweichende, gegen Menschen, die sich etwa nicht an die Regeln halten. Im Ernstfall müssen Entscheidungen zwar schnell getroffen werden. Wenn man aber autoritäre Maßnahmen vorgibt und auf deren Einhaltung hofft, haben die immer Verrechnungskosten. Und in einer Demokratie ist die Rolle der Autorität auch nicht durchzuhalten – wenn der Kaiser dann doch nackt ist, ist die Wut nur größer.
*Wissenschaft im Dialog ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.
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