Die Suche nach einem geeigneten Standort für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle ist neben der geologischen auch eine gesellschaftspolitische Herausforderung. Ein Begleitgremium soll Bürger*innen in das Auswahlverfahren einbinden. Im Gastbeitrag erklärt der Generalsekretär Venio Quinque, wie das die Akzeptanz sichern soll.
Ein Atommüllendlager braucht ein solides Wirtsgestein – und Vertrauen
Wohin mit dem Atommüll? Die Suche nach einer Antwort hat bundesdeutsche Zeitgeschichte geschrieben: Die Bilder von protestierenden Menschen im niedersächsischen Gorleben, wo Ende der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ entstehen sollte, haben sich in das gesellschaftliche Gedächtnis eingeprägt.
Zeitsprung in die Gegenwart: Finnland baut auf einer Insel vor seiner Westküste das erste atomare Endlager der Welt. Und Schwedens Regierung hat vor wenigen Wochen den Bau eines Endlagers im südschwedischen Forsmark genehmigt. Die Gemeinde hatte sich darum beworben und erhielt den Zuschlag. In Deutschland werden bis Ende 2022 die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet.
Ein deutsches Atommüllendlager gibt es immer noch nicht. Aber ein Standort dafür soll bis 2031 gefunden sein für die im Inland verursachten hochradioaktiven Abfälle. In einem partizipativen, wissenschaftsbasierten, transparenten, selbsthinterfragenden und lernenden Verfahren. So will es das Gesetz.
Die Proteste vor 45 Jahren haben etwas bewirkt: Während die Entwicklungen um Gorleben Misstrauen in staatliches Handeln gesät haben, soll nun Vertrauen aufgebaut werden, um den Prozess der Standortsuche zu unterstützen.
Die Rolle des Nationalen Begleitgremiums bei der Endlagersuche
Vertrauen wächst nicht aus dem Nichts. Damit es entstehen kann, wurde das Nationale Begleitgremium (NBG) geschaffen. Das NBG ist pluralistisch zusammengesetzt: Unter den Mitgliedern sind unter anderem Wissenschaftler*innen, Studierende, frühere Politiker und interessierte Bürger*innen, die die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln sollen.
Aufgaben und Ziel des Nationalen Begleitgremiums
Das Nationale Begleitgremium ist ein pluralistisch zusammengesetztes Gremium. Seine Aufgabe ist die vermittelnde und unabhängige Begleitung des Standortauswahlverfahrens für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle, insbesondere der Öffentlichkeitsbeteiligung, mit dem Ziel, so Vertrauen in die Verfahrensdurchführung zu ermöglichen. Das Begleitgremium kann sich unabhängig und wissenschaftlich mit sämtlichen Fragestellungen, die das Standortauswahlverfahren betreffen, befassen. Es kann die zuständigen Institutionen jederzeit befragen und Stellungnahmen abgeben. Es kann dem Deutschen Bundestag weitere Empfehlungen zum Standortauswahlverfahren geben.
Seit seiner Gründung beobachtet das NBG den gesamten Prozess. Es tagt einmal im Monat öffentlich, um anstehende Fragen zu bearbeiten, beispielsweise wie die aktuellen Planungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Jahr 2022 aussehen. Kontroverse Themen werden zudem mit Köpfen aus Politik und Gesellschaft in Streitgesprächen debattiert und live auf Youtube übertragen. Zudem macht das NBG Vorschläge, wie das Verfahren verbessert werden kann. Es hat ein Akteneinsichtsrecht, beispielsweise gegenüber der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE). Das ist das Unternehmen, das einen Standort für ein Atommüllendlager finden soll. Zudem können vom NBG beauftragte Gutachter*innen und Sachverständige Einblick nehmen.
Die Begleitung der Öffentlichkeitsbeteiligung: Kernauftrag des NBG
Das ist viel Arbeit für die 18 NBG-Ehrenamtler*innen: Zwölf Mitglieder sind anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Sie sind von Bundestag und Bundesrat auf Grundlage eines gleichlautenden Wahlvorschlags gewählt worden. Weitere sechs Mitglieder des NBG sind Bürger*innen, die in einem dafür geeigneten Verfahren der Bürger*innenbeteiligung ausgewählt und von der Bundesumweltministerin ernannt worden sind. Darunter zwei Vertreter*innen der jungen Generation. Die Amtszeit eines Mitgliedes beträgt drei Jahre. Eine Wiederberufung ist zweimal möglich.
Öffentlichkeitsbeteiligung bei einem Projekt, das mindestens eine Million Jahre Laufzeit hat. Geht das überhaupt? Man muss es sich einmal vorstellen: Vor einer Million Jahren bevölkerte der homo erectus den Planeten und nutzte den Faustkeil als Werkzeug. Wie werden die Menschen in einer Million Jahren auf uns, homo sapiens sapiens, und unsere atomare Hinterlassenschaft schauen?
„Überraschung: Gorleben wird kein Atommüllendlager“, „Bleibt Ihr Wohnort vom Atommüll verschont?“, „Das Experiment“
Dies ist nur eine kleine Auswahl der Schlagzeilen vom 28. September 2020. Am selben Tag hatte die BGE den sogenannten Zwischenbericht Teilgebiete herausgegeben. Das 444 Seiten starke Dokument enthält jene Gebiete, die für die Endlagerung von hochradioaktiven Abfällen ungeeignet sind. Und es beschreibt die Gebiete, „die eine günstige geologische Gesamtsituation dafür erwarten lassen“. Diese sollen im weiteren Verfahren näher betrachtet werden.
Die immense Aufmerksamkeit der Medien – das Thema schaffte es auch in die Tagesschau – stand in einem gewissen Gegensatz zur Folgereaktion in der breiten Öffentlichkeit: Eine große Welle der Empörung blieb aus. Was daran gelegen haben mag, dass 90 Teilgebiete mit einer Gesamtfläche von rund 240.000 Quadratkilometern ausgewiesen waren, mithin 54 Prozent der Landesfläche der Bundesrepublik. Bei dieser großen Fläche fühlten sich offenkundig noch zu wenige Menschen persönlich betroffen, um sich einzubringen. Partizipations-Fachleute sprechen hier vom Beteiligungsparadoxon.
Umso gespannter war das NBG, wie sich die Öffentlichkeitsbeteiligung in der Folge entwickelt. Hier sieht das Standortauswahlgesetz mehrere Meilensteine vor: Der erste wurde im vergangenen Jahr erreicht. Der Zwischenbericht Teilgebiete wurde von einer Fachkonferenz über das Jahr 2021 hinweg an drei mehrtägigen Terminen diskutiert. Einberufen wurde diese Fachkonferenz Teilgebiete vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), das als Trägerin für die Öffentlichkeitsbeteiligung zuständig ist. Teilnehmende waren Bürger*innen, Vertreter*innen der Gebietskörperschaften ermittelten Teilgebiete, Menschen aus gesellschaftlichen Organisationen sowie Wissenschaftler*innen.
Das Nationale Begleitgremium nahm als Beobachterin an den Konferenzterminen teil und tauschte sich mit den aktiven Menschen aus, um ihre Eindrücke über Partizipationsmöglichkeiten aufzunehmen. Im Herbst 2021 veranstaltete das NBG eine Konferenz, bei der die Erkenntnisse zur Partizipation gebündelt und in Empfehlungen überführt wurden.
Wie viel Einfluss hat die Öffentlichkeit in diesem Prozess?
Das Ziel der Öffentlichkeitsbeteiligung im Standortauswahlverfahren ist es, eine Lösung zu finden, die in einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird. Am Ende sollen auch die von einem Endlager Betroffenen das Ergebnis zumindest tolerieren können. Wie sich dies praktisch darstellt, wird man bis 2031 erleben: auf Regionalkonferenzen und bei einem künftigen Rat der Regionen. Das wird allerdings noch Jahre dauern.
Was noch fehlt: Eine Strategie für junge Menschen
Das NBG hat nicht nur zwei Mitglieder für die junge Generation, es hat auch mehrfach betont, dass eine Strategie zur Beteiligung der jungen Generation entwickelt werden soll. Immerhin gibt es mittlerweile ein erstes Netzwerk junger Menschen, die sich in den Prozess einbringen möchten.
Größtmögliche Sicherheit. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es auch Unsicherheiten und Risiken gibt. Wie sollen diese kommuniziert und übersetzt werden, um informiertes Vertrauen zu bilden?
Risikokommunikation bei großen Unsicherheiten für eine ganze Gesellschaft zu betreiben ist eine schwierige Aufgabe. Das zeigt die Coronapandemie. Bei der Standortsuche ist der Begriff „bestmögliche Sicherheit“ ein Beispiel dafür: Was bedeutet dies über einen Zeitraum von einer Millionen Jahre? Vertrauen kann nur gelingen, wenn die Menschen verstehen, worum es in den komplexen Fragen geht.
Hier muss viel übersetzt werden, damit nicht nur die Expert*innen sachkundig mitreden können. Wie soll man als „Normalbürger*in“ sonst auf etwas vertrauen, wenn man es nicht versteht?
Am Ende – das steht fest – muss ein Standort für ein Atommüllendlager gefunden sein. Mit dem die Menschen leben können.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.