Im Wissenschaftsjahr 2022 können Bürger*innen Forschungsfragen einbringen. Ein Science Panel und ein Citizen Panel vertreten dabei die Seite der Wissenschaft und der Gesellschaft. Im gemeinsamen Interview sprechen die Beteiligten Antje Boetius und Ulrike Dittmann über ihre Erwartungen an den Prozess.
„Durch Partizipation können Wissenschaft und Bürger*innen voneinander lernen“
Frau Dittmann, Sie sollen beim Wissenschaftsjahr die Sicht der Bürger*innen vertreten. Wie möchten Sie dabei vorgehen?
Ulrike Dittmann: Ich habe keinen blassen Schimmer von Wissenschaft oder Forschung. Ich sehe mich in der Rolle des – in Anführungsstrichen – kleinen Bürgers: als Multiplikatorin, als Übersetzerin, als Mittlerin in die Richtung der Bürger*innen. Ich kann den Mitgliedern des Science Panel wie zum Beispiel Frau Boetius erklären, was ein*e Bürger*in mit einer speziellen Frage meinen könnte.
Und wo sehen Sie Ihre Aufgaben als Wissenschaftlerin und Mitglied des Science Panels in diesem Projekt, Frau Boetius?
Antje Boetius: Wir Panelmitglieder gehen in Jurys, wir unterstützen das Wissenschaftsjahr mit unseren Netzwerken. Als Wissenschaftler*innen beteiligen wir uns an verschiedenen Aktionen und suchen Antworten, finden dabei sicher auch viele neue Fragen. Persönlich möchte ich weiter dazulernen, wie man in der Wissenschaft näher an den Bürger*innen dran sein kann, aber ihnen auch näherbringen, wie wichtig Wissenschaft für ihre Zukunft ist.
Haben Sie schon Erfahrungen mit partizipativen Wissenschaftsprojekten gemacht?
Boetius: Ich habe schon eine Reihe von Projekten begleitet, in denen mit Bürger*innen zusammen geforscht wurde: zum Beispiel in gemeinsamer Probennahme am Tag des Ozeans oder in der Biodiversitätsforschung, bei Artenerkennung. Ich habe auch selbst an Strategiebildung und Begutachtungen zu Bürgerwissenschaftsprojekten teilgenommen, zum Beispiel im Naturkundemuseum Berlin, bei Wissenschaft im Dialog oder im Futurium.
Dittmann: Ich wurde von einem Callcenter kontaktiert und gefragt, ob ich bei dem Citizen Panel mitmachen möchte. Den Begriff musste ich googeln, darunter konnte ich mir nichts vorstellen. Danach habe ich mir das Projekt näher angeschaut und mich an das Thema herangetastet. Ich habe herausgefunden, welche Aufgabe das Citizen Panel hat: Bürger*innen können Fragen stellen, diese werden in Themenbereiche eingegliedert. Das Citizen Panel clustert die Themen und fasst ähnliche zu komplexeren Fragen zusammen. Wenn jemand fragt, warum es immer so kalt ist, und eine andere Person möchte wissen, warum der Sommer 2020 so warm war und der von 2021 nicht mehr, würden wir das in eine Frage zum Klima zusammenfassen. Wir geben außerdem eine Einschätzung ab, wie eine Frage gemeint sein könnte.
Ein zentrales Element des Wissenschaftsjahrs 2022 ist ein Ideenlauf mit dem Motto #MeineFragefürdieWissenschaft, den die Citizen und Science Panels begleiten. Dabei sollen Bürger*innen Fragen an die Wissenschaft stellen. Welche Herausforderungen sehen Sie dabei?
Dittmann: Wir müssen schon jetzt anstoßen, dass Fragen gestellt werden. Dafür muss eine große Bandbreite von Menschen überhaupt wissen, dass sie Fragen stellen kann und wie. In den Foren auf der Wissenschaftsjahr-Website sind dazu schon erste Fragen aufgekommen: Wie stelle ich denn eine Frage? Wie genau müssen diese Fragen ausformuliert sein? Wenn ich das entscheiden müsste: Ich finde, Kinder haben eine herrliche Art und Weise zu fragen. Ich habe einen Neffen, der fragt immer: Warum? Das finde ich spannend.
Ist die Partizipation von Bürger*innen in der Wissenschaft immer eine gute Idee?
Boetius: Man darf sich das nicht so vorstellen, dass grundsätzlich in der Forschung bei jedem Laborprozess und jeder Entwicklung immer Bürger*innen beteiligt sein sollen. Sondern es geht darum, dass man Beteiligung dort nutzt, wo sie zu einer Verbesserung von Forschung und Bürger*innenwissen führt. Natürlich gehört auch einfach Ausprobieren dann dazu. Wir haben in der Transformation, vor der wir stehen, den Bedarf, dass Wissen geteilt und in die Praxis geführt wird – und zwar in allen Bereichen, nicht nur ökologisch, auch sozial. Diese Schnittstelle zwischen Wissen und Handeln kann nur gelingen, wenn es einen Partizipationsprozess gibt, in dem Forschende und andere Akteure voneinander lernen.
Boetius: Ich glaube, das geht in beide Dimensionen. Oft ist es in der Wissenschaft auch so, dass zunächst disziplinär und damit leider manchmal zu einfach gedacht wird und über die Bürger*innen erst die Komplexität reinkommt. Was es braucht, ist der Perspektivwechsel, der durch Zusammenarbeit erreicht wird.
Boetius: Partizipation ist sehr zeit- und ressourcenaufwendig. In der Wissenschaftspolitik haben wir oft das Missverständnis, dass man das nebenher organisieren könnte. Das ist aber sicher nicht der Fall. Denn es funktioniert nur unter bestimmten Maßgaben von Qualitätsmanagement. Und sobald eine Bürger*innenpartizipation aufgebaut wird, sollten die Bürger*innen auch erfahren, was aus ihrem Wissen wird. Solche Projekte müssen unterstützt und besonders gefördert werden, doch das ist häufig nicht oder nur kurzfristig vorgesehen.
Was erhoffen Sie sich vom Wissenschaftsjahr 2022?
Dittmann: Ein besseres Verständnis untereinander.
Boetius: Und mehr Praxiserfahrung. Wie geht Partizipation und was fängt man überhaupt mit den Fragen von Bürger*innen an? Ich bin da einfach neugierig darauf. Man muss immer Experimente wagen.
Dittmann: In einige Bereiche der Wissenschaft muss die Bürger*innenbeteiligung noch besser eingegliedert werden. Vielleicht lernt man aus diesem Wissenschaftsjahr und kann einen Prozess etablieren, um das zu vereinfachen. Ich denke, das wäre ein schöner Lerneffekt.