Julius Wesche forscht am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, kommuniziert auf verschiedenen Kanälen über seine Forschung und möchte andere dazu motivieren, es auch zu tun. Wieso, das erklärt er im Interview.
Drei Wünsche an Frau Karliczek
Herr Wesche, wieso finden Sie es wichtig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommunizieren?
Der erste und einfache Grund ist, dass Wissenschaft mit Steuergeldern finanziert wird. Von diesen Geldern lebt unsere Forschung. Trotzdem ist es so, dass die Kommunikation als letzter Schritt wissenschaftlicher Forschung zu kurz kommt im Forschungsvierklang aus Akquise, Bearbeitung, Reporting und Wissenspublikation. Der Grund dafür ist meiner Erfahrung nach ein Mangel an Anreizen, diesen letzten Schritt auch in aller Konsequenz zu gehen.
Dabei ist die Barriere zu kommunizieren heute so niedrig wie je zuvor, schließlich bieten die sozialen Medien oder auch das Internet allgemein völlig andere Möglichkeiten, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Trotzdem nutzen viele Forscherinnen und Forscher sie aus meiner Sicht noch nicht genügend.
Woran liegt das?
Die Argumente, die ich am häufigsten höre, sind Zeit, mangelnde Anreize und die Angst vor Kritik oder eben Shitstorms. Ich finde das total schade, denn in Zeiten von Fake News wäre es sinnvoll, wenn die Stimme der Wissenschaft noch lauter spricht. Um gehört zu werden, müssen wir ein Angebot schaffen, doch momentan gibt es dieses noch nicht in ausreichender Form – und vor allem ist es nicht divers genug hinsichtlich der Geschlechter.
Was meinen Sie genau?
Aus meiner Erfahrung haben es Frauen wesentlich schwerer als Männer, wenn sie an die Öffentlichkeit gehen. Sobald eine Frau sich exponiert, kriegt sie gerne mal doofe Sprüche oder auch unangemessene Avancen. So etwas passiert Männern in der Regel nicht. Frauen müssen also schlichtweg viel mehr Mist aushalten als Männer. Deshalb ist es für sie auch noch einmal eine größere Herausforderung zu kommunizieren. Und das ist natürlich ein Problem, weil so der Eindruck entsteht, dass die Wissenschaft vor allem männlich ist. Wir müssen in unserer Kommunikation die gesamte Wissenschaft abbilden.
Hat man als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler denn einen Nutzen, wenn man kommuniziert?
Sehr viele sogar. Einer, der vielleicht langfristig auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon überzeugt, ist eine Studie, die zeigt, dass Forschende, die über eine Veröffentlichung twittern, häufiger zitiert werden. Da Zitationen die Währung der Wissenschaft sind und man ohne sie selten vorankommen kann, sollte eine solche Studie einem zumindest zu denken geben, ob sich die Mühen, die Kommunikation kostet, sich nicht doch lohnen. Und auch hier ist es dann wichtig, dass die Forschenden, die twittern, möglichst divers sind. Dazu möchte ich beitragen und deshalb versuche ich auch immer wieder andere zu ermutigen, in die Öffentlichkeit zu treten.
Über welche Themen äußern Sie sich in den sozialen Medien vor allem?
Neben meiner eigenen Forschung versuche ich, vor allem meine Erfahrungen zu teilen und andere zu ermutigen, Dinge auszuprobieren. Am Anfang machen wir alle Fehler beim Kommunizieren auf Social Media. Aber das Schöne ist, dass am Anfang ohnehin niemand zuschaut. Die Zahlen der Followerinnen und Followern sind am Anfang einfach zu gering. Aber damit zum Beispiel der 24. Post oder die 24. Podcastfolge richtig gut wird, muss ich davor eben 23 produziert haben die vielleicht ein paar Defizite aufweisen. Aber auch das ist ok. Bisher habe ich noch keine Social-Media-Göttin vom Himmel fallen sehen. Es ist genau wie Fahrradfahren eine Fähigkeit, die wir alle lernen können.
Haben Sie einen Lieblingskanal oder ein Lieblingsformat?
Ich nutze relativ viele Kanäle. Twitter ist mir fast schon zu erwachsen geworden in letzter Zeit. Es hat viele nützliche Funktionen und ist sicher gut, wenn man einem Nachrichtenstream oder politischen Akteuren folgen möchte. Dafür nutze ich es auch selbst in erster Linie. Für meine eigene Kommunikation gefällt mir allerdings derzeit vor allem Instagram, weil es noch mehr den Charakter einer Spielwiese hat und sich ständig weiterentwickelt. Gerade die Stories bieten eine schöne Fläche zum Ausprobieren und dazu, mit Menschen direkt in Kontakt zu kommen. Meiner Meinung nach findet auf Instagram weniger Agendasetting statt und deshalb ist es vielleicht momentan mehr mein Kanal als Twitter es ist. Was ich auch spannend finde, ist die Entwicklung von Linkedin. Das ist ein wenig wie damals 2010 mit Facebook: Es fängt gerade erst an und ist noch nicht perfekt in der Funktionalität, aber es bewegt sich etwas und die Interaktion ist dort auch relativ gut.
Darüber hinaus mag ich aber auch immer noch Podcasts sehr gerne. Wir machen unseren jetzt ja erst etwas über vier Monate aber ich finde es super, dass man dort die Zeit für echte Gespräche hat. Ganz generell ist aber natürlich immer die Frage: Was und wen möchte ich erreichen, wenn man einen Kanal auswählt.
Aus den eigenen Reihen gibt es häufig nicht nur positives Feedback, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommunizieren. Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen gemacht?
Ich habe das große Glück, dass meine Vorgesetzten es alle gut finden. Die Forschung darf natürlich nicht auf der Strecke bleiben. Besonders positiv wahrgenommen wurde kürzlich, dass einer unserer Interviewpartner im Podcast folgend auf die Sendung ein Auftrag für eine Beratungsprojekt erhalten hat. Durch so etwas merken am Ende auch die Leute, die in Entscheidungspositionen sitzen, dass diese neue Art der Kommunikation durchaus Aufmerksamkeit generieren und etwas Positives bewegen kann.
Man kann es natürlich nicht in exakten Zeiten beziffern, weil ich vieles nebenbei mache. Wenn ich dusche, denke ich über den nächsten Post nach. Wenn ich jogge, baue ich im Kopf die Struktur für die nächste Podcastfolge. Vor allem Podcast nimmt natürlich recht viel Zeit in Anspruch. In diese Aktivitäten fließt also zweifelsohne einiges an Zeit. Aber es lohnt sich und deshalb glaube ich, dass Zeit nicht das Gegenargument sein sollte. Ich denke, dass es langfristig nicht ausreichen wird, gute Wissenschaft zu betreiben. Es ist wichtig, dass wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch darüber sprechen und Sichtbarkeit erzeugen – deshalb ist die Kommunikation aus meiner Sicht ein wichtiger Teil der Arbeit.
Was würden Sie sich im Bereich der Wissenschaftskommunikation wünschen?
Darüber denke ich schon länger nach und eigentlich würde ich gerne Frau Karliczek ein Video mit drei Wünschen zuschicken, wenn ich mit meiner Dissertation fertig bin. Diese drei Wünsche sind: Fördern, fordern und informieren.
Wir brauchen Anreize für Kommunikation. Wir brauchen Informationen darüber, was gute Wissenschaftskommunikation ist und es muss dann auch gefordert werden, dass die Mittel, die es bereits für den Bereich gibt, auch sinnvoll eingesetzt werden. Derzeit reicht es oft, wenn man eine Webseite baut und dann sagt, dass das den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit abdeckt. Natürlich ist eine Website toll, aber wenn auf der Website nichts passiert, dann ist sie so funktionell wie ein Bericht, der im Regal verstaubt. Kommunikation lebt von Interaktion. Also muss auch Wissenschaftskommunikation interaktive Elemente beinhalten. In den Bereich der Information gehört für mich, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stärker auf ihre Kommunikationsaufgaben vorbereitet werden und es mehr Fortbildungsangebote für sie gibt. Da würde ich mir weiteren Fortschritt wünschen – und zwar nachhaltigen.