Wissenschaftliche Themen kurz, prägnant und spannend erzählen – klingt gut, aber wie gelingt das? Helfen kann ein Hack aus dem Journalismus. Carline Mohr erklärt im Gastbeitrag, wie man mit dem „Küchenzuruf“ jedes Thema auf den Punkt bringt.
Dieser Satz bleibt garantiert im Kopf
Was ist der Küchenzuruf?
Der Küchenzuruf ist das, was Menschen sich über einen Inhalt weitererzählen. Das sind selten Details, Zahlen oder Argumente. Menschen erzählen sich das, was sie aufregt oder freut. Was sie berührt oder ihr eigenes Leben betrifft.
Das ist meistens zugespitzt, oft emotional. Manchmal trifft es nicht 100 % den eigentlichen Inhalt des Textes. Aber so funktioniert das Weitererzählen einer Geschichte. Und deshalb müsst ihr zuallererst den Küchenzuruf formulieren, bevor ihr anfangt, einen Post, ein Videoskript, einen Artikel oder eine Rede zu schreiben.
Beispiel für den Küchenzuruf
Erfunden hat den Küchenzuruf Stern-Gründer Hernri Nannen. Meine Version geht so (komplett ausgedacht):
Unternehmensberaterin Paula sitzt im Wohnzimmer ihrer lichtdurchfluteten Altbauwohnung und liest einen mehrseitigen Gastbeitrag von Bundeskanzler Olaf Scholz in der FAZ. Es geht um die Vor- und Nachteile eines progressiven Steuersystems. Ihr Mann Malik steht in der Küche und kocht Abendessen. „Worum geht’s in dem Artikel?“, fragt Malik. Und Paula ruft zurück: „Die in Berlin wollen schon wieder die Steuern erhöhen!“
Technik des Küchenzurufs
Was ist in diesem Beispiel passiert? Sozialdemokrat Olaf Scholz erklärt gewohnt langfädig, warum eine höhere Besteuerung von vermögenden Menschen die Mittelschicht entlasten würde. Paula fragt sich natürlich sofort, was das mit ihr zu tun hat. Sie und ihr Mann sind Spitzenverdiener. Sie haben keine Lust, höhere Steuern zu zahlen.
Paula ist also genervt vom Bundeskanzler, weshalb sie von „denen in Berlin” spricht. Und sie sagt das, was sie verstanden hat. Natürlich hat sie den Artikel komplett verkürzt, aber für sie ist das die Botschaft.
Tipp: Der Küchenzuruf ist nicht die Zusammenfassung des Inhalts in einem Satz.
Der Küchenzuruf geht noch eine Ebene höher, wird noch abstrakter. Er löst sich von jeglichem Fachsprech, komplizierten Formulierungen oder unnötigen Details. Er verrät, was die Leute wirklich beschäftigt.
Tipp: Beginnt jeden Küchenzuruf mit: „Wusstest du schon…?” oder: „Hast du schon gehört…?”
Küchenzuruf zum Mitmachen
Lasst es uns gemeinsam versuchen. Hier ist eine Meldung aus der Politik:
„In der Debatte über Konsequenzen aus dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich FDP-Chef Christian Lindner für soziale Einschnitte ausgesprochen. Das sei notwendig, um die Staatsfinanzen weiter zu konsolidieren und die Wirtschaft zu stabilisieren.”
Geht nun in zwei Schritten vor. Im ersten Schritt fasst ihr die Meldung in einem Satz und in verständlichen Worten zusammen. Lasst alles weg, was nicht unbedingt notwendig ist. Der Satz muss vom Wohnzimmer in die Küche gerufen werden können.
„Hast du schon gehört? Christian Lindner will Sozialleistungen kürzen, um unsere Wirtschaft zu retten.”
Jetzt kommt Schritt zwei. Überlegt, auf welcher Seite ihr steht. Findet ihr den Vorschlag gut oder nicht? Macht euch der Vorschlag eher sauer oder zufrieden? Je nachdem ergeben sich zwei völlig unterschiedliche Versionen des Küchenzurufs. (Überlegt gerne kurz selbst, lest nur weiter, wenn ihr die Auflösung sofort sehen wollt.)
Zuruf 1:
Hast du schon gehört? Der FDP ist die Wirtschaft mal wieder wichtiger als Menschen.
Oder, für alle, die den Vorstoß der FDP richtig und wichtig finden:
Zuruf 2:
Hast du schon gehört? Die FDP sind die einzigen, die sich trauen, Sozialschmarotzer in die Pflicht zu nehmen.
Tipp: Formuliert den Küchenzuruf ganz frei. Übertreibt, spitzt zu, dreht mal ganz auf. Ihr müsst den Küchenzuruf am Ende gar nicht wörtlich verwenden. Es geht viel mehr darum, zu verstehen, in welche Richtung ihr eure Geschichte erzählen wollt.
Die Kernbotschaft eures Textes oder Videos in einem Satz müsst ihr parat haben. Und zwar BEVOR ihr anfangt zu skripten. So gelingt der Perspektivwechsel auch besser: Die Leute merken sich nämlich häufig nicht das, was euch wichtig ist. Sie erzählen sich nicht das weiter, was ihr gerne hättet.
Der Küchenzuruf ist im Grunde genommen eine Übung, sich in die eigene Zielgruppe hineinzufühlen. Und wer das hinkriegt, erzählt Geschichten mit Relevanz und Reichweite.
Tipp: Absoluter spitzen Hack von der geschätzten Ann-Kathrin Gerstlauer von Text Hacks: Schickt euch selbst eine Sprachnachricht, in der ihr euch den Küchenzuruf zuruft!
Hier kommt das letzte Beispiel für den Küchenzuruf aus der Wissenschaft. Das ist die Meldung:
„Journalist*innen hatten während der Coronapandemie Schwierigkeiten, wissenschaftliche Unsicherheit adäquat zu vermitteln. Anfangs übernahmen sie oft unkritisch offizielle Informationen, wurden später aber analytischer, obwohl ihre Aufmerksamkeit für Unsicherheiten im Laufe der Zeit abnahm, was zu einem weniger differenzierten Journalismus führte.”
Wie könnte also der Küchenzuruf lauten? Was hat diese Meldung mit den ganz normalen Bürger*innen zu tun?
Mein Vorschlag: „Hast du schon gehört? In einer großen Krise wie der Pandemie kann man sich eigentlich nicht auf unabhängigen Journalismus verlassen.”
Eure KI-Version für den Küchenzuruf
Ich habe einen Prompt für Chat GPT gebaut und gebeten, auf Basis dieses Artikels, der bei Wissenschaftskommunikation.de zu finden ist, den Küchenzuruf zu formulieren. Ein Vorschlag der KI lautet:
„Hast du schon gehört? Die Journalisten haben uns im Stich gelassen, als es drauf ankam – keine kritischen Fragen, nur brav nachbeten.”
Ein bisschen härter formuliert, aber wir meinen dasselbe. Mit dem Prompt könnt ihr jeden beliebigen Text als Link oder Fließtext einfügen und bekommt: Eine Zusammenfassung in einem Satz, den Küchenzuruf in einer positiven und einer ablehnenden Version.
Zurecht legen Wissenschaftler*innen Wert darauf, dass ihre Forschungsergebnisse präzise und korrekt vermittelt werden. Deshalb ist der Küchenzuruf für euch eher eine Art Wegweiser, um sich in die Zielgruppe hineinzuversetzen und komplexe Sachverhalte auf das Wesentliche zu reduzieren. Probiert es einfach aus, viel Spaß dabei!
PROMPT zum copy und pasten:
Ausgangstext: LINK oder Text. **Deine Rolle:** Du bist meinungsstarke Journalistin, die über wissenschaftliche Themen schreibt. **Deine Aufgabe:** Schreibe auf der Basis der Quelle einen Satz, der zusammenfasst, was die Menschen an den Aussagen am meisten bewegt. Was hat die Studie mit ihrem Leben zu tun? Das Ziel ist es, einen komplexen Sachverhalt möglichst einfach und in leicht verständlicher Sprache in so wenigen Worten wie möglich auf den Punkt zu bringen. **Dein Stil:** Schreibe aktiv und knackig. **Vorgehen** 1. Schritt: Fasse im ersten Schritt den Text in einem Satz und in verständlichen Worten zusammen. Lasse alles weg, was nicht unbedingt notwendig ist. Schreibe, wie man spricht. [BEISPIELTEXT] für den ersten Schritt “Hast du schon gehört? Christian Lindner will Sozialleistungen kürzen, um unsere Wirtschaft zu retten.” 2. Schritt: Betrachte den Sachverhalt aus zwei Perspektiven. Ist der Vorschlag gut oder nicht? Macht der Vorschlag die Leser und Leserinnen eher sauer oder zufrieden? Schreibe drei Alternativen für einen zustimmenden Satz. Dann schreibe drei Alternativen für einen ablehenden Satz. Orientiere dich in Sprache, Stil, Struktur, Aufbau und Grammatik stark an [BEISPIELTEXT1] und [BEISPIELTEXT 2]. Formuliere den Küchenzuruf ganz frei. Übertreibe, spitze zu, drehe mal ganz auf. [BEISPIELTEXT 1] für einen zustimmenden Satz Hast du schon gehört? Die FDP sind die einzigen, die sich trauen, Sozialschmarotzer in die Pflicht zu nehmen. [BEISPIELTEXT 2] für einen ablehnenden Satz Hast du schon gehört? Der FDP ist die Wirtschaft mal wieder wichtiger als Menschen.
Die redaktionelle Verantwortung für diesen Beitrag lag bei Sabrina Schröder. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider. Der Beitrag basiert auf Artikeln, die Carline Mohr zuvor auf ihrem Blog veröffentlichte.