Foto: Ivan Ezhikoff, CC BY 2.0

Die Rückkehr des Vertrauens?

Wissenschaft und Politik haben in der Corona-Krise verlorenes Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewonnen. Was ist nötig, um diese Entwicklung auch über das Ende der Pandemie hinwegzuretten? Ein Essay des Sozialwissenschaftlers Michael Baurmann.

Die Corona-Pandemie ist ein disruptives historisches Ereignis. Es ist noch nicht erkennbar, wie sich weltweit das gesellschaftliche Leben durch dieses Ereignis ändern wird, welche dieser Änderungen dauerhaft sein werden – und welche von ihnen wünschenswert sind und welche nicht.

Zu den erstaunlichen und auch schon des Öfteren mit Erstaunen vermerkten Auswirkungen der Corona-Pandemie gehört in unserer Gesellschaft eine bemerkenswerte Rückkehr von Vertrauen – gerade in Bereichen, denen bereits veritable Vertrauenskrisen attestiert wurden. Vielleicht am eindrucksvollsten ist die Renaissance des politischen Vertrauens. Aber auch das Vertrauen in die Wissenschaft verzeichnet einen beachtlichen Aufschwung. Bürgerinnen und Bürger sind bereit, das eigene Wohlergehen in einer risikoreichen Situation in die Verantwortung von Politikerinnen und Politikern, von Virologinnen und Epidemiologen zu legen.

Allerdings ist das neu erworbene Vertrauen möglicherweise fragil. Aggressive Demonstrationen gegen Lock-down-Maßnahmen sowie die jüngsten Attacken auf die Wissenschaft sind vielleicht ein Indiz für einen erneuten Erosionsprozess. Sowohl die Wiederbelebung als auch die erneute Schwächung des Vertrauens könnten dabei mit der besonderen Situation zusammenhängen: In Krisenzeiten schlägt bekanntlich die vielzitierte Stunde der Exekutive und, wie man hinzufügen kann, im Falle schwer durchschaubarer Bedrohungen auch die Stunde der Expertinnen und Experten. Eine solche Gefahrenlage kann einen Vertrauensvorschuss motivieren mit der Bereitschaft, auch erhebliche Belastungen hinzunehmen. Diese Belastungen können auf die Dauer aber zu einer Überstrapazierung des neu erlangten Vertrauens führen.

Kein Wissen ohne Vertrauen

Die Rückkehr des Vertrauens in dieser Krisenzeit verweist jedenfalls auf eine grundlegende Existenzvoraussetzung einer modernen Wissensgesellschaft, die in den Jahren vor Corona unterminiert zu werden drohte: eine funktionierende „epistemische Arbeitsteilung“ bei Wissenserwerb und Wissensvermittlung, bei Informationssammlung und Informationsweitergabe.

Der fundamentale Bedarf an einer solchen Arbeitsteilung ergibt sich aus der elementaren Tatsache, dass der weit überwiegende Teil unseres Wissens nicht durch eigene Erfahrung und Überlegung erworben wird, sondern auf die Zeugnisse anderer zurückgeht; es ist Wissen aus zweiter Hand. Und in der überwiegenden Zahl der Fälle verfügen wir auch nicht über die Ressourcen, uns über die Wahrheit dieses Wissens ein eigenes Urteil zu bilden.

Wenn man aber auf Informationen angewiesen ist, ohne deren Wahrheitsgehalt überprüfen zu können, dann kann man anderen Personen als Quellen nur dann glauben, wenn man sie für vertrauenswürdig hält: auf ihre Fähigkeiten und Kenntnisse vertraut sowie auf ihre Motivation, ihr Wissen zuverlässig weiterzugeben.

Erschwert werden kann das Vertrauensverhältnis durch ein Kompetenzproblem: Personen ohne spezialisierte Kenntnisse mangelt es an der Möglichkeit, das Fachwissen von Expertinnen und Experten ohne weiteres selbst zu erwerben oder deren Aussagen zu überprüfen. Dieses Kompetenzproblem ist omnipräsent: Die meiste Zeit und in den meisten Bereichen sind alle Menschen Laien.

Auf dieses Problem wird in der Regel mit gesellschaftlich etablierten Kriterien reagiert, die vertrauenswürdige Fachleute für jedermann identifizierbar machen sollen: Zertifikate von Ausbildungsinstitutionen, Zeugnisse, Diplome oder Doktortitel, Zugehörigkeit zu Organisationen wie Universitäten, Forschungseinrichtungen, Krankenhäusern oder Gerichten. Der Glaube an die Vertrauenswürdigkeit von Fachleuten leitet sich dann aus einem Vertrauen in diese Institutionen ab.

„Die meiste Zeit und in den meisten Bereichen sind alle Menschen Laien.“ Michael Baurmann
Wie können aber Personen ohne einschlägiges Fachwissen die Verlässlichkeit und Qualität dieser Institutionen selbst beurteilen? Eine Möglichkeit sind sichtbare Erfolgsbilanzen: Ob die Medizin Krankheiten heilt, die Meteorologie das Wetter zutreffend voraussagt, die Ingenieurwissenschaft stabile Brücken baut oder die Virologie die Ausbreitung einer Pandemie richtig einschätzt, können im Prinzip auch Menschen ohne Fachwissen beurteilen.

Für ein solches Urteil liefert die persönliche Erfahrungsbasis des Einzelnen aber wiederum nur einen kleinen Bruchteil der relevanten Informationen. Jeder Einzelne ist auf die akkumulierten Erfahrungen zahlreicher weiterer Informationsquellen angewiesen, wenn er Erfolge und Misserfolge der Wissenschaft einschätzen will. Und immer ist Vertrauen in die Zuverlässigkeit dieser sehr unterschiedlichen Quellen der alles entscheidende Faktor.

Dabei spielen Intermediäre wie etwa ein professioneller Wissenschaftsjournalismus oder die Vermittlung in der Bildungskette eine Rolle, aber auch Vertrauensnetzwerke im sozialen Umfeld haben Gewicht. Hier gründet Vertrauen unmittelbar in der eigenen individuellen Erfahrung und wird verstärkt durch emotionale Bindungen.

Eine funktionierende epistemische Arbeitsteilung ist demnach in ein vielfach geschachteltes, komplexes Netzwerk von Vertrauensbeziehungen eingebettet. Damit dieses Netzwerk Vertrauen in zuverlässige Informationsquellen vermittelt, ist die Produktion von validen Erkenntnissen nur eine notwendige Voraussetzung. Für das Vertrauen in diese Erkenntnisse ist mitentscheidend, dass denjenigen Personen und Institutionen wiederum vertraut wird, die in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten für die epistemische Autorität und Vertrauenswürdigkeit der Wissenschaft bürgen.

Gesperrter Spielplatz: Bürgerinnen und Bürger sind bereit, das eigene Wohlergehen in einer risikoreichen Situation in die Verantwortung von Politikerinnen und Politikern, von Virologinnen und Epidemiologen zu legen. Foto: Ivan Ezhikoff, CC BY 2.0

Die aktuelle Krisensituation macht die Bedeutung dieser epistemischen Arbeitsteilung wie im Brennglas deutlich: Wenn eine Gefahrenlage besteht, die nur mit Hilfe einer besonderen Expertise gemeistert werden kann, dann ist wesentlich, dass den Fachleuten auch vertraut wird und die entsprechenden praktischen Konsequenzen in Politik und Alltag gezogen werden.

Digitale Viren des Misstrauens

Auf diesem Hintergrund wird ein wichtiger Aspekt der problematischen Entwicklung in den letzten Jahren deutlich: die Unterminierung der epistemischen Arbeitsteilung, die eine effektive Verbreitung und Nutzung des gesellschaftlich vorhandenen Wissens gewährleistet. Dabei geht es nicht vorrangig darum, dass den Menschen die Fähigkeit abhandengekommen wäre, selbst Wissen zu erwerben, Informationen zu überprüfen und Fake News von Wahrheit zu unterscheiden. Was wirklich gelitten hat, ist die Fähigkeit, zwischen vertrauenswürdigen und kompetenten sowie unzuverlässigen und inkompetenten Informationsquellen zu unterscheiden.

Die digitale Transformation ist eine Hauptursache für diese Entwicklung. Die Revolution der persönlichen, sozialen und politischen Kommunikation durch digitale Medien hat die Vertrauensbasis der epistemischen Arbeitsteilung durch drei Prozesse unterminieren können:

  1. Vernetzung: Menschen, die sich bislang als marginalisierte und isolierte Minderheit empfunden und gesellschaftlichen Institutionen ohnehin bereits misstraut haben, können vor allem mithilfe digitaler Medien Gleichgesinnte identifizieren und sich erfolgreich mit ihnen vernetzen.
  2. Polarisierung: Die digital vermittelte Kommunikation innerhalb abgeschotteter Arenen und „Echokammern“ verstärkt extremistische Positionen und vertieft Misstrauen gegenüber der Politik („Volksverräter“), den etablierten Medien („Lügenpresse“) und auch der Wissenschaft („Handlanger“).
  3. Indoktrinierung: Die soziale Dynamik in diesem Prozess etabliert neue Vertrauensbeziehungen, etwa zu politischen Meinungsführern mit ihren Attacken gegen herrschende Eliten oder zu alternativen Autoritäten als Zeugen gegen die Wissenschaften. Vertrauen ist hier der Nährboden für weiteres Misstrauen gegenüber dem bestehenden gesellschaftlichen System und seinen Institutionen.

Diese Entwicklung findet vor allem im informellen Umfeld von Menschen statt, jenseits der etablierten Kommunikationsräume und Institutionen einer entwickelten Wissensgesellschaft. Sie unterhöhlt mit dem Vertrauen in diese Institutionen den Einfluss des Bildungssystems, der traditionellen Medien, der Wissenschaft und der Meinungsbildung in einer demokratischen Öffentlichkeit.

Der Kampf um die digitale Welt

Während der Corona-Krise scheint diese Entwicklung zumindest teilweise und zeitweise revidiert worden zu sein. Kann der entstandene Vertrauensvorschuss für Zeiten jenseits der Krise erhalten werden?

„Wenn die sozialen Mechanismen in der digitalen Welt eine der wesentlichen Ursachen für die Gefährdung des Vertrauens sind, muss man einen gezielten Blick auf mögliche Gegenstrategien werfen.“ Michael Baurmann
Bei der Suche nach möglichen Erfolgsfaktoren landet man schnell und zu Recht bei den üblichen „Verdächtigen“: bei der umfassenden und transparenten Kommunikation, der nachvollziehbaren Rechtfertigung von Entscheidungen, einer verständlichen Erklärung relevanter Fakten und der authentischen Orientierung am öffentlichen Wohl. Wenn aber insbesondere die sozialen Mechanismen in der digitalen Welt eine der wesentlichen Ursachen für die Gefährdung des Vertrauens waren und sind, dann muss man einen gezielten Blick auf die möglichen Gestaltungsoptionen und Gegenstrategien werfen.

Bürgerbeteiligung: Wenn Bürgerinnen und Bürger Experten in eigener Sache sind und über relevantes Wissen und Problembewusstsein verfügen, entfällt die Legitimation für politische Entscheidungen ohne ihre Beteiligung; es drohen Misstrauen und Unmut. Das gilt von nationaler Gesetzgebung bis hin zu kommunalen Regulierungen. Eine umfassende Bürgerbeteiligung ist aber ohne technisch avancierte digitale Plattformen mit flexibel angepassten Formaten nicht umsetzbar. Solche Plattformen für Online-Beteiligung werden bereits erfolgversprechend eingesetzt (wie „Bonn macht mit“ oder „Mein Berlin“), sie müssen aber gezielt weiterentwickelt werden.

Öffentlichkeit: Digitale Kommunikation darf nicht Personen mit populistischen, verschwörungstheoretischen, rechtsradikalen und pseudowissenschaftlichen Botschaften überlassen werden. Auch in der digitalen Welt muss eine gesellschaftliche Öffentlichkeit etabliert werden, in der Einflüsse durch antidemokratische, demagogische und wissenschaftsfeindliche Kräfte konterkariert und Vertrauensbeziehungen zu den Institutionen der Demokratie und der Wissensgesellschaft vermittelt werden. Das ist, wie man gerade schmerzhaft lernen muss, keine triviale Herausforderung. Es gibt einen substantiellen Bedarf an innovativen Instrumenten und Strategien, um dieses Ziel zu erreichen.

Wissenschaftskommunikation: Die Corona-Krise hat die wichtige Rolle der Kommunikation für das Vertrauen in die Wissenschaft demonstriert. Wissenschaftliche Analysen und Prognosen müssen nachvollziehbar und verständlich erläutert werden, inklusive ihrer Unsicherheiten, Vorläufigkeiten und grundsätzlichen Fallibilität. In der Corona-Krise war gelingende Wissenschaftskommunikation weitgehend von einzelnen Personen abhängig. Es sind aber Vermittlungsformate nötig, die über einzelne Podcasts, individuelle Auftritte in Talkshows und sporadische Tweets hinausgehen. Und für die Wissenschaft gilt wie auch für andere gesellschaftliche Institutionen: Die Zukunft des Vertrauens in sie wird mit davon abhängen, wie sie sich in der digitalen Welt präsentiert. Die Visualisierung von Pandemie-Daten in interaktiven Dashboards (wie von der Johns-Hopkins-Universität oder dem Robert-Koch-Institut) sind dabei gute Beispiele für innovative Formate, die in einem digitalen Kontext möglich sind.

Fazit

Insgesamt ist es nicht überraschend, dass Vertrauen dort erhalten und zurückgewonnen werden muss, wo es am meisten bedroht wird: in den digitalen Medien, in der sich neben der klassischen demokratischen Öffentlichkeit eine Parallelwelt von fragmentierten Teilöffentlichkeiten und alternativen Vertrauensnetzwerken etabliert hat, in der Misstrauen gegenüber Demokratie, Wissenschaft und Medien verbreitet wird. Die Wissenschaft muss hier aber auch selbst einen Beitrag leisten und eine Digitalisierungsforschung vorantreiben, die sich aktiv an der gesellschaftlichen Gestaltung dieser schönen neuen digitalen Welt beteiligt.

 

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.