Die Linguistin Stephanie Lieboldt hat in einer Studie untersucht, wie Adjektive in Texten Stereotype über Männer und Frauen transportieren. Im Interview erklärt sie, welche Besonderheiten sie in der Wissenschaftssprache entdeckt hat und was die Ergebnisse für die Kommunikationspraxis bedeuten.
Die kleine Macht der Adjektive
Frau Lieboldt, in einer Studie[1] sind Sie der Frage nachgegangen, wie der Einsatz von Adjektiven in Texten Stereotype transportieren kann. Was hat Sie daran besonders interessiert?
Es geht in der Forschung in unserem Team erstmal ganz grundsätzlich um Fragen der geschlechtergerechten Sprache. Also, wie man Personen unterschiedlichen Geschlechts durch Sprache sichtbar machen kann und wie diese Personen durch Sprache bisher eingeordnet wurden. Es ist zum Beispiel vielfach belegt, dass sich nicht alle Menschen gleichermaßen durch das sogenannte generische Maskulinum angesprochen fühlen (Braun/Gottburgsen/Sczesny/Stahlberg 1998, Stahlberg/Sczesny 2001, Braun/Sczesny/Stahlberg 2005). Wir wollten dann noch einen Schritt weiter gehen und uns auch die sprachliche Umgebung dieser Personenbezeichnungen anschauen. Wie Personen also beschrieben werden – durch Eigenschaftswörter, also Adjektive.
Wie verändern Adjektive Sprache?
Adjektive reichern Sprache mit Vorstellungskraft an. Das kann man zum Beispiel an Zeitungsartikeln untersuchen, die versuchen neutral zu sein und deshalb eher wenige Adjektive aufweisen. Dadurch können Texte aber vielleicht auch langweiliger oder steifer wirken. In einem historischen Roman wiederum hat es einen großen Einfluss, ob darinsteht: „Sie betreten einen Ballsaal“ oder „Sie betreten einen opulenten oder riesigen oder festlich geschmückten Ballsaal“. Das Bild in unseren Köpfen ist dadurch gleich viel detaillierter, aber auch näher an dem, was sich der*die Autor*in gedacht hat.
Sind denn alle Adjektive gleich beeinflussend?
Nein, da gibt es Abstufungen. Eine wichtige Erkenntnis meiner Studie war, dass Adjektive relativ stabil sein müssen, was ihre Bedeutung angeht. Das heißt, um einen sehr starken Einfluss auf das Bezugswort ausüben zu können, müssen sie in unterschiedlichen Kontexten bei vielen Personen ähnliche Assoziationen hervorrufen. Ein Wort wie „verheiratet“ macht im Kopf sofort eine Unterkategorie auf, nämlich Ehemann oder Ehefrau. Wenn man dieses Wort nutzt, schreibt man der Person also einen bestimmten Status zu. Ein Adjektiv wie „begabt“ ist dagegen sehr instabil in seiner Bedeutung. Hier müssen wir erst klarstellen, worauf sich die Begabung bezieht. Ist jemand vielleicht begabt im Tanzen oder Tennisspielen? So eine Kontextualisierung ist bei „verheiratet“ nicht nötig.
Andere Adjektive wie „schön“, „sensibel“ oder „erfolgreich“ sind zwar auch sehr stabil in ihrer Bedeutung, jedoch sind diese Adjektive deutlich subjektiver aufgeladen als zum Beispiel „verheiratet“. Wenn diese zwei Kriterien erfüllt sind, eine stabile Bedeutung und ein geringes Maß an Objektivität, dann sind Adjektive in der Lage, besonders gut Genderstereotype zu evozieren.
Außerdem gibt es auch inhaltlich verschiedene Gruppen von Adjektiven. Einige beschreiben gesellschaftliche Dimensionen, andere beziehen sich auf das Aussehen oder das Verhalten. Das habe ich zuerst definiert, bevor ich mit der Studie begonnen habe.
Wie sind Sie in Ihrer Studie dann genau vorgegangen?
Ich wollte schauen, ob diese Ideen oder Stereotype, die wir zu Männern und Frauen grundsätzlich haben, tatsächlich auch in der geschriebenen Sprache nachweisbar sind. Wenn wir etwa davon ausgehen, dass Frauen sensibel sind, kann es sein, dass das in Gesprächen stattfindet, aber in Texten zum Beispiel gar nicht auftaucht. Das kann man heutzutage mit konkreten Sprachdaten nachweisen, die es auch schon digitalisiert gibt und auf die man für diese Forschungen zurückgreifen kann. Ich habe mir also ein Textkorpus bestehend aus 79.190 deutschsprachigen Texten angeschaut, das aus Texten der Zeit von 1900 bis 1999 zusammengesetzt ist. Dazu gehören Zeitungsartikel, Belletristik, Wissenschaftstexte und Gebrauchsliteratur. Für spätere Zeiten ist die Datenlage einfach noch nicht repräsentativ genug. Da ich mich auf die Wissenschaftssprache konzentrieren wollte, habe ich mit einer entsprechenden Stichprobe zu dieser Textsorte gearbeitet. Konkret habe ich dann geguckt, welche Eigenschaftswörter vor dem Wort Mann oder vor dem Wort Frau oder dem entsprechenden Plural vorkommen. Kurz: Ob und welche Adjektive Genderstereotype evozieren können.
Was sind die zentralen Ergebnisse?
Ganz grundsätzlich hat sich bestätigt, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Bedeutung der Adjektive, die sich auf „Mann“ beziehen und denen, die sich auf „Frau“ beziehen. Im gesamten Korpus war zum Beispiel dominant, dass bei Frauen das Aussehen viel öfter bewertet wurde. Bei Männern wurde das nur selten thematisiert. Es hat sich außerdem gezeigt, dass bei Frauen stärker Stereotype genutzt werden, also Adjektive, die eine wertende Ebene haben. Dabei gibt es aber Unterschiede zwischen den verschiedenen Textsorten. In wissenschaftlichen Texten ist der Unterschied zum Beispiel nicht ganz so groß. Das liegt zum einen daran, dass insgesamt weniger Adjektive genutzt werden und der Schreibstil relativ neutral ist. Trotzdem sind Adjektive aber noch vorhanden und bei Frauen sind hier ebenfalls Stereotype etwas stärker vertreten.
Kann man das konkret nachzählen?
Bei den wissenschaftlichen Texten haben wir in einem Korpus von etwa 600 Beispielen – 300 für Männer und 300 für Frauen – Werte von knapp über 100 stereotypen Adjektiven bei Frauen gezählt. Bei Männern lag der Wert bei knapp über 80. Das ist kein gravierender Unterschied. Bei der Auswertung aller vier Textsorten – Zeitung, Belletristik, Wissenschaft, Gebrauchsliteratur – waren die Unterschiede bei einer ähnlich großen Stichprobe sehr viel deutlicher. Hier lagen die Werte bei über 150 bei Frauen und bei Männern zwischen 60 und 70. Männer wurden dementsprechend nur etwa halb so oft stereotyp bewertet.
Gibt es Einschränkungen bei der Aussagekraft Ihrer Studie?
Wir versuchen in der Linguistik immer mehr statistisch zu arbeiten. Das habe ich in dieser Studie auch gemacht. Mittels eines statistischen Tests habe ich geprüft, ob sich die Verbindungen aus Adjektiven und den Wörtern „Frau“ bzw. „Mann“ in Bezug auf die Bedeutung der Adjektive unterscheiden. Dennoch handelt es sich um keine vollkommen repräsentative Studie. Das hat drei Gründe: Zum einen konnte ich mit diesem Korpus nur Aussagen über die Schriftsprache treffen. Korpora zu mündlicher Sprache sind sehr schwer zu erstellen, stehen uns aber hoffentlich in Zukunft mehr zur Verfügung. Wir vermuten aber, dass sich Stereotype in der gesprochenen Sprache noch stärker wiederfinden, weil wir beim Sprechen oft mehr vereinfachen als beim Schreiben. Das bleibt aber nachzuweisen. Außerdem habe ich eben nur einen bestimmten Zeitraum betrachtet und mich in der Auswertung am Ende sehr stark auf die Wissenschaftssprache fokussiert.
Was bedeutet das alles für die Kommunikationspraxis?
Adjektive haben eine kleine Macht, Menschen zu beeinflussen. Das kann man so im Hinterkopf behalten, wenn man ein Adjektiv wählt. Grundsätzlich ist das auch nicht schlimm, wenn ich eine bestimmte Bedeutung vermitteln möchte und durch Adjektive zum Beispiel einen Sachverhalt leichter verständlich mache. Sprache hat aber grundsätzlich nicht die Kompetenz, die Wahrheit eins zu eins abzubilden. Dessen sollte man sich beim Schreiben immer bewusst sein. Mit diesem Wissen über Adjektive kann man aber versuchen, möglichst nah an die Wahrheit ranzukommen. Das ist auch das Ziel geschlechtergerechter Sprache, die ja grundsätzlich möglichst viele Menschen abbilden und einschließen will. Wenn ich grundsätzlich von sensiblen Frauen spreche, schließe ich die Frauen aus, die nicht sensibel sind. Wenn ich von karrierebewussten Männern spreche, schließe ich die Männer aus, denen andere Themen wichtiger sind. Durch die bewusste Wahl von Adjektiven, nach Möglichkeit vielleicht neutraler Adjektive, kann man schon viel erreichen und im Zweifel ist auch hier weniger mehr.