Sollten sich Forschende in ihrer Kommunikation mehr auf Evidenz und weniger auf Storytelling fokussieren? Das fordert ein Beitrag auf Nature.com und stellt fünf Regeln für Evidenzkommunikation vor. Sozialpsychologe Martin W. Bauer findet diese „Aufräumarbeiten“ zu kurz gegriffen und schlägt in seinem Kommentar drei weitere Regeln vor.
Die Ironie des Regelsets
Die Autorinnen und Autoren distanzieren sich in ihrem Beitrag „Five rules for evidence communication“ vom Geschichtenerzählen (Storytelling), engagierter Sprache und Überzeugungsarbeit. Reine Evidenzkommunikation sollte all dies vermeiden. Das Ziel sei es, Entscheidungen zu unterstützen und dabei Handlungsanweisung zu vermeiden. Die Kommunikation sollte dabei fünf Regeln folgen: (1) Inform, not persuade; (2) Offer balance, not false balancs; (3) Disclose uncertainties; (4) State evidence quality; (5) Inoculate against misinformation.
Regeln und Checklisten vs. Rhetorik und Storytelling?
Wie dem auch sei, für solche Checklisten gibt es Konkurrenz, zum Teil auch sehr alte: „Man spreche klar, vermeide Mehrdeutigkeiten; amplifiziere die eigenen und verniedliche die Gegenargumente; und fixiere die Aufmerksamkeit“ der Zuhörerinnen und Zuhören, heißt es in der Quasi-Aristotelischen „Rhetorik an Alexander“. Bei George Orwell liest man in „Politics and the English Language“ von 1946: „Gebrauche nie eine Metapher, die schon gebräuchlich ist; nie ein langes Wort, wenn es dazu ein kurzes gibt; nie ein Passiv, wo ein Aktiv passt; nie ein Fachwort, wenn ein alltägliches verfügbar ist.“
Die sechste Regel: Benutze die Sprache des Zielpublikums.
Bei diesem Bestreben nach Eindeutigkeit muss man aber aufpassen, dass man nicht dem Gesetz des Werkzeugs verfällt und darüber die Problemlage falsch einschätzt. Das Motto wäre dann: Gib dem Buben einen Hammer und alles wird gehämmert. Die Rahmenbedingungen müssen klar sein und das braucht weitere Regeln, die die fünf von Blastland und seinem Team ergänzen: Tue X nur, wenn YZ.
Die siebte Regel: Eine vertrauenswürdige Person sollte sprechen.
Und was ist eigentlich mit dem Sprecher oder der Sprecherin? Die Regeln schweigen sich darüber aus, obwohl als Ziel hier Vertrauen genannt wird. Ist jeder Sprecher oder jede Sprecherin gleichwertig, um dieses Vertrauen zu vermitteln? Gibt es da nicht ein Privileg für Beamte, Ministerinnen, Nobelpreisträger, Institutssprecherinnen, Vertrauenspersonen, Beraterinnen etc? Man bräuchte da eine siebte Regel: Eine vertrauenswürdige Person sollte sprechen.
Man fragt sich außerdem: Für welche Sprechsituationen sind die Regeln bestimmt? Das bleibt ungeklärt, mitunter wird da von einer universellen Situation ausgegangen. Die einzig Rahmenbedingung scheint der gute Zweck: Nur Evidenz soll kommuniziert werden, um Vertrauen zu bilden.
Die fünf Regeln lassen auch das Medium außen vor, das man nutzt. Sind also die Regeln die gleichen, wenn die Ärztin mit dem Patienten ein vertrauliches Gespräch führt, wenn der Pressesprecher des Pharmakonzerns vor laufender Kamera über ein neues Vakzin informiert, wenn Professorin XYZ das Coronavirus auf Twitter oder Facebook erläutert oder wenn der Bundespräsident im Fernsehen auftritt?
Die achte Regel: Sichere dir zuerst die Aufmerksamkeit des Publikums.
Was diese fünf Regeln außerdem nicht berücksichtigen, sind Anfang und Ende der Kommunikation und die Aufmerksamkeit der Leser- und Zuhörerschaft. Dazu brauch es dann noch eine Regel: Sichere dir zuerst die Aufmerksamkeit des Publikums. Erst wenn die Aufmerksamkeit garantiert ist, wie mitten in einer Pandemie, kann der vertrauenswürdige Sprecher oder die vertrauenswürdige Sprecherin loslegen und das Gesagte muss sich auch nach dem Medium richten. Erst dann können die fünf Regeln richtig greifen.
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