Foto: Marek Piwnicki

„Die Gesellschaft schätzt die Wissenschaft, und sie will es wissen“

Was hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Wissenschaftskommunikation verändert? Das haben wir erfahrene Kommunikator*innen gefragt. Hier blickt Franz Ossing zurück und nach vorn, zum Beispiel auf die Rolle der Wissenschaftskommunikation in der Nachhaltigkeitskrise. Eine Zeitreise.

Früher war …

… die Welt analog, jetzt ist sie digital. Hinter dieser Plattitüde versteckt sich ein gewaltiger gesellschaftlicher Umbruch, dessen Ausmaß auch vielen von uns noch nicht bewusst ist, denn:

Durch „diese“ sozialen Medien ist …

… das komplette gesellschaftliche Gefüge von Information, Kommunikation, Meinungs- und politischer Willensbildung fundamental geändert worden, in nicht einmal zwei Dekaden. Kann sich jemand den Aufstieg von Trump ohne Twitter, das Geschrei der Klimaskeptiker ohne Filterbubbles erklären?

Aber das ist nur ein Aspekt. Die Digitalisierung der Welt ist viel weitreichender, als wir es uns in den 1990er-Jahren überhaupt vorstellen konnten. Beispiel Datenschutz: Unsere tradierten Vorstellungen dazu wurden von der technischen Realität überholt. Wir sind längst gläsern, verstecken uns aber hinterm Duschvorhang. Beispiel Wirtschaft: Die großen Intermediäre brechen ständig durch Steuerhinterziehung nationales Recht, indem sie einfach in ein anderes Land ausweichen. Diese Beispiele zeigen, dass unsere nationalstaatlichen Rechtssysteme für die digitale Globalität schon lange nicht mehr adäquat sind. Microsoft, Google und andere kommen zwar noch im historischen Kostüm eines Wirtschaftsunternehmens daher. Ihre wirkliche geschichtliche Bedeutung liegt aber in der Etablierung eines revolutionären, weltumspannenden Informations- und Kommunikationssystems.
Das Neue bricht sich Bahn, die sich ändernde Gesellschaft wird Wege finden (müssen), sich darauf einzustellen – so war das bei wirklichen Umwälzungen wie der Industriellen Revolution oder der Sesshaftwerdung des Menschen. Hölderlins „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ als Leitlinie: Die Chancen und Risiken ins Bewusstsein zu rücken, ist eine zentrale Kommunikations­aufgabe, die wir bisher nur unzureichend, weil auf zu kurzer Zeitskala denkend, angegangen sind.

Ich bin froh, dass ich nicht mehr …

„Für die Wissenschaftskommunikation ist es einerseits ein Riesenproblem, nicht im digitalen Rauschen unterzugehen.“ Franz Ossing
… auf Schrankwände von Großrechnern mit der Leistung eines 286ers aus den 80er-Jahren angewiesen bin. Die Digitale Technologie ist ein Riesengewinn für die Menschheit, ohne sie gäbe es keine Zukunft bei der Bekämpfung der Nachhaltigkeitskrise: Die flächenhafte Stromversorgung mit Erneuerbaren Energien bedarf der digitalen Steuerung der Netze. Ohne Datenverarbeitung kein Erfassen des realen Zustands unseres Planeten.
Für die Wissenschaftskommunikation ist es einerseits ein Riesenproblem, nicht im digitalen Rauschen unterzugehen. Andererseits hat sie aber auch einen Universal-Werkzeugkasten an Kommunikationsmitteln zur Hand, und sie hat ihn auch von Beginn an fleißig benutzt.

Die beste Erfindung für die Wissenschaftskommunikation ist …

„Die beste Idee war die Feststellung, dass es sich hier um ein Handwerk handelt, das selbst wissenschaftlich fundiert sein muss.“ Franz Ossing
… die Abschaffung des Fax-Geräts? Nein. Die beste Idee war die Feststellung, dass es sich hier um ein Handwerk handelt, das selbst wissenschaftlich fundiert sein muss. Die zahlreichen Handreichungen der 1990er-Jahre lesen sich mittlerweile recht altmodisch. Die Erforschung und die Lehre der Wissenschaftskommunikation an Universitäten und in Forschungs­einrichtungen ist heute selbstverständlich. Auch das ist eine Errungenschaft der Wissenschaftskommunikation. Wie in jeder Wissenschaft gilt es auch hier, die Spreu vom Weizen zu trennen, aber die Behäbigkeit der frühen 1990er-Jahre ging Vielen in der Wissenschaftskommunikation ja schon damals auf den Senkel.

Insgesamt hat sich die Wissenschaftskommunikation in meiner Berufszeit …

… unglaublich gut entwickelt, zumindest hier in Deutschland. Von den ersten Anstößen in den frühen 1990ern-Jahren über PUSH bis hin zur heutigen Vielfalt an Wissenschaftskommunikation. Dahinter steckt eine unglaubliche Dynamik. Diese Erfolgsgeschichte zeigt auch: Die Gesellschaft schätzt die Wissenschaft, und sie will es wissen. Geld in Wissenschaft und ihre Kommunikation zu stecken, ist eine Ausgabe mit positiver Rendite.

„Das ist ein Man-to-the-moon-Projekt, aber man kann es optimistisch angehen. Wissenschaft und Forschung sind darin unerlässlich. Und deren Kommunikation.“ Franz Ossing
Wenn ich heute in den Beruf starten würde, würde ich …

… es als vielleicht wichtigste Aufgabe der Wissenschaftskommunikation ansehen, der Gesellschaft den tagtäglichen Wissenstransfer aus den Forschungs­einrichtungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hinein bewusster zu machen, weil das der wichtigste Hebel gegen Populismus aller Art ist. Unser gesamtes Alltagsleben – und auch unser Wohlstand – ist ohne Wissenschaft und Forschung undenkbar, vom passgenauen Medikament über die immer bessere Wettervorhersage bis zur Meter-Genauigkeit des GPS-Signals.
Daraus ergibt sich, quasi als Side Effect der oben angegebenen wichtigsten Aufgabe der Wissenschaftskommunikation: Macht den Menschen klar, dass wir erstmals in der Menschheitsgeschichte global vor physikalisch begründeten, harten stofflichen Grenzen stehen, und dass unser bisheriger Weg hier endet. Jetzt und hier ist Schluss, das System Erde lässt uns gar keine Alternative, wir müssen handeln. Aber nehmt den Menschen auch die Angst: Wir haben alles, was wir brauchen, die technischen Mittel, das Wissen und die Finanzen, um die Nachhaltigkeitskrise zu meistern, weltweit. Das ist ein Man-to-the-moon-Projekt, aber man kann es optimistisch angehen. Wissenschaft und Forschung sind darin unerlässlich. Und deren Kommunikation.

Gastbeiträge spiegel nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.