Was hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Wissenschaftskommunikation verändert? Das haben wir erfahrene Kommunikator*innen gefragt. Hier blickt Franz Ossing zurück und nach vorn, zum Beispiel auf die Rolle der Wissenschaftskommunikation in der Nachhaltigkeitskrise. Eine Zeitreise.
„Die Gesellschaft schätzt die Wissenschaft, und sie will es wissen“
Früher war …
… die Welt analog, jetzt ist sie digital. Hinter dieser Plattitüde versteckt sich ein gewaltiger gesellschaftlicher Umbruch, dessen Ausmaß auch vielen von uns noch nicht bewusst ist, denn:
Durch „diese“ sozialen Medien ist …
… das komplette gesellschaftliche Gefüge von Information, Kommunikation, Meinungs- und politischer Willensbildung fundamental geändert worden, in nicht einmal zwei Dekaden. Kann sich jemand den Aufstieg von Trump ohne Twitter, das Geschrei der Klimaskeptiker ohne Filterbubbles erklären?
Das Neue bricht sich Bahn, die sich ändernde Gesellschaft wird Wege finden (müssen), sich darauf einzustellen – so war das bei wirklichen Umwälzungen wie der Industriellen Revolution oder der Sesshaftwerdung des Menschen. Hölderlins „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ als Leitlinie: Die Chancen und Risiken ins Bewusstsein zu rücken, ist eine zentrale Kommunikationsaufgabe, die wir bisher nur unzureichend, weil auf zu kurzer Zeitskala denkend, angegangen sind.
Ich bin froh, dass ich nicht mehr …
Für die Wissenschaftskommunikation ist es einerseits ein Riesenproblem, nicht im digitalen Rauschen unterzugehen. Andererseits hat sie aber auch einen Universal-Werkzeugkasten an Kommunikationsmitteln zur Hand, und sie hat ihn auch von Beginn an fleißig benutzt.
Die beste Erfindung für die Wissenschaftskommunikation ist …
Insgesamt hat sich die Wissenschaftskommunikation in meiner Berufszeit …
… unglaublich gut entwickelt, zumindest hier in Deutschland. Von den ersten Anstößen in den frühen 1990ern-Jahren über PUSH bis hin zur heutigen Vielfalt an Wissenschaftskommunikation. Dahinter steckt eine unglaubliche Dynamik. Diese Erfolgsgeschichte zeigt auch: Die Gesellschaft schätzt die Wissenschaft, und sie will es wissen. Geld in Wissenschaft und ihre Kommunikation zu stecken, ist eine Ausgabe mit positiver Rendite.
… es als vielleicht wichtigste Aufgabe der Wissenschaftskommunikation ansehen, der Gesellschaft den tagtäglichen Wissenstransfer aus den Forschungseinrichtungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hinein bewusster zu machen, weil das der wichtigste Hebel gegen Populismus aller Art ist. Unser gesamtes Alltagsleben – und auch unser Wohlstand – ist ohne Wissenschaft und Forschung undenkbar, vom passgenauen Medikament über die immer bessere Wettervorhersage bis zur Meter-Genauigkeit des GPS-Signals.
Daraus ergibt sich, quasi als Side Effect der oben angegebenen wichtigsten Aufgabe der Wissenschaftskommunikation: Macht den Menschen klar, dass wir erstmals in der Menschheitsgeschichte global vor physikalisch begründeten, harten stofflichen Grenzen stehen, und dass unser bisheriger Weg hier endet. Jetzt und hier ist Schluss, das System Erde lässt uns gar keine Alternative, wir müssen handeln. Aber nehmt den Menschen auch die Angst: Wir haben alles, was wir brauchen, die technischen Mittel, das Wissen und die Finanzen, um die Nachhaltigkeitskrise zu meistern, weltweit. Das ist ein Man-to-the-moon-Projekt, aber man kann es optimistisch angehen. Wissenschaft und Forschung sind darin unerlässlich. Und deren Kommunikation.
Gastbeiträge spiegel nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.