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„Die Botschaft ist: Sei keine Mutter“

Muttersein kollidiert mit dem Idealbild der selbstbestimmten Wissenschaftlerin, sagen Sarah Czerney und Lena Eckert. Im Interview erklären die Mitbegründerinnen des Netzwerks „Mutterschaft und Wissenschaft”, warum Elternschaft als Diversitätskriterium berücksichtigt werden sollte.

Von Wissenschaftler*innen wird erwartet, dass sie neben der Forschung auch Lehre, Förderanträge, internationale Tagungen jonglieren und effektive Wissenschaftskommunikation betreiben. Bleibt da noch Zeit, um Mutterschaft und Wissenschaft zu vereinen?

Dr. Sarah Czerney ist Medien- und Kulturwissenschaftlerin und systemische Beraterin (in Weiterbildung). Bis vor Kurzem hat sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro für Chancengleichheit am Leibniz-Institut für Neurobiologie gearbeitet. Sie ist Mitbegründerin des Netzwerks „Mutterschaft und Wissenschaft“. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen auf Chancengleichheit in der Wissenschaft, feministischer Mutterschaft und gleichberechtigter Elternschaft. Gemeinsam mit den Netzwerkgründerinnen Dr. Lena Eckert und Dr. Silke Martin hat sie zwei Publikationen zum Thema Mutterschaft und Wissenschaft veröffentlicht. Foto: LIN Magdeburg

Sarah Czerney: Zu wenig. Es ist ein ständiger Kampf um Vereinbarkeit, um etwas, was eigentlich nicht vereinbar ist. Das ist eine Zerreißprobe und viele leiden unter dem schlechten Gewissen, entweder zu wenig für die Kinder da zu sein oder zu wenig präsent in der Arbeit. Viele Mütter sind damit allein und fühlen sich isoliert. Sie fragen sich oft, ob es an ihnen selbst liegt, dass sie es nicht schaffen, weil es wenig Sichtbarkeit und Vernetzung zu diesem Thema gibt. Das wollen wir ändern.  

Lena Eckert: Wir bezeichnen unsere Arbeit als „Activist Academia“. Wir betreiben also Wissenschaft und möchten gleichzeitig einen aktivistischen Impuls in die Gesellschaft schicken, um zu zeigen, dass es strukturelle Benachteiligungen und Diskriminierungen gibt, die wir beseitigen müssen. Das machen wir dadurch, dass wir dazu forschen und Menschen mit diesen Erfahrungen vernetzen. In unseren zwei Büchern haben wir uns darauf konzentriert, Erfahrungsberichte von Müttern in der Wissenschaft zu sammeln, um aufzuzeigen, dass es hier etwas gibt, was sich ändern muss. 

Das Alter, in dem Frauen in der Regel Kinder bekommen, und die wissenschaftliche Qualifizierung liegen häufig zeitlich nah beieinander. Was bedeutet es, sich in der Wissenschaft für Kinder zu entscheiden?

Dr. Lena Eckert ist Genderwissenschaftlerin, Schreibcoach und Weiterbildnerin als auch akademische Mitarbeiterin am Zentrum für Lehre und Lernen der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt Oder und Mitbegründerin des Netzwerks „Mutterschaft und Wissenschaft“. Sie forscht zur Kritik von Macht- und Herrschaftsverhältnissen in Hochschule und Gesellschaft und ist insbesondere interessiert an der Strukturierung von Gesellschaft und Wahrnehmung durch Geschlecht und andere Differenzkategorien und sucht nach emanzipativen Strategien im Wissenschaftsbetrieb. Zusammen mit Dr. Sarah Czerney und Dr. Silke Martin hat sie zwei Publikationen zum Thema Mutterschaft und Wissenschaft veröffentlicht. Foto: Georg Bosch

Eckert: Die Familiengründungsphase fällt für die meisten Menschen in die Promotions- oder Postdoc-Phase und genau das wird im Moment in der Politik mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz diskutiert. Leider geht es in die falsche Richtung. Das Gesetz befürwortet weiterhin befristete Kettenverträge für Wissenschaftler*innen in Deutschland. 

Czerney: Arbeitsbedingungen werden im Wissenschaftsbetrieb noch prekärer. Das gilt nicht nur für Eltern, sondern für alle Menschen mit unbezahlter Care-Verantwortung. Es ist eine Zuspitzung der Prekarisierung, der Unplanbarkeit, der Unsicherheit und das führt dazu, dass diese Menschen, die sich neben ihrem Job als Wissenschaftler*in noch um andere Dinge kümmern, rausfallen. 

In Ihrem ersten Buch „Mutterschaft und Wissenschaft“ sprechen Sie viele Herausforderungen an: Armutsrisiko, Sorgearbeit und die Entmystifizierung von Mutter- und Schwangerschaft. Welche Ratschläge haben Sie für angehende Wissenschaftlerinnen, die Mütter werden oder bereits Mütter sind?

Czerney: Wir sehen da ganz klar die Entscheidungsträger*innen in der Hochschulpolitik in der Verantwortung. Es ist nicht die Aufgabe der Betroffenen, sich darum zu kümmern, dass sie im Wissenschaftsbetrieb bleiben können. Wir konzentrieren uns unter anderem auf hochschulpolitische Forderungen, weil Ratschläge an Mütter zu verteilen vermitteln würde, dass die strukturellen Probleme auf individueller Basis gelöst werden könnten. Wir können zum Beispiel auch nicht guten Gewissens sagen, schreibt eure Kinder in den Lebenslauf. Wir wissen, dass das bestraft werden kann und Menschen für die Care-Arbeit diskriminiert werden. Deswegen ist es sehr schwer Ratschläge zu geben. 

„Es ist nicht die Aufgabe der Betroffenen, sich darum zu kümmern, dass sie im Wissenschaftsbetrieb bleiben können.“ Dr. Sarah Czerney
Eckert: Mit unserem Netzwerk wollen wir in erster Linie Sichtbarkeit herstellen. Der Austausch hilft, sich nicht selbst die Schuld zu geben, wenn die Drei- oder Vierfachbelastung einfach vieles unmöglich machtverunmöglicht. Mit der Sichtbarmachung der Diskriminierungen und der Ausschlüsse möchten wir zudem eine Politisierung und Solidarisierung bewirken. Forschung zum Thema soll unsere Forderungen begründen und differenzieren.

Sie haben das Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft gegründet. Im Selbstverständnis beschreiben Sie das noch immer vorherrschende Idealbild der Wissenschaft als „ein ungebundener Wissenschaftler, der ungestört in seinem Geist aufgehen kann“. Frau Czerney, Sie haben das Mutterwerden in der Wissenschaft nun als „zum Körper werden“ beschrieben. Können Sie das erläutern? 

Czerney: In meinem Text beschreibe ich, wie das kollidiert ist, als ich mein erstes Kind geboren habe. Bis dahin hatte ich das Privileg, mich vor allem als unabhängige, selbstbestimmte und emanzipierte Frau zu verstehen, die sich zu großen Teilen durch ihre intellektuelle Kopfarbeit definiert. Dann habe ich die Erfahrung gemacht, was es heißt, ein Kind auf die Welt zu bringen, es zu stillen und körperlich abhängig zu sein. Das war für mich einfach komplett dem entgegengesetzt, wie ich mich vorher selbst als Feministin und Wissenschaftlerin gesehen habe. 

„Unsere These ist, dass Vereinbarkeit vielleicht auf einem individuellen Level möglich ist, aber strukturell nicht funktioniert.“ Dr. Sarah Czerney
Unsere These ist, dass Vereinbarkeit vielleicht auf einem individuellen Level möglich ist, aber strukturell nicht funktioniert. Das liegt daran, dass wir diese beiden Idealbilder der „Mutter“ und des „Wissenschaftlers“ haben. Auf der einen Seite ist der Wissenschaftler, der von Sorgen befreit ist und völlig unabhängig über seine Zeit bestimmen kann. Und auf der anderen Seite haben wir das Idealbild der Mutter, das vor allem in Deutschland noch immer sehr stark ideologisiert und idealisiert ist. Sie wird ihrerseits über ihre Körperlichkeit, ihr Kümmern und ihre ständige Verfügbarkeit definiert. Diese beiden gesellschaftlichen Positionierungen stehen sich allerdings diametral gegenüber, das heißt, sie schließen sich gegenseitig aus. 

Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Wissenschaftler*in?

Czerney: Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema habe ich festgestellt, dass ich kein Einzelfall bin. Es geht um die Art und Weise, wie wir über Wissenschaft und Mutterschaft denken. Wir haben auch festgestellt, dass viele Mütter in der Wissenschaft alles dafür tun, ihre Mutterschaft zu verstecken. Sie wird als unprofessionell und als Störung wahrgenommen. Die Botschaft ist: Sei keine Mutter, aber wenn du Mutter bist, dann höchstens mit einem Kind und dann aber auch so, dass es nicht stört. Das ist der sogenannte Maternity-Bias. Das führt dazu, dass insbesondere Frauen ihre Mutterschaft verstecken und alles, was damit assoziiert werden könnte. 

Was ist mit den Vätern? 

Eckert: Wir sprechen immer noch von Mutterschaft und Wissenschaft, weil Muttersein und Vatersein leider immer noch keine vergleichbaren Erfahrungen sind. Das Mutterbild ist in Deutschland sehr ideologisch überfrachtet. Es gibt zum Beispiel noch immer keinen „Rabenvater“ oder einen „Karrieremann“, sondern es wird hier ganz implizit (oder auch explizit) immer wieder die Mutter zur Verantwortung gezogen. Wir brauchen aber die Väter nicht nur als Verbündete, sondern auch als Mitstreiter und Unterstützer. 

„Wir glauben, dass es wichtig ist, dass alle Menschen, auch Kinderlose, wahrnehmen, dass es hier eine Diskriminierung gibt.“ Dr. Lena Eckert
Grundsätzlich stoßen engagierte Väter auf die gleichen Hürden wie Mütter in der Wissenschaft. Wir glauben, dass es wichtig ist, dass alle Menschen, auch Kinderlose, wahrnehmen, dass es hier eine Diskriminierung gibt. Und, dass der Wissenschaftsbetrieb als solcher auch ein angenehmerer Arbeitsort für alle wäre, wenn die Situation für Eltern besser ist. 

Wir können davon ausgehen, wenn es Frauen und anders positionierten Menschen in der Gesellschaft besser geht, geht es allen besser. Damit muss sich auch die Wissenschaftskommunikation, wenn sie denn tatsächlich die Gesellschaft erreichen will, auseinandersetzen. Es muss eben auch eine breitere Gesellschaft, die sehr divers und in keiner Weise homogen ist, adressiert werden. 

Gibt es Zahlen zur Verteilung der Care-Arbeit bei Akademiker*innen in der Elternschaft?

Czerney: Zahlen dazu, wie viele Mütter und Väter in der Wissenschaft unbezahlte Sorgearbeit übernehmen, gibt es bislang nicht. Wir wissen ja nicht mal, wie viele Mütter und Väter es überhaupt in der Wissenschaft auf welchem Karrierelevel gibt. Es gibt da eine ganz eklatante Forschungslücke, die wir schließen wollen. Wir kennen ungefähre Tendenzen aus dem Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs. Nur ein Fünftel der höchstdotierten Professuren sind mit Frauen besetzt, und von diesen sind wiederum nur die Hälfte Mütter, während drei Viertel der männlichen Professoren Väter sind. Das lässt schon Rückschlüsse darauf zu, wer die Familienarbeit hauptsächlich übernimmt. 

„Es bräuchte dahingehend einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Kulturwandel, der erkennt, dass Kinder und die Sorge um andere die Gesellschaft überhaupt erst herstellen.“ Dr. Lena Eckert
Warum wird der Elternstatus dann noch so selten als Diversitätskriterium mitgedacht?

Czerney: Es gibt Initiativen, die sich vor allem auf rechtlicher Ebene dafür einsetzen, dass die Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal ins allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen wird. Zum Beispiel die Initiative „Pro Parents”. Das ist unserer Meinung längst überfällig.

Eckert: Kinder bekommen und haben wird im öffentlichen Diskurs als private Entscheidung verhandelt. Es bräuchte dahingehend einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Kulturwandel, der erkennt, dass Kinder und die Sorge um andere die Gesellschaft überhaupt erst herstellen. Im Umkehrschluss ist die Gesellschaft eben auch für alle Kinder verantwortlich. Ich bin davon überzeugt, dass die Einführung von Elternschaft als Diskriminierungskategorie das ändern würde. 

Was braucht es aus Ihrer Sicht für familiengerechte Rahmenbedingungen in der Forschung?

Eckert: Die ganz große Stellschraube ist natürlich generell dieser Kulturwandel in der Gesellschaft und auch im deutschen Wissenschaftsbetrieb. Dann gibt es kleinere Stellschrauben, wie nach der Pandemie einen Nachteilsausgleich für Wissenschaftlerinnen mit Kindern oder Sorgeverantwortung einzurichten, vermehrt Hilfskräfte zur Verfügung zu stellen oder in Berufungskommissionen darauf zu achten, dass nicht die gleichen Publikationen, Drittmitteleinwerbungen oder Konferenzbeiträge geleistet werden konnten. 

Czerney: Die Frage lässt sich nicht einfach und kurz und knapp beantworten, aber wir haben jede Menge Ideen. Unbezahlte Care-Arbeit sollte dringend umverteilt werden. Dazu gehört es auch, im Bewusstsein aller Entscheidungs- und Führungskräfte im Wissenschaftsbetrieb das Thema offen zu behandeln. Lebensläufe dürfen nicht standardisiert begutachtet werden. Auch Publikationslisten müssen dahingehend überprüft werden, was Menschen alles nebenher in ihrem Leben zu leisten haben. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz muss dringend reformiert werden, sodass unbezahlte Care-Arbeit kein Nachteil mehr ist. Institutionen können schon jetzt einzelne Maßnahmen ergreifen und eigenverantwortlich kreativ werden, um Menschen mit unbezahlter Care-Verantwortung zu halten. 


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