Foto: Anthony Easton (CC BY 2.0)

„Der Vorteil des Genderns ist Präzision“

Johann Wolfgang von Goethe schrieb: „Ein jeder, weil er spricht, glaubt, auch über die Sprache sprechen zu können.“ Die Debatte um das Gendern wird seit Jahren kontrovers geführt. Wir fragen die Journalistin Christine Olderdissen: Wie hält sie’s mit dem Gendern in der Wissenschaftskommunikation?

Christine Olderdissen ist Juristin mit einem Faible für schöne Texte. Nach dem Besuch der Deutschen Journalistenschule München wurde sie freie Fernsehautorin. Gendersensibilität war von Beginn ihrer journalistischen Laufbahn an die Maxime ihrer Arbeit in Worten und Bildern. Sie leitet für den Journalistinnenbund e.V. das Webportal Genderleicht & Bildermächtig, das mit einer Förderung vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aufgebaut wurde. Foto: Katrin Dinkel

Was ist besser: die Wissenschaftler, Wissenschaftler*innen oder die Forschenden? 

Ich würde immer die Forschenden bevorzugen, auch wenn ich noch ein bisschen zusammenzucke, wenn ich das höre. In der Realität sieht es aber oft anders aus. Häufig wird im Fernsehen das generische Maskulinum verwendet, obwohl gerade eine Wissenschaftlerin oder eine Ärztin zu sehen ist. Das stört mich, weil es ungenau ist. Das generische Maskulinum funktioniert auch nicht in wissenschaftlichen Texten, die sich eigentlich durch Genauigkeit auszeichnen sollten.

Was tut man, wenn es um einzelne Personen, also den Singular, geht?

Wenn wir Genderzeichen im Singular verwenden, müssen wir ein bisschen tüfteln. Es gibt das Problem, dass der Artikel und auch das Adjektiv dekliniert werden. Das führt dann sehr oft zu grammatikalischen Fehlern. Da würde ich immer sagen: „Halt, Stopp. Überleg nochmal, was du schreiben willst. Kannst du vielleicht den Plural benutzen? Oder kannst du deinen Gedanken anders formulieren?“ Am besten ist es, nicht so viele Wörter zu verwenden, bei denen ein Sternchen gesetzt werden müssten. Sprachlich kriegen wir das immer hin: Wir können alles auf zehn verschiedene Arten sagen. Das Gendern hat auf jeden Fall einen Mehrwert für den Text, weil wir mehr darüber nachdenken, was wir sagen wollen und um wen es eigentlich geht.

„Das Gendern hat auf jeden Fall einen Mehrwert für den Text, weil wir mehr darüber nachdenken, was wir sagen wollen und um wen es eigentlich geht.“ Christine Olderdissen

Die Mitglieder des Rats für deutsche Rechtschreibung gaben kürzlich keine Empfehlung für den Doppelpunkt oder das Sternchen, sprachen sich jedoch für eine Toleranz gegenüber Sonderzeichen aus. Wie bewerten Sie die Entscheidung des Rechtschreibrats?

Dem Rat für deutsche Rechtschreibung gehören 41 Personen aus Praxis, Schule, Verlagswesen, Journalismus und Medien aus sieben verschiedenen Ländern an. Bei ihrer letzten Entscheidung im Juni haben sie noch einmal deutlich gemacht, wie schwierig es ist, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Es war jedoch ein großer Fortschritt, dass sie gesagt haben: Wir erkennen den Genderstern als Sonderzeichen an. Die tun also nicht mehr so, als gäbe es ihn nicht.

Das Schöne ist: Wir können alle mit Sprache umgehen, wie wir wollen. Der Rat verbietet uns nichts. Sprache entwickelt sich. Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die sagen: „Ich bin irritiert und hätte gerne Regeln. Ich möchte wissen, wie ich es richtigmache.“ Aber solange der Rat für deutsche Rechtschreibung das Schreiben mit Genderzeichen nicht anerkennt, kann er keine Regeln liefern. Wir von Genderleicht.de haben aus unseren Beobachtungen ein paar Regeln abgeleitet, aber das löst nicht alle Fragen.

Bei Genderleicht.de werden diverse Sonderzeichen zum Gendern vorgestellt: https://www.genderleicht.de/genderzeichen/

Auf der Seite Genderleicht.de kommunizieren Sie zu geschlechtergerechter Sprache und haben schließlich dazu ein Buch im Duden Verlag veröffentlicht. Was sind die Empfehlungen, die Sie Personen geben, die ihre Texte inklusiver formulieren möchten?

Die wichtigste Botschaft lautet: Reduziere die Anzahl der Personen in deinem Text. Viel zu oft personalisieren wir Aktivitäten, dabei könnten wir das Gegenteil tun. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In einem Text wurde den Initiatoren gedankt. Dann wurde ein Sternchen eingeschoben: den Initiator*innen wurde gedankt.  Aber was haben die eigentlich gemacht? Besser umschreiben: ‘Peter und Maria haben tolle Ideen eingebracht und das Projekt vorangetrieben’. Dann weiß ich auch, was die Initiator*innen geleistet haben. Der Text wird aussagekräftiger. Es muss übrigens nicht immer das Gendersternchen sein. Wir können sehr weit kommen, wenn wir geschlechtsneutrale Formulierungen verwenden. Wenn es allerdings um konkrete Menschen geht, müssen wir präzise versuchen, deren Geschlecht zu markieren.

„Es muss übrigens nicht immer das Gendersternchen sein. Wir können sehr weit kommen, wenn wir geschlechtsneutrale Formulierungen verwenden.“ Christine Olderdissen

Die Sprache ist ein, wenn nicht sogar das wichtigste Instrument der Wissenschaftskommunikation. Was spricht für eine geschlechtergerechte Sprache in der Wissenschaftskommunikation?

Der Vorteil des Genderns ist Präzision. Das kennen wir schon aus der Medizin: Es gibt große Unterschiede, wie weibliche und männliche Körper reagieren. Aber auch an anderen Stellen ist es wichtig, das Geschlecht oder die Geschlechtsidentität von Menschen genau zu benennen. Manchmal hilft es tatsächlich, in einer Fußnote am Anfang eines Textes zu beschreiben, wie in einer Publikation mit Sprache umgegangen werden soll. Ein No-Go ist aber: „Wir verwenden das generische Maskulinum, damit sind alle gemeint“. Das geht heute nicht mehr. Gerade in der Wissenschaft, die mit gutem Beispiel vorangehen sollte, müssen wir zeigen, wie die Haltung zu dieser inzwischen sehr breit geführten Diskussion ist.

Und die Wissenschaft selbst ist aufgefordert, über die Möglichkeiten der geschlechtergerechten Sprache nachzudenken. Nicht nur mal einfach einen Sprachleitfaden zu lesen, sondern zu begreifen, dass die Beschäftigung mit Sprache zur wissenschaftlichen Ausbildung gehört. Eine Sensibilisierung dafür, was ich in einem Text sage. Die Präzision ist in der Wissenschaft extrem wichtig. Insofern sollte eine präzise und geschlechtergerechte Sprache Teil der Lehre sein.

„Die Präzision ist in der Wissenschaft extrem wichtig. Insofern sollte eine präzise und geschlechtergerechte Sprache Teil der Lehre sein.“ Christine Olderdissen

Gibt es Best oder Worst Practice Beispiele zum Gendern in der Wissenschaft?

Mir geht es darum, dass wir uns genau anschauen, wie maskulin unsere Sprache generell ist. In meinen Vorträgen teste ich das und zeige die Textzeile: „Prof. Meyer ist eine Koryphäe“. Da denken die meisten an einen Mann. „Prof.“ hat dieses gefühlte Maskulinum in sich. „Koryphäe“ ist ein Femininum, wird aber dennoch mit Männern assoziiert.

Ich erlebe aber auch Leute, die sehr gerne gendern, also überall Gendersternchen setzen und die Nuancen gar nicht wahrnehmen. Ich finde übrigens auch, dass ein Wort wie ‘man’ in wissenschaftlichen Zusammenhängen nichts zu suchen haben. Wer ist dieses ‘man’?  Schreibt nicht ‘man’, sondern schreibt genau, wer das ist.

Im wissenschaftlichen Kontext können wir geschlechtsneutral mit substantivierten Partizipien formulieren, aber auch da müssen wir aufpassen, genau wie beim Gendersternchen. Wir sollten den Plural verwenden. „Wenn eine Forschende ihre Pipette hält“ – dann bin ich im Weiblichen. Nicht-binäre Personen sagen dann vielleicht: „Das ist binär formuliert, und du siehst mich nicht“. Andererseits wollen Frauen sprachlich sichtbar sein, bei geschlechtsneutralen Formulierungen verschwinden sie. Wir müssen immer sehr sorgfältig texten.

„In Absprache mit der Trans-Community sagen auch die Blinden und Sehbehinderten, dass das Gendersternchen das bevorzugte Zeichen sein sollte.“ Christine Olderdissen

Kann geschlechtergerechte Sprache zu Barrieren oder Verständnisschwierigkeiten in der Wissenschaftskommunikation führen  – zum Beispiel für Personen, die auf Texterkennungssoftware angewiesen sind, oder Deutsch als zweite Sprache sprechen?

Ja, das ist ein Problem. Spracherkennungssoftware ist im Prinzip anpassbar, aber wir wissen von Blinden- und Sehbehinderten und deren Verband, dass es hilfreich wäre, wenn wir uns auf ein einziges Genderzeichen einigen. Der Genderdoppelpunkt gilt vielen als barrierearm. Aber Menschen mit einer starken Sehbehinderung können den Doppelpunkt möglicherweise nicht erkennen. Die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit in der Informationstechnologie hat eine Studie durchgeführt, in der Screenreader getestet wurden. In Absprache mit der Trans-Community sagen auch die Blinden und Sehbehinderten, dass das Gendersternchen das bevorzugte Zeichen sein sollte. Es gibt viele Bedürfnisse, die berücksichtigt werden müssen.

Menschen, die Deutsch lernen, lernen ja, dass wir männliche und weibliche Wörter haben. Und dann gibt es diese komische Sache im Deutschen, dass bei männlichen Personenbezeichnungen manchmal Frauen mitgemeint sein sollen und natürlich auch nicht-binäre, trans-, also alle Menschen. Aber die Wörter sind maskulin und wir müssen ein wenig raten, sind nur Männer gemeint oder wir alle? Wenn sie das verstanden haben, kann ich ihnen sagen: „Weißt du, damit es klarer wird, können wir einen Stern setzen und dann sind wirklich alle gemeint.“ Das kann man lernen. Was schwieriger ist, ist die Grammatik im Singular. Schon wir als Muttersprachler*innen bekommen das beim Gendern nicht gut hin.

Die Debatte um das Gendern wird teilweise sehr aggressiv geführt. Was auffällt, ist, dass der Ton der Beiträge bei Genderleicht.de von viel Leichtigkeit und Humor geprägt ist. Tut Humor der angespannten Genderdebatte gut? 

Wir sollten einfach nett zueinander sein und auch akzeptieren, dass der eine mit generischem Maskulinum spricht, bei der anderen hören wir in jedem dritten Satz das Genderzeichen. Es ist auch immer eine kleine Botschaft dabei. Wo stehe ich? Wie halte ich es damit? Lasst uns einfach so reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Ein bisschen Humor tut dabei gut.

Bundeskanzler Scholz hat sich im Sommer in einem Interview zum Gendern geäußert. Eigentlich ging es um die Frage, wie kompromissbereit wir alle eigentlich sein müssten. Er sagte, die einen reden so und die anderen so, und er wünsche sich im gesellschaftlichen Kontext mehr Gelassenheit. Das sehe ich genauso.


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