„Die Gesellschaft der Wissenschaft – und warum für sie gestritten werden muss“ erörterte DFG-Präsident Peter Strohschneider in seiner Rede auf dem Neujahrsempfang der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Der Streit um die Wahrheit
„Das Funktionieren der Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge droht sich zu verändern“ sagt Professor Strohschneider in seiner Neujahrsrede. Der DFG Präsident blickt damit zurück auf das vergangene Jahr – den Brexit, die US-Wahl – macht sich Gedanken über die Verleumdung von Fakten und wie ihr entgegengetreten werden kann. Er spricht auch über einen Vertrauensverlust der Gesellschaft und Politik in die Wissenschaft. Dabei betrachtet er unter anderem die Verantwortung der Wissenschaft in diesem Konflikt und zeigt klare „Vertrauenserschwernisse“ auf Seiten der Wissenschaft auf, die er in drei Stichworten zusammenfasst: „Verheißung, Macht und Widersprüche“.
Verheißung, Macht und Widersprüche
Strohschneider analysiert, dass der Druck auf die Wissenschaft durch die Erwartungen der Gesellschaft stetig wächst. Aufgrund dieser wachsenden Erwartungen sei die Wissenschaft geneigt Großes zu verheißen. Im Gegenzug steige das entgegengebrachte Vertrauen aber nicht im gleichen Maße an. Vor allem öffentlich getragene Wissenschaft verspräche schnell praktischen Nutzen ihrer Leistungen: die Schaffung von Arbeitsplätzen, Besiegung der Volkskrankheiten, „bis zur Rettung der Welt überhaupt“. Das, so Strohschneider, führt zu einer Überbietungsspirale von Anforderungen und Verheißungen, die gesellschaftliches Vertrauen in Forschung weniger festigt, als vielmehr zu ruinieren droht. Die Hoffnung auf Erlösung von allem Bösen und das ewige Leben könne die Wissenschaften nur enttäuschen.
In manchen Forschungsbereichen sammele sich Wissen an, das zu einer Macht führe, die von demokratischer Politik kaum noch kontrolliert werden könne. Auch das erschwere das Vertrauen in die Wissenschaft. Als Beispiele für diese Bereiche nennt Strohschneider digitale Algorithmik, Datenkapitalismus, synthetische Biologie und Genome Editing. Außerdem sei moderne Forschung verleitet, sich gegenüber anderen Wissensformen etwa des Alltags, der Sinnstiftung, der Politik oder der Normativität, zu ermächtigen, die sie doch keineswegs ersetzen kann.
Als letzten vertrauenshemmenden Punkt betrachtet er die Widersprüche im wissenschaftspolitischen Diskurs. Als ein Beispiel dafür nennt er die „konstitutive Internationalität von Wissenschaft zum Zwecke der nationalen Wettbewerbsfähigkeit“.
Vertrauen aufbauen
Welche Verantwortung trägt die Wissenschaft nun in einem Streit um die Wahrheit und was kann sie tun? Nach Strohschneider soll gerade Wissenschaft in der Lage sein sich dieser Herausforderung zu stellen. Schließlich setze sie eine Bereitschaft voraus, sich durch die Welt und das, was andere über die Welt wissen, produktiv irritieren zu lassen. Doch dafür müsse sie sich vor Augen führen, dass es nicht reiche, wissenschaftliches Wissen einfach bereitzustellen. „Dieses muss vielmehr auch außerhalb des Forschungssystems in seinem methodischen Zustandegekommensein“ dargestellt und erklärt werden. Perspektiven und Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnisse sollen in der Kommunikation mit der Gesellschaft oder Politik stets benannt werden. Strohschneider macht es noch konkreter und fordert „Seriosität und Bescheidenheit der Leistungsversprechungen auch dort, wo Wissenschaft gesellschaftlich begründungspflichtig ist.“ Insbesondere in Zusammenarbeit mit der Politik mahnt er, dass die Aufgabe der Forschung darin liege „vernünftige Alternativen des Handels“ aufzuzeigen und weist darauf hin, dass sie keineswegs zwischen solchen Alternativen entscheiden könne, da die Forschung kein demokratisches Mandat habe.
Folgen für die Wissenschaftskommunikation
Um diese Hürden, die zwischen der Wissenschaft und dem Vertrauen von Politik und Gesellschaft in sie liegen, aus dem Weg zu räumen, ergeben sich nach Strohschneider „ziemlich einschneidende Folgerungen für die Wissenschaftskommunikation. Und auch für die Art und Weise, in der etwa die Wissenschaftsorganisationen öffentlich und politisch für die Wissenschaften werben“. Daher lädt Strohschneider ein das Thema zu diskutieren.
Was also kann die Wissenschaftskommunikation tun, um auch die Perspektive, aus der wissenschaftliche Ergebnisse gewonnen werden, mit darzustellen? Wie können Kommunikatoren die Gesellschaft für den Prozess und nicht nur das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung begeistern? Wie können die Grenzen der Forschung aufgezeigt werden, ohne die wissenschaftliche Leistung klein zu reden? An einigen Stellen sind hier bereits Anfänge gemacht – beispielsweise durch die „Leitlinien für gute Wissenschafts-PR“, die unter anderem Übertreibungen einzudämmen versuchen. Und Bereiche wie Citizen Science oder Crowdfunding gehen das Thema „Vermittlung der Prozesse“ an. Dennoch bleiben die von Peter Strohschneider genannten Herausforderungen zentral für die Wissenschaftskommunikation in den nächsten Jahren.
Die vollständige Rede des DFG-Präsidenten Professor Dr. Peter Strohschneider anlässlich des Neujahrsempfang der Deutschen Forschungsgesellschaft am 16. Januar 2017 als PDF .