Screenshot: Martin Moders Youtube-Video zu Langzeitfolgen der Corona-Impfung

„Der Kern muss sein, dass man sich auskennt“

Der österreichische Molekularbiologe Martin Moder produziert Youtube-Videos zu weit verbreiteten Fragen über Corona und Impfungen. Im Interview spricht er darüber, wie er im Netz und im Kabarett Wissenschaftskommunikation praktiziert und warum er lieber mit Gemüse als mit Animationen arbeitet. 

Herr Moder, was sind die Herausforderungen, wenn man auf Youtube über ein Thema wie Impfen spricht? 

Martin Moder widmet sich auf seinem Youtube-Kanal MEGA (Make Europa Gscheit Again) der Aufklärung von Corona-Mythen und beantwortet Fragen zum Thema Impfen. Der promovierte Molekularbiologe forschte am Zentrum für Molekulare Medizin für seine Dissertation zu seltenen Erbkrankheiten. 2014 wurde er für einen Vortrag „Hirnamputierte Fruchtfliegen zur Tumorbekämpfung“ zum ersten Science-Slam-Europameister gewählt. Wissenschaftskommunikation betreibt er auch im Rahmen seiner Auftritte bei der österreichischen Wissenschafts-Kabarettgruppe „Science Busters“. Foto: Ingo Pertramer

Gerade bei diesem Thema hat man formatunabhängig das Problem, dass sehr schnell Behauptungen aufgestellt werden, bei denen es aber längere Zeit braucht, sie zu widerlegen. Impfgegner*innen gibt es ja schon so lange, wie es Impfungen gibt. Ich habe zum Beispiel ein Video über die Unfruchtbarkeitsgerüchte nach den Impfungen gemacht. Da werden oft Erklärungen hergeholt, bei denen Begriffe und Konzepte verwendet werden, die es tatsächlich gibt, die aber in dem Kontext nicht zutreffen. So eine Behauptung ist in einem Satz aufgestellt, aber ich habe über zehn Minuten gebraucht, um sie zu entkräften. Die Leute, die gegen Impfungen sind, spielen immer das viel leichtere Spiel, weil es viel einfacher ist, eine diffuse Angst zu verbreiten, als eine Angst mit rationalen Argumenten wieder loszuwerden. Viele von diesen klassischen Impfmythen kommen gerade wieder auf – wie dieses Unfruchtbarkeitsgerücht, dass es beispielsweise auch bei der Polio- und der Tetanus-Impfung gegeben hat. Es hat nie gestimmt, ist aber extrem gut dazu geeignet, Ängste zu verbreiten. 

Stehen Sie dann unter Zeitdruck, weil Menschen wegschalten, wenn Erklärungen zu lange brauchen?

Ich habe gar nicht den Eindruck, dass die Leute wegschalten. Mein Gefühl ist eher, dass die meisten Formate des Wissenschaftsjournalismus, zumindest in den klassischen Medien, zu wenig Erklär-Zeit erlauben. In solchen Formaten hast du gar nicht die Zeit, schnell aufgestellte Behauptungen zu entkräften. Meistens ist das nur ein flottes Positionieren. Da hilft es sehr, dass wir das Internet und Podcasts haben. Das ist auch der Grund, warum ich das Youtube-Format gewählt habe. Wenn meine Videos vier Minuten brauchen, um die Information unterzubringen, dauern sie vier Minuten und wenn sie fünfzehn Minuten brauchen, dauern sie fünfzehn Minuten. Ich finde, das ist der ganz große Vorteil dieser neuen Medien, dass du dir nicht vom Format diktieren lassen musst, welche Punkte du erklären kannst und welche nicht. Denn oft sind die verunsichernden Fragen diejenigen, deren Beantwortung fürs Radio und Fernsehen zu lange dauert.

Was wünschen Sie sich denn von den klassischen Medien?

„Es wäre schön, wenn das im Fernsehen auch so wäre und alle verpflichtet wären, ihre Quellen offenzulegen.“ Martin Moder
Ich möchte das gar nicht als Kritik an den Medien präsentieren, denn ich weiß schon: Ich kann natürlich leicht reden. Man kann keine Diskussionssendungen machen, in denen jemand zehn Minuten lang seinen Punkt erklärt. Aber ich denke, dass Diskussionsformate, die in klassischen linearen Medien dominieren, für Wissenschaftskommunikation denkbar ungeeignet sind. Ich halte es zum Beispiel für kontraproduktiv, Talkshows zu machen, in denen Leute sitzen, die sich für oder gegen Impfungen aussprechen. Es gibt natürlich Dinge, die man gegen Impfungen sagen kann, aber im Endeffekt läuft es immer darauf hinaus, dass sie unterm Strich die sinnvollere Option sind. Es herrscht aber immer noch dieser False-Balance-Approach, bei dem man sagt: Man kann nicht drei Leute hinsetzen, die sich einig sind, dass die Impfungen sinnvoll und wichtig sind, sondern braucht auch jemanden, der sich dagegen ausspricht. Die Argumentation lautet: Alle Seiten sollen gehört werden. Außerdem ist es natürlich so, dass das Streitgespräch viel aufregender wird, wenn sich nicht alle einig sind. In solchen Diskussionsformaten fehlt mir auch, dass ich nachvollziehen kann: Was sind die Quellen, auf die sich die Leute beziehen? Das mache ich in meinen Youtube-Videos immer. Alle Studien sind in der Beschreibung angegeben. Es wäre schön, wenn das im Fernsehen auch so wäre und alle verpflichtet wären, ihre Quellen offenzulegen. Das ist wahrscheinlich utopisch, aber das würde es deutlich schwieriger machen, irgendeinen Blödsinn daherzureden. 

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Ihre Videos nehmen Sie in einer privaten Atmosphäre zu Hause auf. Einmal zeigen Sie ein Kinderfoto. Ist das eine bewusste Strategie, um das Publikum zu erreichen? 

Das freut mich, wenn das wie eine bewusste Strategie wirkt. Aber das liegt daran, dass ich das wirklich privat mache. Ich setze mich hin und lese diese ganzen Sachen. Wenn ich den Eindruck habe alle relevanten Informationen zusammengetragen zu haben, dann schreibe ich das Skript und stelle mich allein vor die Kamera. Sobald es eingesprochen ist, setze ich mich an den Computer und schneide es. Bis das Video offiziell hochgeladen ist, hat es noch kein Mensch gesehen. Es ist ja nicht so, als stünde ein Kamera- und Rechercheteam dahinter. Das mache ich alles im Alleingang. Sollte mal ein Fehler drin sein, fällt der hundertprozentig auf mich zurück. Deswegen bin ich auch so vorsichtig, wie ich nur sein kann. Das mit dem Kinderfoto war einfach ein Einfall. Ich wollte zeigen: Es gibt auch andere Viren, die in unseren Zellkernen DNA abladen. Das Windpocken-Virus ist eines davon. Und beim Skriptschreiben ist mir wieder eingefallen, dass es von mir dieses irrsinnig süße Foto gibt, wo ich die Windpocken habe und mit Creme eingeschmiert bin. 

Manche Science-Youtuber arbeiten mit aufwendigen Animationen, Sie benutzen zum Beispiel Gemüse zur Illustration. Auch Zufall? 

Ja, das ist der Situation geschuldet. Ich denke, ich wäre schon imstande, irgendetwas zu animieren. Aber das wäre dann zu viel Arbeit, da würde die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht aufgehen. Ich denke, der Kern muss sein, dass man sich auskennt – und dass man sich überlegt: Wie erkläre ich das, wie steige ich ein und welche Kurven nehme ich dabei? Manche denken, dass man sich rausschummeln kann, indem man sagt: Wir machen schöne Animationen. Aber in meiner Wahrnehmung hat das meistens wenig Erklärwert. Für mich ist es natürlich gut, wenn ich über das Spike-Protein rede kann und mir dabei nicht immer überlegen muss: Was könnte bei der Animation passieren? Stattdessen kann ich einfach eine Zucchini in der Hand haben und damit rumwackeln und sagen, wo die Rezeptor-bindende Domäne ist. Das Format ist deshalb so wie es ist, weil ich faul bin und einfach in meiner Küche schaue: Was schaut ungefähr so aus wie das, was ich darstellen will?

Gab es mal Themen, bei denen Sie dachten: Das schaffe ich nicht, auf einfache Art zu erklären?

„Ich versuche alles so zu formulieren, dass jede*r, der*die nie eine Universität von innen gesehen hat, dem problemlos folgen kann.“ Martin Moder
Man kann alles erklären, aber die Frage ist immer: Auf welche Detail-Ebene will ich gehen? Man kann Dinge auch oberflächlich erklären und die Kernbotschaft trotzdem rüberbringen, aber ich habe schon den Anspruch, dass ich es in so einer Tiefe erklären will, dass ich selbst das Gefühl habe: Ich wäre zufriedengestellt, wenn ich das gehört hätte. Zum Beispiel habe ich bei dem Video zur Frage der Fruchtbarkeit ganz lange überlegt: Soll ich so weit gehen, dass ich erkläre, wie man Aminosäuresequenzen in einem Protein-Alignment übereinanderlegt und was das bedeutet, wenn ich da Homologien finde? Ich habe überlegt, diesen ganzen Teil wegzulassen. Dann hatte ich aber das Gefühl, das wäre unvollständig. Ich möchte nicht, dass man sich einfach auf mein Wort verlassen muss. Ich will schon zeigen, dass man sich das am Computer anschauen kann und sieht, dass sich diese zwei Proteine nicht ähnlich sind. Ich versuche alles so zu formulieren, dass jede*r, der*die nie eine Universität von innen gesehen hat, dem problemlos folgen kann. Das ist mein Anspruch an mich selbst und das macht es auch so schwierig.

Sie machen auch Wissenschaftskabarett. Wie funktioniert das? 

Dabei habe ich es sehr einfach, denn ich stelle mich nicht allein auf die Bühne und sage: Jetzt kommt ein Wissenschaftskabarett. Ich bin Teil der Gruppe „Science Busters“. Da ist immer ein Kabarettist dabei, der das gelernt und perfektioniert hat – Martin Puntigam. Und der hat an seiner Seite immer eine*n oder zwei Forschende. Im Endeffekt ist es natürlich so, dass wir alle darauf achten müssen, dass die Show unterhaltsam ist. Aber die Hauptverantwortung dafür hat er. Wir können also die Fachidiot*innen sein, die wir sind – und es gelingt trotzdem. Das ist ein guter Ansatz, wie ich finde. Ich habe einmal der Neugierde halber probiert, eine Art Wissenschaftskabarett allein zu machen. Ich war ein bisschen frustriert, weil es mir nicht gelungen ist, es gleichzeitig sehr unterhaltsam und sehr informativ zu halten. Wenn der Wissenschaftler und der Kabarettist in einer Person stecken sollen, ist es schwieriger. 

Die Wissenschafts-Kabarett-Gruppe „Science Busters“, Foto: Ingo Pertramer/Buero Alba

Welche Rolle spielt Unterhaltsamkeit in der Wissenschaftskommunikation?

Gerade bei Forschenden, die mehr Wissenschaftskommunikation machen wollen, geht es immer wieder zurück auf die eigene Vortragstätigkeit. Was mir schon auf der Uni aufgefallen ist: Es gibt Leute, da freust du dich drauf und es gibt Leute, da graust dir davor, dass du ihnen wieder eine halbe Stunde zuhören musst. Schau, dass du nicht in die zweite Kategorie fällst. Egal, wie kompetent du bist: Du verlierst etwas, wenn du nie gelernt hast so zu sprechen, dass dir deine Kolleginnen und Kollegen gerne zuhören. 

Und wie verhält es sich mit Humor auf Youtube?

Man schaut sich natürlich lieber Videos an, von denen man weiß, dass es gelegentlich etwas zu lachen gibt. Manchmal steigt man Leuten mit Witzen aber auch auf den Schlips. Bei dem Video, in dem es um Unfruchtbarkeit geht, habe ich eine Babypuppe in der Hand und werfe sie nach hinten. Es gibt Leute, die haben das gefeiert, weil es auch ein Running Gag aus der Anfangszeit von Youtube ist – und es gab Leute, die haben gedroht, das beim Presserat anzuzeigen, weil es menschenverachtend sei. Damit muss man halt leben. Meine Herangehensweise ist: Mir muss es gefallen und ich muss Spaß daran haben. Das ist das Schöne an Youtube: Keiner kann mich absetzen, keiner kann mich feuern. Dann mache ich es so, wie es mir am meisten taugt. Wenn man die Möglichkeit hat, etwas unterhaltsam zu machen, dann sollte man das nutzen – weil ein kleiner Joke zwischendurch kaum den Informationsgehalt reduzieren wird.

Impfen ist ein konfliktreiches Thema. Erleben Sie viel Gegenwind?

„Man schaut sich natürlich lieber Videos an, von denen man weiß, dass es gelegentlich etwas zu lachen gibt. Manchmal steigt man Leuten mit Witzen aber auch auf den Schlips.“ Martin Moder
Natürlich, aber der Gegenwind ist ja, Gott sei Dank nur digital. Attila Hildmann hat persönlich dazu aufgerufen, meinen Youtube-Kanal downzuvoten und negative Kommentare zu hinterlassen. Auf Telegram kursieren Bilder, auf denen dargestellt ist, von wem ich angeblich Unsummen bezahlt bekomme um das zu sagen, was ich sage. Schön wär’s. In Österreich gibt es einen impfkritischen Landschaftsökologen namens Clemens G. Arvay. Wenn der mich auf Facebook auch nur erwähnt, gehen seine Fans auf meine Seite und beleidigen mich tagelang. Eine außergewöhnlich aggressive Community, aber so etwas gehört offenbar dazu. So lange keine Leute bewaffnet vor meiner Haustüre aufkreuzen, ist mir das aber egal. Ich denke, es ist ein gutes Zeichen, wenn man Leuten wie Attila Hildmann, die nicht wenige Rechtsextreme hinter sich versammelt haben, nicht gefällt. Ich fände es beunruhigender, von so jemandem gelobt zu werden. Ich glaube auch nicht, dass es um mich als Person geht, sondern dass ich nur als Projektionsfläche für den Frust und das Chaos diene.

Wen wollen Sie mit Ihren Videos erreichen?

Ich habe, wenn ich ehrlich bin, nie darüber nachgedacht, wen ich erreichen möchte. Meine Herangehensweise war immer: Ich habe den Eindruck, es gibt ein paar Argumente, die sind nirgends kompakt und leicht konsumierbar aufgearbeitet. Dazu gehören Fragen wie die nach den Langzeitfolgen von Covid-19. Es gibt zwar Leute, die sich dazu geäußert haben, aber das war dann entweder in einem einzelnen Satz im Fernsehen oder in einem einstündigen Statement bei einer Stunde dreißig in einem Podcast. Das ist auch der Grund, denke ich, warum der Kanal so erfolgreich ist. Es gab ja kein Konzept dahinter. Ich hatte im ersten Lockdown nicht viel anderes zu tun und dachte: Was soll’s, machen wir ein paar Youtube-Videos über Corona und Fragen wie: Kann der Impfstoff meine Gene verändern? Ich wollte gerne ein Video erstellen, das man unter entsprechende Kommentare im Netzt posten kann. Außerdem interessieren mich die Themen ohnehin enorm. Ich habe selbst jahrelang im Labor mithilfe von Viren menschliche Gene verändert. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass die Information irgendwo bereits gut aufgearbeitet ist, spare ich mir auch das Video dazu.

Und wer guckt sich die Videos an?

Das weiß ich nicht genau, aber ich glaube, es sind vor allem so Leute in meinem Alter. Aber die Videos werden auch von Arztpraxen empfohlen und einige von ihnen laufen auf dem Kanal vom Robert-Koch-Institut. Ich habe auch schon Zuschriften von 80-Jährigen bekommen, die etwas wissen wollten. Im Grunde ist es mir egal, wer die Videos ansieht. Ich würde das Video für die Oma nicht anders gestalten als für den 16-Jährigen. Vielleicht würde ich ein bisschen langsamer sprechen, aber ansonsten würde es für mich keinen Unterschied machen. Es gibt aber auch Fragen, die es mir nicht wert sind, beantwortet zu werden – zum Beispiel, ob in Impfungen Microchips drin sind. Ich denke, da ist alle Mühe verloren, da gehe ich lieber spazieren. Man darf auch nicht glauben, dass man alle Menschen erreichen kann.