Es war der heiße Sommer der Wissenschaftskommunikation – damals, 2014 – und das hatte wenig mit den Temperaturen zu tun. Eine Debatte um die Werte der Wissenschaftskommunikation erhitzte die Gemüter. Alles drehte sich um die Frage: Wer soll wissenschaftliche Themen in die Öffentlichkeit bringen und was muss dabei beachtet werden?
Der heiße Sommer der Wissenschaftskommunikation 2014 – ein Rückblick
Der Siggener Kreis und die Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR
Den Anfang machte der Siggener Kreis. Auf Gut Siggen in Schleswig-Holstein treffen sich seit 2013 jährlich Experten aus der Wissenschaftskommunikation, um gemeinsam über die Zukunft und Gegenwart der Branche zu diskutieren. Die Denkwerkstatt wird von Wissenschaft im Dialog zusammen mit dem Bundesverband Hochschulkommunikation organisiert und vom ZEIT-Verlag und der Alfred Töpfer Stiftung gefördert. Auch 2014 traf sich eine Gruppe von 24 Personen – Wissenschaftler, Kommunikatoren, Öffentlichkeitsarbeiter, Journalisten, Industrievertreter – und diskutierten über Qualitätsstandards in der Wissenschaftskommunikation. Am Ende stand der Siggener Aufruf (PDF), der am 10. Juni 2014 veröffentlicht wurde und aus dem sich die Leitlinien für gute Wissenschafts-PR entwickelten.
Siggener Aufruf
Im Siggener Aufruf werden zunächst die unterschiedlichen Rollen der zentralen Akteure in der Kommunikation von Wissenschaft definiert und voneinander abgegrenzt. Wissenschaftler werden dabei als Hauptakteure, die ihre wissenschaftlichen Inhalte kommunizieren, gesehen. Kommunikatoren verstehen sie als „Manager der Wissenschaftskommunikation“, die den Dialog organisieren. Journalisten seien dagegen die „Anwälte der Öffentlichkeit“ – sie hinterfragen wissenschaftliche Erkenntnisse kritisch, ordnen ein, geben einen Überblick und Hintergrundwissen. Das Verhältnis dieser drei Akteursgruppen zueinander, so der Siggener Aufruf, sei im stetigen Wandel und jede Gruppe für sich erreiche die Öffentlichkeit über vielfältige Wege. Nach dem Siggener Kreis brauche es neben dem Wissenschaftsjournalismus auch neue Vermittler zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, um die Qualität der Kommunikation zu sichern. Wer das sein könnte, wird in dem Aufruf allerdings nicht erklärt. Die Kommunikatoren würden diese Rolle jedoch nicht erfüllen, denn „die immer institutionell gebundene Wissenschaftskommunikation kann die externe kritische Beobachtung … durch den Wissenschaftsjournalismus nicht ersetzen“.
Das Papier widmet sich in weiteren Punkten dem Strukturwandel im Wissenschaftssystem sowie der Qualität der Wissenschaftskommunikation und dem Zusammenspiel von Wissenschaft und Gesellschaft. Zur Qualitätssicherungen werden folgende Vorschläge gemacht1:
- Die Sicherung von Qualitätsstandards hängt von der Sebstverpflichtung der wissenschaftlichen Institutionen ab, sich an Qualitätskriterien zu halten. Diese basieren auf einer Diskussion über Werte, die ständig weitergeführt wird.
- Forschung zur Wissenschaftskommunikation soll zu einer empirischen Fundierung führen.
- Fort- und Weiterbildungen zur Professionalisierung von Wissenschaftskommunikatoren sind selbstverständlich.
- Wissenschaftskommunikation braucht eine bessere internationale Vernetzung – da auch Wissenschaft international funktioniert.
Am Ende stand eine Veröffentlichung, die auf den Wandel in der Wissenschaftskommunikation aufmerksam machen wollte und aus der die Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR hervorgingen.
Zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den Medien – #WÖM
Parallel arbeitete ein Arbeitskreis der Akademien an der Analyse der damaligen Situation in der Wissenschaftskommunikationslandschaft. Dazu fanden sich acht Professoren, eine Journalistin und ein Journalist zusammen. Sie luden Experten und Gäste ein, um mit ihnen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu diskutieren. Des Weiteren wurden individuelle Expertengespräche geführt und schriftliche Expertisen eingeholt. Das Resultat untersuchten externe Gutachter.
Wozu brauchen wir Wissenschafts-PR? Lang lebe der Wissenschaftsjournalismus!
Der Arbeitskreis analysiert im kurz WÖM genannten Bericht die Situation in der Wissenschaft sowie in den Medien. Er geht dabei vor allem auf den Wandel in beiden Bereichen ein und sieht dessen Ursache in der Ökonomisierung und Medialisierung. Auch deren Konsequenzen werden in dem Papier beleuchtet: Auf der einen Seite stehe die „Krise der kompetenten Kritikfähigkeit der Massenmedien“, die auch den Wissenschaftsjournalismus umfasse. Auf der anderen Seite stehe eine wachsende Notwendigkeit, Teile der Wissenschaft zu kontrollieren. Je stärker der Wettbewerbsdruck auf die Wissenschaft werde, desto mehr seien Wissenschaftsjournalisten gefordert, wissenschaftliche Erkenntnisse zu hinterfragen.
Wissenschaft und ihre Institutionen würden – auch aufgrund der neuen Medien – vermehrt die Möglichkeit nutzen, die Öffentlichkeit direkt anzusprechen und vermischten dabei die Grenze zwischen Journalismus und PR zunehmend. Daraus folge, laut dem Arbeitskreis der Akademien, ein hohes Qualitätsdefizit in der Versorgung der Öffentlichkeit mit Informationen. Der Bericht geht sogar noch einen Schritt weiter mit seiner Kritik an der Wissenschafts-PR: „Es ist ferner zweifelhaft, inwieweit der Versuch einer breiten Kommunikation (inklusive der bildungsfernen Schichten) durch wissenschaftliche Institutionen, also unter Verzicht auf den reichweitenstarken Wissenschaftsjournalismus, überhaupt inhaltlich und volkswirtschaftlich sinnvoll wäre.“
Im Gegensatz zur direkt kommunizierenden Wissenschaft bringe der Wissenschaftsjournalismus journalistische Qualität mit. Natürlich könne diese nur gewährleistet werden, wenn der Journalismus dafür finanziell und personell ausreichend ausgestattet sei. Daher sehe der Arbeitskreis die Zukunft qualitativ hochwertiger Informationsvermittlung – von der Wissenschaft in die Öffentlichkeit – vorrangig im Wissenschaftsjournalismus und betrachte daher vor allem diesen als unterstützungswürdig.
Die neuen Medien werden von den Autoren als interessante Ergänzung angesehen. Sie seien jedoch keine vollständige Alternative zum Wissenschaftsjournalismus. Der Bericht selbst geht kaum auf die neue Medien – insbesondere Social Media – ein.
Handlungsempfehlungen
Insgesamt fasste der Arbeitskreis seine Empfehlungen in 13 Punkten zusammen, gegliedert in Empfehlungen an die Wissenschaft, an die Politik und die gesellschaftlichen Akteure sowie Empfehlungen an die Medien. Letztere finden Sie hier2:
- Es wird geraten, Qualitätskriterien für die Berichterstattung von Wissenschaftsthemen zu entwickeln.
- Die journalistische Aus- und Weiterbildung soll wieder vermehrt gestärkt werden, um die Qualität der Medien zu sichern.
- Ein Wissenschafts-Presserat soll nach Vorbild des Deutschen Presserats eingerichtet werden.
- Zur Einrichtung eines Science Media Centers, dass dauerhaft auf Seiten des Journalismus angesiedelt ist, wird geraten.
- Massenmedien, Verlegerverbände etc. sollen sich eine gemeinsame Strategie überlegen, um die Rolle und Bedeutung des freien Journalismus in der Demokratie zu kommunizieren.
- Finanzierungsmodelle für Qualitätsjournalismus sollen entwickelt und dabei auch neue Medien mit berücksichtigt werden.
- Die öffentlich-rechtlichen Sender sollten dringend ihr Informationsangebot gegenüber dem Unterhaltungsangebot erhöhen.
Kritik an WÖM
Die Kritik am WÖM-Bericht war zahlreich – dabei zielte sie sowohl auf die Empfehlungen als auch die Analyse der damaligen Situation. Vor allem aus der Bloggerszene erfuhr der Arbeitskreis viel Gegenwind. Eine Liste mit vielen Blogbeiträgen aber auch Zeitungsartikeln veröffentlichte Marcus Anhäuser auf scienceblogs.de.
Auch die Wissenschafts-PR fühlte sich zu Unrecht an den Pranger gestellt, ebenso wie die direkt kommunizierenden Wissenschaftler und auch einige Wissenschaftsjournalisten äußerten Bedenken.
Die Hauptkritikpunkte aus den verschiedenen Beiträgen waren:
- Die Onlinekommunikation wurde viel zu wenig betrachtet – insbesondere Blogs und Wikipedia.
- Die Digitalisierung als eine wichtige Ursache für den Wandel in der Wissenschaft und ihrer Kommunikation wurde nicht betrachtet und auch nicht benannt.
- Eine genaue Definition des Begriffs Wissenschaftskommunikation liege nicht vor.
- Die Wissenschafts-PR war nicht im Arbeitskreis vertreten und dient ohne die Nennung stichhaltiger Belege in vielen Punkten als Sündenbock für schlechte Kommunikation.
Kontroversen auf dem Workshop der VolkswagenStiftung
Die Kritik am Papier und die resultierende Debatte wurden in einem Workshop der VolkswagenStiftung mit dem Titel „Image statt Inhalt? – Warum wir eine bessere Wissenschaftskommunikation brauchen“ aufgegriffen. Er dauerte zwei Tage, startete am 30. Juni 2014 und bestand aus fünf Teilen: Impulsreferate, Kurzstatements mit Kriterien für gute Wissenschaftskommunikation, Vorstellung zweier Initiativen, – WÖM und Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR – Arbeitskreise und Vorstellungen ihrer Ergebnisse. Die Dokumentation des Workshops fasste die Inhalte zusammen und Wissenschaftsjournalist und Blogger Lars Fischer bereitete die dazugehörige Twitterdiskussion über ein Storify auf.
Den wohl kontroversesten Inhalt lieferte gleich der erste Impulsvortrag, der die Wissenschaftskommunikation an sich in Frage stellte. Die Kommunikationswissenschaftler Frank Marcinkowski und Matthias Kohring fragten, ob die externe Wissenschaftskommunikation der Wissenschaft nütze. Ihr Fazit? Nein, tue sie nicht. Sie erreiche weder mehr Akzeptanz für Wissenschaft in der Bevölkerung noch böte sie einen Mehrwert für die Wissenschaftler. In erster Linie diene die Wissenschaftskommunikation – mit der hier ausschließlich die Wissenschafts-PR gemeint ist – der Imagebildung einer Forschungseinrichtung. Während dies für die beiden Impulsgeber kein Problem darstellte, kritisierten sie, dass Wissenschaftler aufgrund ihrer Kommunikationsleistung bewertet würden. Dadurch befürchten sie eine Verschlechterung der Forschung, weil sich die Wissenschaft auf gut kommunizierbare Themen fokussiere und einen Zuwachs an Wettbewerb, der unnötig sei, da er nicht durch eine gesteigerte Nachfrage hervorgerufen würde. Nach diesem kritischen Impuls, der die gesamte Branche in Frage stellte und vor einer Fehlorientierung der Wissenschaftskommunikation warnte, kamen noch viele weitere kritische Punkte auf den Tisch.
So widmete sich einer der Arbeitskreise der den Kritikern zufolge bei WÖM vernachlässigten „Guten Wissenschaftskommunikation 2.0“. Es drehte sich also alles um Blogs und Social Media als Web 2.0 und die daraus resultierenden Chancen und Herausforderungen3:
- Gewinn an Authentizität, da einzelne Wissenschaftler viele Menschen erreichen können.
- Möglichkeit, in den Dialog zu treten.
- Fremdbeobachtung der Wissenschaft kann durch eigene Darstellung ergänzt werden, woraus Vertrauen und Transparenz entstehen könne. Es bietet auch die Möglichkeit Wissen überinstitutionell zu organisieren.
- Nischenthemen können leichter auf sich aufmerksam machen.
Viel Gerede – aber was steckt dahinter?
Heute, knapp drei Jahre später, widmet sich die zweite Empfehlung der Akademien eben diesem Bereich, den Sozialen Medien. Was können sich die Akteure davon erhoffen? Die zugehörige Veranstaltung am 28. Juni 2017 trägt den Titel „Wie Social Media die Wissenschaftskommunikation verändern“. Einem der Kritikpunkte an WÖM – dass die Diskussion hinter verschlossenen Türen stattfände – trat der Arbeitskreis übrigens mit einem Workshop am 18. März 2016, der dem Austausch und der Diskussion der Zwischenergebnisse diente, entgegen. Dabei wurden auch die im Blog Wissenschaftskommunikation³ veröffentlichten Statements und Gastbeiträge berücksichtigt.
Was nun aber tatsächlich bei der ganzen Diskussion herauskam, werden wir in zwei Tagen erfahren. Wir planen dazu hier eine Serie mit Kommentaren aus den unterschiedlichen Bereichen der Wissenschaftskommunikation. Die Debatte wird also weitergehen und wir werden sehen, wie heiß dieser Sommer wird.