Der Informationsdienst Wissenschaft (idw) ist mit einer neuen Magazinansicht online gegangen. Elisabeth Hoffmann, Pressesprecherin der TU Braunschweig und Leiterin der dortigen Stabsstelle Presse und Kommunikation, kommentiert im Gastbeitrag die Neuerungen. Dabei spart sie nicht mit Selbstkritik.
Der Elefant im eigenen Büro
Jeder hat ja so seine beruflichen Steckenpferde. Ich zum Beispiel mache gern Krisenkommunikation. Selten werden PR-Verantwortliche so gebraucht und so gern eingesetzt wie in der Krisenkommunikation. Spaß macht das alles allerdings nur so lang, wie man selbst als Helfer in der Not gebraucht wird und so lang die Verursacher und Opfer der Krise jeweils andere sind. Das kann sich aber auch mal ändern. Und davor graut es mir seit ein paar Wochen. Genauer gesagt, seit der Informationsdienst Wissenschaft (idw) seine neue Magazinansicht bekanntgegeben hat.
Manche Krisen sieht man deshalb nicht kommen, weil sie schon längst da sind. Wie beim sprichwörtlichen Elefanten im Raum haben wir uns daran gewöhnt, an ihnen vorbeizuschauen und einfach weiterzuwuseln. Dabei kann es durchaus sein, dass die Wissenschafts-PR selbst einmal Verursacherin einer deftigen PR-Krise wird.
Dieser Gedanke drängt sich mir aktuell immer dann auf, wenn ich die neue Optik des idw betrachte. „Wir haben die idw-Nachrichten für Sie aufgehübscht“, heißt es in der Ankündigung. Und tatsächlich: Die neue Ansicht ist viel bunter als die bisherige blau-grüne Listenansicht der Überschriften. Wie beabsichtigt, wenn Webseiten „magazinig“ werden: Der Kampf um die Aufmerksamkeit wird heute durch Bilder gewonnen. Das bedingt eine andere, intuitive Nutzerführung.
Aufgehübscht ist nicht gleich besser
Ich vermute, dass die neue Ansicht mehr Leserinnen und Leser finden wird als die herkömmliche Seite. Leider wird ein Produkt nicht allein durch ein Aufhübschen auch besser. Zwar haben viele Mitteilungen im idw in den letzten Jahren an Qualität gewonnen, aber dazwischen findet sich noch jede Menge Murks.
Und damit meine ich gar nicht mal die schlechten Fotos von Reisedelegationen, Preisverleihungen und unterzeichneten Absichtserklärungen. Auch nicht abwegige Überschriften wie: „Wir brauchen eine neue Revolution“. Solche Titel können jetzt kontextlos neben irgendeinem, auf den ersten Blick nicht dechiffrierbaren Bild oder einer vollgestopften Grafik stehen. Natürlich ist nicht jede Pressestelle für professionelle Arbeit ausgestattet. Schlimmer ist die fehlende Integrität mancher Meldungen: Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Beispiel ungeniert vor großen Firmenlogos posen, um so zum Beispiel für gemeinsame Konferenzen zu werben. Wenn wieder mal eine rasche Lösung für drängende Probleme der Menschheit versprochen wird. Wenn die Ergebnisse einer Untersuchung mit 23 Probanden verkauft werden, als ob es sich um eine repräsentative Studie handeln würde. Oder, wenn Finanzierungsquellen oder Eigeninteressen einfach unter den Tisch fallen. Das alles wird mit der neuen Magazinansicht vermutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Schon lange hat sich der idw von der Aufgabe emanzipiert, Presseinformationen an Redaktionen zu senden. Eine Mitteilung, die ich im September veröffentlicht habe, wurde per Mail an 16.262 Personen verschickt, nur 368 davon waren akkreditierte Journalistinnen oder Journalisten. Wir erreichen also viele Menschen über den idw ganz direkt, dazu auch diejenigen, die auf der Seite ihre Fragen ins Suchfeld eingeben. Damit ist unsere Verantwortung enorm gewachsen. Wir können uns leider nicht mehr darauf verlassen, dass Medienvertreterinnen und -vertreter die schlechten Meldungen ausfiltern und unsere Aussagen überprüfen. Ebensowenig können wir darauf zählen, dass die Leserinnen und Leser generell einordnen können, ab wann eine Studie repräsentativ ist. Auch nicht darauf, dass es sich bei der Ankündigung einer neuen Schlüsseltechnologie für die Energiewende um keine verlässliche Zusage handelt, sondern nur um eine Abschrift des notorischen Antrags-Blablas.
Auf dem Weg zum nächsten PR-Skandal?
Als PR-Profis haben wir uns längst daran gewöhnt, dass viele Presseinfos und idw-Mitteilungen nicht belastbare Imagepflege-Rhetorik enthalten, und können diesen „Code“ dechiffrieren. Stellen wir uns einmal vor, die Leserinnen und Leser würden uns beim Wort nehmen mit dem, was wir nun als „Nachrichten“ dort platzieren. Warum sollten sie dann die Infos infrage stellen? Wenn sie direkt aus der Wissenschaft kommen, dann sollten sie doch wohl verlässlich sein – nicht wahr?
Oder stellen wir uns vor, dass eine Redaktion sich den schlimmsten unter unseren Presseinfos so systematisch widmen würde, wie jüngst dem Thema Raubjournale. Die Redaktion müsste nicht einmal investigativ arbeiten, denn das ganze Material ist schon auf dem Präsentierteller hübsch angerichtet. Sie könnten die schlimmsten Beispiele exemplarisch ganz groß rausbringen und damit Schlagzeilen rechtfertigen wie: „Was Forschungseinrichtungen uns versprechen – und was sie davon halten.“ Oder: „Wie Hochschulen mit der Wirtschaft kungeln.“ Alles nicht neu, doch ließe es sich auf diese Weise punktuell gut belegen.
Der idw braucht dringend mehr Qualitätskontrolle
Wir könnten dann dreißig mal sagen, dass das nur Ausnahmen sind. Das könnte sogar stimmen. Doch würde das die Mehrzahl der Rezipientinnen und Rezipienten gar nicht mehr erreichen oder nicht mehr interessieren. Der Schaden für unsere Glaubwürdigkeit wäre ähnlich hoch wie eben nach der Berichterstattung über die Raubjournale.
Der idw hat sich zu den Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR bekannt. Damit sollte er auch bei der neuen Magazinansicht ernst machen:
- Aus meiner Sicht sollte der neue Titel „Nachrichten“ ersetzt werden. Ehrlicherweise müsste dort etwas wie „Mitteilungen aus den Forschungseinrichtungen und Hochschulen“ stehen.
- Bei aller Liebe zum Technologietransfer: Überschriften wie „Technik & Industrie“ oder„Wirtschaft & Politik“ können eine Verquickung von Wissenschaft und Wirtschaft suggerieren. Das ist, wie wir aus dem Wissenschaftsbarometer wissen, ein für das Vertrauen oder Misstrauen in die Wissenschaft relevanter Aspekt.
- Leserinnen und Lesern sollte die Möglichkeit angeboten werden, das Team und die jeweiligen Autoren auf Probleme aufmerksam zu machen (ähnlich einem „melden“-Button in den sozialen Medien).
- Unabhängig von der Magazinansicht sollte es im Eingabeformular Pflichtfelder zu Finanzierungsquellen und Eigeninteressen geben.
- Fazit: Der idw braucht dringend mehr Qualitätskontrolle. Das kostet Ressourcen. Ich würde dafür auch höhere Mitgliedsbeiträge zahlen.
Man könnte jetzt auf das idw-Team schimpfen und sich über die neue Magazinansicht echauffieren, doch Fakt ist: Die Verantwortung für den Content tragen wir, die Mitglieder. Wir können unsere Wünsche und Anliegen äußern und auf der Mitgliederversammlung mitgestalten. Nicht zuletzt müssen wir Verantwortung für unsere Mitteilungen übernehmen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht immer gelingt, Leitlinien-treu zu bleiben. Und dennoch: Liebe Kolleginnen und Kollegen, schaut euch eure Mitteilungen bitte genau an: Was würde passieren, wenn man sie beim Wort nimmt? Würden sie auch als schlechtes Beispiel für richtig böse Schlagzeilen taugen? Schauen wir auf den Elefanten im eigenen Büro, bevor es andere tun.
Weitere Informationen:
- Drei weitere Kommentare zu der neuen Magazinansicht gibt es:
- von Daniela Behrens auf Wissenschaftskommunikation.de („Es darf hübsch und modern sein“)
- von Marcus Anhäuser auf Medien-Doktor.de („idw-Neuerungen: Pressemitteilungsplattform ohne Pressemitteilungen?“)
- von Josef König auf Widderworte.de („Wie wär’s mit einer Nummer kleiner? Über manche Kritik am idw-online.de“)
*Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.